Spanien Der iberische Patient
Hamburg - Blicken Spanier in den Himmel, sehen sie derzeit mit etwas Glück ein leuchtendes Blau. Blicken sie in die Zukunft, dominieren dunkle Farben. Und es kann sogar noch düsterer werden.
"Der Einfluss der Wirtschaftskrise wiegt in Spanien deutlich schwerer als in anderen Ländern der EU", sagt Yvo de Bondt. Er verwaltet den auf spanische Aktien fokussierten Fonds Dexia Equities Spain . Seine Einschätzung manifestiert sich zum Beispiel im schwachen dritten Quartal dieses Jahres.
"Die spanische Wirtschaft zeigt derzeit wenige Anzeichen einer Erholung", urteilt Anja Hochberg, bei der Credit Suisse verantwortlich für die Abteilung Internationale Volkswirtschaften. "Während andere Volkswirtschaften die Rezession hinter sich gelassen haben und bereits im zweiten Quartal positives Wachstum gezeigt haben, kontrahiert die spanische Wirtschaft im dritten Quartal noch mal um 0,3 Prozent."
Urlauber mag das überraschen, Volkswirte nicht. Denn die Probleme Spaniens waren seit geraumer Zeit offenkundig. Rund 70 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) wurden in der Vergangenheit von der Immobilienbranche erwirtschaftet. "Das hohe Wachstum der Vergangenheit fußte fast ausschließlich auf der Immobilienbranche und dort auf Wohnimmobilien", so de Bondt. Doch genau diese Branche liegt am Boden.
Und wer soll sie auch voranbringen. Die spanischen Banken selbst haben eine "signifikante Immobilienausrichtung" und in ihren Bilanzen lauere noch Abschreibungsbedarf, so Hochberg. Das wiederum lastet auf dem Immobilienmarkt, der vor der Krise dafür sorgte, dass Spanien "eine der schnellstwachsenden Wirtschaften der vergangenen Jahre war", so de Bondt. Seitdem verlieren die Immobilien an Wert, ähnlich wie in Irland. Experten schätzen die Zahl der unverkauften Wohnungen in Spanien auf rund eine Million, vermeldete das Münchener Ifo-Institut im Sommer. Maklerfirmen mussten seitdem schließen. Wer ein Haus kaufte, soll schon mal einen Neuwagen als Empfangsgeschenk erhalten haben.
Und britische Rentner erhöhen den Druck auf den Immobilienmarkt. Nur zu gern zogen sie ins sonnige Spanien, um ihren Ruhestand zu genießen. Dabei rechneten sie damit, dass ihre in Pfund ausgezahlte Rente dem Euro würden Paroli bieten können. Doch das erwies sich als Fehlkalkulation, das Pfund verlor stetig an Wert. Damit verliert auch ihre Rente im Vergleich zu den Lebenshaltungskosten immer mehr an Wert. Und das entsprechende Euro-Darlehen zum Abzahlen des Hauses in Spanien wird teurer. Mit der Folge, dass immer mehr Rentner den Rückzug aus Spanien antreten und ihr Haus verkaufen wollen. "Se Vende"-Schilder allenthalben, zu verkaufen.
Dazu kommt die hohe Arbeitslosigkeit. Im September lag sie bei 18,9 Prozent, heißt es von der Credit Suisse. Andere Berechnungen fallen nur wenig geringer aus. Zwei Gründe macht Ökonomin Hochberg dafür verantwortlich. Zum einen den hohen Anteil von Arbeitnehmern mit befristeten Verträgen an der Gesamtzahl der Arbeitsplätze. Spanien hat EU-weit den höchsten Anteil dieser Arbeitsverträge. Und solche Verträge lassen sich ohne Probleme auflösen. Zum anderen hat der bereits skizzierte Einbruch des Immobilienmarkts massiv auf den Arbeitsmarkt durchgeschlagen.
Konsumstreik statt Kauflaune
Die Arbeitslosigkeit macht sich auch an anderer Stelle bemerkbar. "Die Konsumentenstimmung ist auf einem niedrigen Niveau und der Konsum deutlich gesunken", kommentiert Luis Espada, Direktor Savills Retail Investment Spanien. Schlichter ausgedrückt - wer seinen Arbeitsplatz verloren hat, kauft keine neue Sofagarnitur. Und eben auch keine neue Wohnung.
Die Immobilienbranche hat bereits reagiert. Für 2009 waren ursprünglich Einzelhandelsbauvorhaben von 1,1 Millionen Quadratmeter geplant, rechnet das Immobilienunternehmen Savills vor. Einkaufszentren zum Beispiel mit den allgegenwärtigen Kaufhäusern El Corte Inglés oder der Supermarkt Eroski. Inzwischen ist die Fläche auf 360.000 Quadratmeter reduziert worden. Viele spanische Bauträger verschieben den Beginn neuer Projekte offenbar auf 2011, da sie erst dann mit einer Erholung der Nachfrage nach Einzelhandelsflächen und besseren Finanzierungsmöglichkeiten rechnen, heißt es in einer Mitteilung von Savills.
Das spanische Siechtum ist nicht nur Problem für die heimische Wirtschaft. Es ist auch eines für die EU. Denn Spanien hat in der Vergangenheit um die 0,4 Prozent zum jährlichen Wirtschaftswachstum der EU beigetragen, so die Ökonomin Hochberg. "Die nächsten Jahre werden von strukturellen Anpassungsprozessen geprägt sein und dieser Beitrag dürfte voraussichtlich deutlich niedriger ausfallen."
Tatsächlich ist die Regierung nun strategisch gefordert. Das spanische Modell - der immobiliengestützte Aufschwung - "ist zum Stillstand gekommen", so Fondsmanager de Bondt gegenüber manager-magazin.de. "Und längerfristig wird die Frage sein, ob das Land die Wirtschaft wieder in die Spur heben kann, indem sie neue Wachstumsindustrien schafft. Das ist die entscheidende Frage - und derweil muss die Haushaltsdisziplin aufrechterhalten werden."
Die Aufgabe würde noch schwieriger werden, höbe die Europäische Zentralbank (EZB) die Leitzinsen an. Denn mit höheren Zinsen würden sich Immobilien noch schlechter verkaufen. Und ganz so unwahrscheinlich ist eine Zinssteigerung nicht. Im Oktober zum Beispiel sagte Lorenzo Bini Smaghi zwar, dass "einstweilen nicht" mit einer Zinserhöhung zu rechnen sei. Aber das Direktoriumsmitglied der EZB versicherte auch, die Zentralbank werde "die Zinsen anheben, (...) wenn das angemessen ist".
Eine erste Anhebung erwartet zum Beispiel Elga Bartsch, Europa-Chefvolkswirtin bei Morgan Stanley, Mitte 2010. Rücksicht auf Spanien dürfte dabei kaum genommen werden. Denn zu viel steht auf dem Spiel. Verpatzt die EZB den "Exit", den Ausgang aus der aktuellen wirtschaftsumhegenden Niedrigzinspolitik, dann droht der Wirtschaft ein kräftiger Rückfall in die Krise, so die gängige Einschätzung. Viel Zeit hat die spanische Regierung also nicht.