Kosten des Afghanistan-Einsatzes "2,3 Millionen Euro für ein Menschenleben"

Muss man so weit gehen, jeden gefallenen Soldaten mit einem Preisschild zu versehen? Im Interview mit manager magazin sagen die DIW-Forscher Tilman Brück und Olaf de Groot, die für manager magazin die deutschen Kriegskosten im Afghanistan-Einsatz berechnet haben, warum es zynisch wäre, solch eine Berechnung zu unterlassen.

mm: 43 deutsche Soldaten sind bis heute in Afghanistan gefallen und Tausende andere Menschen. Ist es da nicht ziemlich zynisch, die Kosten des deutschen Afghanistan-Kriegs in Euro ausdrücken zu wollen?

Brück: Im Gegenteil - es wäre zynisch, solch eine Berechnung zu unterlassen. Nur wenn die Kosten eines Kriegs offengelegt werden, kann eine aufgeklärte öffentliche Debatte darüber entstehen, ob der politische Nutzen des Kriegs den hohen Preis rechtfertigt. Wir wollen zumindest für Transparenz auf der einen Seite dieser Gleichung sorgen, indem wir die Kosten abschätzen. Über den politischen Nutzen des Kriegs fällen wir kein Urteil.

mm: Aber muss man denn wirklich so weit gehen, jeden gefallenen Soldaten mit einem Preisschild zu versehen? Pro totem Deutschen veranschlagen Sie in Ihrer Studie 2,3 Millionen Euro.

Brück: Wieder sage ich: Es wäre zynisch und respektlos, den hohen Preis den die Soldaten und ihre Familien gezahlt haben, nicht in unsere Studie einfließen zu lassen. Der Betrag von 2,3 Millionen Euro entspricht dem, was in der EU auch in anderen Kosten-Nutzen-Analysen als Preis für ein Menschenleben veranschlagt wird - etwa bei Investitionen in die Verkehrssicherheit.

mm: Wie wackelig solche Zahlen sind, zeigt sich doch schon daran, dass der US-Ökonom Joseph Stiglitz in seiner Kostenberechnung des zweiten Irak-Kriegs den Wert eines toten Amerikaners mit 7,2 Millionen Dollar veranschlagt.

de Groot: Weder wir noch Stiglitz haben uns diese Zahlen ausgedacht. Der Unterschied reflektiert die Tatsache, dass zum Beispiel Gerichte in den USA deutlich höhere Entschädigungszahlungen für ein Menschenleben festsetzen als in der EU. In unserer Methodik haben wir uns ansonsten sehr eng an Stiglitz orientiert.

mm: Der Wirtschaftsnobelpreisträger Stiglitz kommt auf die astronomische Summe von drei Billionen Dollar, die der zweite Irak-Krieg die USA gekostet habe. Ihm wurde anschließend vorgeworfen, die Kosten künstlich aufgebläht zu haben, damit sie in seine politische Agenda passen. Wie wollen Sie diesem Vorwurf für Ihre Berechnungen begegnen?

de Groot: Jene Posten, die in Stiglitz' Berechnungen besonders umstritten waren, tauchen bei uns gar nicht auf. Der zweite Irak-Krieg hätte ja ohne den amerikanischen Angriff nicht stattgefunden. Deshalb bezieht Stiglitz zum Beispiel auch die durch den Krieg gestiegenen Ölpreise und deren negative Auswirkungen auf die US-Wirtschaft in seine Rechnung mit ein. Solche makroökonomischen Effekte tauchen in unserer Studie gar nicht auf, weil wir argumentieren: Der Krieg hätte ja auch ohne die Deutschen stattgefunden, und eventuelle Auswirkungen des Afghanistan-Kriegs auf die Weltwirtschaft haben Deutschland in jedem Fall getroffen.

Juristen dominieren die Debatte

mm: Mit Ihrer Kostenanalyse betreten Sie Neuland in der hiesigen sicherheitspolitischen Debatte. In den USA scheint eine deutlich größere Bereitschaft zu herrschen, auch Themen wie Krieg und Frieden unter Kosten-Nutzen-Gesichtspunkten zu betrachten als in Kontinentaleuropa und speziell in Deutschland. Warum?

Brück: Für mich liegt die Erklärung in unterschiedlichen Traditionen im öffentlichen Dienst. Wer bei uns im öffentlichen Dienst aufsteigt, hat normalerweise Jura studiert und sieht die Dinge vor allem unter rechtlichen Gesichtspunkten: Was ist richtig, was ist falsch? Das gilt für den Afghanistan-Krieg, aber zum Beispiel auch für die Euro-Krise. Bei den Rettungspaketen wurde in der deutschen Debatte immer wieder gefragt: Dürfen wir das tun? Angelsachsen würden eher fragen: Sollten wir das tun? Sie würden also eher politische oder ökonomische Kosten und Nutzen abwägen, anstatt nach der Rechtmäßigkeit ihres Handelns zu fragen. Was wiederum daran liegen dürfte, dass zum Beispiel in den USA mehr Politikwissenschaftler oder Volkswirte in den öffentlichen Dienst gehen als in Deutschland.

