Konjunktur Die Lehren aus dem "Jobwunder"

Das Frühjahrsgutachten wartet mit guten Aussichten für den Arbeitsmarkt auf. Doch was viele jetzt ein "Jobwunder" nennen, ist das Ergebnis von Verzicht und harter Arbeit. manager magazin nennt die vier wichtigsten Faktoren, die den Jobkahlschlag verhindert haben - und zeigt, wo weiter Handlungsbedarf besteht.

Hamburg - Bei der Daimler-Hauptversammlung am gestrigen Mittwoch gab es einen sicheren Weg, für großen Applaus zu sorgen. Der brandete nämlich jedes Mal dann auf, wenn ein Redner ansetzte, seinen Dank an die Belegschaft des krisengeschüttelten Autobauers zu richten. Im vergangenen Jahr hatte sie per Kurzarbeit auf Lohn verzichtet und trotz teils heftiger Irritationen - etwa angesichts der Vorstandsentscheidung, einen Teil der künftigen C-Klasse in den USA zu bauen - nicht gestreikt.

Auch andere Gruppen bei Daimler hatten 2009 Verzicht geübt. Der Vorstand strich 15 Prozent seiner festen Vergütung. Und die Anteilseigner des Konzerns bekommen in diesem Jahr keine Dividende.

Das Beispiel Daimler zeigt, woher das kuriose Phänomen kommt, das manche Beobachter nun das "deutsche Jobwunder" nennen. Gerade haben acht Wirtschaftsforschungsinstitute ihr Frühjahrsgutachten für die Bundesregierung vorgelegt. Die Konjunkturprognose der Experten für das Gesamtjahr ist optimistisch, gemessen daran, dass wir eben noch in der größten Rezession der Nachkriegsgeschichte steckten. 1,5 Prozent Wachstum trauen sie der deutschen Wirtschaft 2010 zu. Die Zahl der Arbeitslosen soll von durchschnittlich 3,42 Millionen im vergangenen Jahr auf 3,38 Millionen in diesem und 3,31 Millionen 2011 sinken. Die Arbeitslosenquote würde damit in diesem Jahr wie 2009 bei 7,8 Prozent liegen und sich 2011 weiter auf 7,6 Prozent verringern.

Verwunderlich ist das schon, denn bisher galt immer, dass der Arbeitsmarkt die Konjunkturbewegung - im vergangenen Jahr minus 5 Prozent - zeitverzögert nachvollzieht. Aber weil man hinterher immer schlauer ist, muss man nun sagen: Ein Wunder ist das nicht. Denn es gab effektive Puffer, die den Arbeitsmarkt eine Zeit lang vom Wachstum entkoppelt haben.

  • In vielen großen und kleinen Betrieben haben Arbeiter und Angestellte auf Gehalt verzichtet. Im Gegenzug sahen Arbeitgeber von Kündigungen ab, im Falle Daimlers sogar mit Beschäftigungsgarantien.
  • Eine wichtige Rolle spielte das Instrument der Kurzarbeit. Deren Kosten verteilen sich auf vielen Schultern: Die Arbeitnehmer verzichten bei weniger Arbeit auf Gehalt, der Arbeitgeber trägt einen Teil der Kosten, indem er die Sozialversicherungsbeiträge aufstockt. Außerdem werden die Gehaltseinbußen durch Zahlungen aus der Arbeitslosenversicherung verringert. Sind deren Mittel aus Beiträgen aufgebraucht, muss sie vom Fiskus gestützt werden.
  • Womöglich wichtiger war die Arbeit, die längst geleistet worden war, befindet eine aktuelle Studie der Commerzbank. Nach dem Boomjahr 2008, in dem viele Betriebe an ihren Kapazitätsgrenzen fuhren, waren die Arbeitszeitkonten prall gefüllt; viele Arbeitnehmer schoben eine riesige Bugwelle an Urlaubsansprüchen vor sich her. Das war ein dickes Polster, dank dem einige die Krise bequem überwintern konnten, bei vollen Bezügen. Für den Moment machte das die geleistete Arbeit aus Firmensicht teurer, aber tatsächlich holten sich viele Arbeitskräfte nur zurück, was sie den Unternehmen zuvor geliehen hatten.
  • Hinzu kommen die Folgen der steuerfinanzierten Konjunkturprogramme. Das Ausmaß ihres Einflusses lässt sich derzeit schwer beziffern, aber gerade die Infrastrukturausgaben dürften manchem Handwerker die Existenz sichern, bis heute. Oft waren Zweifel geäußert worden, ob der gewünschte Effekt der Programme als Brücke über das Tal der Krise wirklich eintritt. Man hat nun den Eindruck, dass es so war, und wenn er sich mit Fakten untermauern lässt, dann war das Steuergeld gut angelegt.

