Weniger Schulden Wie der Arbeitsmarkt den Staat entlastet
Berlin - Es kommt eben doch oft anders als gedacht. Zahlreiche Experten haben im Laufe der Wirtschaftkrise immer wieder davor gewarnt: Wenn die Auftrags- und Absatzschwäche der Unternehmen nur lange genug anhalte, werde sich das massiv auf den Arbeitsmarkt auswirken. Das wiederum würde den Konsum beeinträchtigen und den Staatshaushalt belasten, hieß es - die Wirtschaftskrise geriete in die zweite Runde.
Seit einiger Zeit schon zeichnet sich nun aber eine andere Entwicklung ab. Der Arbeitsmarkt zeigt sich überraschend robust, einen dramatischen Anstieg der Erwerbslosenzahlen erwartet inzwischen unter Fachleuten kaum noch jemand.
Erst am Donnerstag etwa veröffentlichte die Bundesbank diese Ansicht in ihrem Monatsbericht. Trotz einer geringen Kapazitätsauslastung, so heißt es dort, sei aus heutiger Sicht "auch für die nähere Zukunft nicht mit einem scharfen Anstieg der Arbeitslosigkeit zu rechnen". Zwar stehe vor allem im verarbeitenden Gewerbe und im Verkehrs- und Logistikbereich "eine Anpassung der Beschäftigung" bevor. Das dürfte aber teilweise durch Neueinstellungen in anderen Wirtschaftszweigen ausgeglichen werden, so die Bundesbank.
Vor allem Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) kann sich darüber freuen. Denn für den Hüter der Staatskasse bedeutet die Entwicklung einerseits einen geringeren Rückgang der Steuereinnahmen als befürchtet, zum Beispiel bei der Lohnsteuer. Andererseits werden Sozialausgaben entlastet, die ebenfalls zum Teil aus dem öffentlichen Haushalt gespeist werden.
Die Folge: Der Staat gerät nicht so stark in die roten Zahlen, wie bislang vermutet. Unterm Strich, so gab das Finanzministerium heute in seinem Monatsbericht bekannt, könnte die Nettokreditaufnahme schon im Jahr 2009 unter den beschlossenen 49,1 Milliarden Euro bleiben. Den Betrag, der stattdessen am Ende des Jahres auf der Rechnung stehen könnte, wollte das Ministerium zwar nicht beziffern. Experten spekulieren aber, dass es weniger als 40 Milliarden Euro werden könnten.
Auch im Finanzministerium wird der vergleichsweise milde Abschwung am Arbeitsmarkt als Begründung für die leichte Entspannung der Staatsfinanzen herangezogen. "Der Arbeitsmarkt hat sich - entgegen den Erwartungen - als deutlich robuster erwiesen, so dass ein starker Anstieg der Arbeitsmarktausgaben bisher ausblieb", schreibt Staatssekretär Walther Otremba.
So weit, so erfreulich. Aber wie kommt es eigentlich, dass der Arbeitsmarkt so erfreulich gelassen auf die Krise reagiert? Ist tatsächlich die vielzitierte Kurzarbeit das Wundermittel, als das sie vielfach dargestellt wird? Die Antwort überrascht ein wenig, denn auch an dieser scheinbaren Gewissheit sind offenbar Zweifel angebracht.
Die dämpfende Wirkung lässt nach
Ein weiterer Blick in den Bundesbank-Bericht zeigt: Dass der Arbeitsmarkt in der Krise so stark bleibt, führen die Experten in Frankfurt nur zum Teil auf den massiven Einsatz von Kurzarbeit zurück. Wichtiger seien andere Instrumente gewesen, heißt es.
Die Bundesbank nennt speziell Arbeitszeitkonten und die Möglichkeit zur befristeten Arbeitszeitverkürzung unter Lohnverzicht. Bemerkenswert: Sie befindet sich mit dieser Einschätzung im Einklang mit einer Umfrage, die die Hans-Böckler-Stiftung unter Betriebsräten gemacht hat.
Auch dabei kam heraus: Die Arbeitnehmervertreter erwarten für die nächsten Monate zwar geringfügig Stellenverluste, aber keine Entlassungswellen. "Die Betriebe haben erstaunlich vielfältige Wege gefunden, um in der Krise zumindest große Teile ihrer Stammbelegschaft zu halten", so Alexander Herzog-Stein, Arbeitsmarktforscher vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Stiftung. "Denn die Unternehmensleitungen wissen: Sie brauchen diese Beschäftigten, wenn es wieder aufwärts geht."