mm: Wenn man sich Ihre Kalkulation anschaut, fällt auf, dass Sie eine ganze Reihe von offensichtlichen Kosten des Afghanistan-Kriegs nicht mit einbezogen haben. Zum Beispiel den deutschen Beitrag zu den Verwaltungskosten der Nato, die durch den Afghanistan-Krieg deutlich gestiegen sind.

de Groot: Wir müssen an dieser Stelle noch einmal deutlich sagen: Wir haben uns mit den Kosten beschäftigt, die dadurch entstehen, dass sich Deutschland am Einsatz in Afghanistan beteiligt. Es geht nicht um den deutschen Anteil an den Kosten des Afghanistan-Kriegs insgesamt. Selbst wenn Deutsche bei dem Krieg nicht mitmachen würden, gäbe es ja trotzdem andere Nato-Truppen in Afghanistan, und dementsprechend wäre auch der deutsche Nato-Beitrag gestiegen.

Brück: Man könnte natürlich argumentieren, dass ein gewisser Teil der Nato-Verwaltungskosten nur durch die deutsche Beteiligung entsteht, aber wir haben uns für die konservative Variante entschieden und den Nato-Beitrag ganz herausgelassen. Wie wir uns überhaupt in allen Zweifelsfällen für die niedrigere Zahl entschieden haben. Mit unserer Kostenschätzung bewegen wir uns ganz am unteren Ende der möglichen Bandbreite.

Lohnt sich der Krieg?

mm: Trotz Ihrer konservativen Berechnungsmethode kommen Sie zu dem Ergebnis, dass die Fortsetzung des Afghanistan-Einsatzes Deutschland etwa drei Milliarden Euro pro Jahr kostet. Das Verteidigungsministerium hingegen beziffert die Afghanistan-Kosten für 2010 auf gut eine Milliarde. Belügt die Bundesregierung die Öffentlichkeit?

Brück: Nein, die Differenz lässt sich durch unterschiedliche Berechnungsmethoden erklären. Innerhalb des Verteidigungshaushalts gibt es eine Reihe von Kosten, die die Bundesregierung nicht als Afghanistan-spezifisch ansieht, wir aber schon - zum Beispiel den Sold der in Afghanistan eingesetzten Soldaten. Zum Zweiten zählen wir einige Ausgabenposten in anderen Ministerien zu den Kosten des Afghanistan-Einsatzes hinzu, vor allem im Auswärtigen Amt und im Ministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit. Und schließlich halten wir es für ganz wesentlich, die Finanzierungskosten des Kriegs mit einzubeziehen. Schließlich fehlt jeder Euro, der in vergangenen Jahren in Afghanistan ausgegeben wurde, für Investitionen an anderer Stelle der Volkswirtschaft.

mm: Heißt das, die Bundesregierung ist aus Ihrer Sicht transparent genug, was die Kosten des Kriegs angeht?

Brück: Nun, aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht wäre es schon fair, unsere Zahlen zur Grundlage der Debatte machen. Denn wir nennen ja die Summe, die ohne den Krieg für Ausgaben an anderer Stelle zur Verfügung gestanden hätte. Der Krieg lohnt sich also nur, wenn die Deutschen mehrheitlich der Ansicht sind, dass der politische Nutzen des Einsatzes mehr wert ist als drei Milliarden Euro pro Jahr - nicht eine Milliarde.

mm: Herr de Groot, Sie sind Niederländer. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, ausgerechnet die Kosten des deutschen Afghanistan-Einsatzes zu analysieren? Die Niederlande sind doch auch mit Truppen am Hindukusch vertreten.

de Groot: Die Kostenanalyse des Irak-Kriegs von Joseph Stiglitz fasziniert mich seit ihrem Erscheinen. Ich habe schon länger darüber nachgedacht, wie sich seine Methode auf einen anderen bewaffneten Konflikt übertragen lässt. Nun arbeite ich bereits seit über einem Jahr am DIW Berlin, deshalb habe ich Deutschland für meine Fallstudie ausgewählt. An einem niederländischen Forschungsinstitut hätte ich vermutlich den Afghanistan-Einsatz meines eigenen Landes untersucht.

Brück: Herrn de Groots Arbeit ist zugleich Teil eines größeren Projekts, in dem wir abschätzen wollen, welche Kosten bewaffnete Konflikte weltweit verursachen.

mm: Klingt nach einem gewaltigen Vorhaben. Wann wollen Sie die ersten Ergebnisse veröffentlichen?

de Groot: In diesem Herbst - hoffentlich!

Kriegskosten: So teuer ist der Afghanistan-Einsatz

Prof. Dr. Tilman Brück ist Leiter der Abteilung Weltwirtschaft am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und Professor für Entwicklungsökonomie an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Dr. Olaf de Groot ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung Weltwirtschaft am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW).

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