Wie weit muss Flexibilität gehen?

Von einem Wunder sollte man schon deshalb nicht sprechen, weil gerade in den vergangenen fünf Jahren viele statistische Veränderungen gegriffen haben, die den Vergleich erschweren. Die jüngste erfolgte erst im April 2010. Seit diesem Monat gilt für die Bundesagentur für Arbeit nicht mehr als arbeitssuchend, wer seine Arbeitssuche von einem privaten Vermittler betreuen lässt. Faktisch ist das zwar falsch, aber es schönt die Statistik für den März um 142.000 Arbeitslose.

Kein Grund, die Entwicklung schlechtzureden. Die Zahl der Arbeitslosen ist trotz dieser monumentalen Krise nicht gestiegen, das kann man gar nicht hoch genug bewerten. Und wenn die Wirtschaftsforscher recht behalten, und die Entwicklung weiter nach oben zeigt, dann können sich alle Beteiligten auf die Schultern klopfen. Bei vielen europäischen Nachbarn sieht es nicht annähernd so gut aus.

Doch vier Dinge sollten bei allem Schulterklopfen nicht vergessen werden.

Erstens: Alle Beteiligten haben dafür Opfer gebracht, wie die Übersicht oben zeigt. Die Last lag nicht, wie in früheren Krisen, zu einem Großteil bei den Arbeitnehmern, auch Arbeitgeber, die Sozialversicherungen und der Fiskus haben einen Teil geschultert. (Absehen muss man von den Finanzmärkten, die womöglich auf eine neue Blase zusteuern.)

Zweitens: Die Betriebe sind auch aus wohlverstandenem Eigeninteresse auf die Beschäftigten zugegangen, denn in Zeiten sich verschärfenden Fachkräftemangels müssen sie qualifizierte Mitarbeiter halten, solange es eben geht. Die an sich lobenswerte Kompromissbereitschaft ist also auch Ausdruck einer Krise.

Drittens funktioniert der Trick, auf Überstunden und angesparte Urlaubstage zurückzugreifen, in diesem Ausmaß nur nach Boomjahren. Zwar ermöglichen Arbeitszeitkonten technisch auch einen negativen Saldo, den man später wieder ausgleicht, aber diese Maßnahme ist eigentlich für kurz- und mittelfristige Schwankungen gedacht. Es muss diskutiert werden, inwieweit eine Ausdehnung für die Betriebe tragbar wäre - schließlich sind ja auch die Arbeitnehmer in Vorleistung gegangen und haben den Unternehmen so Flexibilität ermöglicht.

Und nicht zuletzt: Einen wichtigen Beitrag zur Flexibilität leisten viele Arbeitnehmer unfreiwillig. Seit den Hartz-Reformen hat sich der Anteil der geringfügig und befristet Beschäftigten rasant erhöht. Wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage hervorgeht, handelt es sich nur noch bei jeder dritten Stelle um einen regulären Vollzeitjob mit Sozialversicherung. Auch das schönt die Statistiken massiv, weil viele Teilzeitjobs das gleiche Gewicht im Zahlenwerk der Bundesagentur haben wie Vollzeitstellen. Vor allem aber verändert es das Leben der Betroffenen, die kaum mehr langfristig planen können. Je mehr es von ihnen gibt, desto größer sind die wirtschaftlichen Folgen, etwa bei der Konsum- und Sparbereitschaft. Auch hier ist eine politische Debatte dringend notwendig.

Mit Material von ddp

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