Zwar sei in knapp 30 Prozent der Unternehmen bereits die Stammbelegschaft verkleinert worden. Viele Jobs konnten laut Umfrage jedoch gerettet werden. Und das - so stellt auch die Hans-Böckler-Stiftung fest - liege nicht nur an der viel gelobten Kurzarbeit.
Nur 20 Prozent der Betriebe nutzen Kurzarbeit
Grund dafür seien vielmehr vor allem flexible Arbeitszeitmodelle in den Unternehmen wie etwa Arbeitszeitkonten. Darauf hätten die Arbeitnehmer in den Boomjahren 2007 und 2008 viele Überstunden angespart. 30 Prozent der Firmen hätten diese Möglichkeit in der Krise genutzt, nur 20 Prozent hingegen hätten von der Kurzarbeit Gebrauch gemacht, heißt es.
Das Problem ist jedoch: Die dämpfende Wirkung dieses Faktors auf den Arbeitsmarkt dürfte künftig nachlassen. Zwar geraten im Verlauf der Krise immer mehr neue Unternehmen in Schwierigkeiten, bei denen die Arbeitszeitkonten noch prall gefüllt sind. Grundsätzlich jedoch, so WSI-Experte Herzog-Stein, dürfte das Gros der Arbeitszeitkonten allmählich ausgeschöpft sein. "Im kommenden Jahr dürfte die Arbeitslosigkeit daher stärker zunehmen als 2009", lautet seine Prognose.
Die Frage ist nur, wie stark. Klar ist laut Herzog-Stein, dass es zu den noch vor Jahresfrist vielfach befürchteten fünf Millionen Arbeitslosen wohl nicht kommen wird. Damit teilt er die Meinung fast aller Ökonomen. Die Wirtschaftsweisen etwa gehen in ihrem vergangene Woche veröffentlichten Jahresgutachten für die Bundesregierung für das kommende Jahr von weniger als vier Millionen Arbeitslosen aus.
Schäubles Rechnung geht zum Teil auf
Wie viele es genau werden, hängt nach Einschätzung des WSI-Fachmanns von zwei Faktoren ab. Erstens: Wird die Regelung, dass Kurzarbeit für 24 Monate beantragt werden kann, ins kommende Jahr verlängert? In Berlin wird dies zurzeit diskutiert.
Zum Hintergrund: Gesetzlich vorgesehen ist, dass Kurzarbeit für lediglich sechs Monate beantragt werden kann. Bei besonderen Verhältnissen auf dem Arbeitsmarkt - wie sie derzeit vorliegen - kann diese Frist jedoch auf 24 Monate ausgedehnt werden. Eine solche Verordnung liegt zurzeit vor. Sie endet zwar mit dem Jahr 2009 - alles deutet jedoch auf eine Verlängerung hin.
Zweite, deutlich entscheidendere Voraussetzung: Irgendwann braucht die Wirtschaft wieder Wachstumsimpulse. Denn nur, wenn für die Unternehmen eine echte Besserung der Lage in Sicht ist, werden sie dauerhaft von Entlassungen absehen.
Vor dem Hintergrund verstehen sich auch die Worte, mit denen Staatssekretär Otremba die geplanten Steuersenkungen der Bundesregierung verteidigt: "Nicht zuletzt mittels einer wachstumsorientierten Steuerpolitik werden wir schnell und effektiv Wachstumshemmnisse beseitigen", schreibt der Ministeriale im Monatsbericht. Durch gezielte Maßnahmen werde der Weg zu einer sich selbst verstärkenden Belebung geebnet.
Kritiker werfen der Bundesregierung vor, die Staatsverschuldung unverantwortlich in die Höhe zu treiben, um die Krise in den Griff zu bekommen. Wie derzeit zu sehen ist, geht aber zumindest ein Teil der Rechnung von Finanzminister Schäuble auf: Gelingt der Aufschwung am Arbeitsmarkt, so hat das wiederum entlastende Wirkung auf die Staatsfinanzen.
Mit Material von Nachrichtenagenturen