Atomkraft Stromstoß für Deutschland
Hamburg - Deutschland steht vor der kleinen Atomwende, und die Börse reagiert zuerst darauf: Die Aktienkurse der Energiekonzerne steigen. Die Notierung des hiesigen Branchenprimus' Eon beispielsweise ist nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses am Sonntag im folgenden Handel um 8 Prozent in die Höhe gegangen, der Aktienpreis des zweitgrößten hiesigen Energieunternehmens RWE legte seitdem um etwa 4 Prozent zu - und überrundete damit die Kursentwicklung des Frankfurter Aktienleitindexes.
Deutschlands wichtigstes Börsenbarometer Dax hat es seit Montag nur auf das vergleichsweise geringe Plus von etwa 2 Prozent gebracht - und dann auch noch unter tätiger Mithilfe der Stromaktien selbst, deren eigener Kursaufschwung den Dax mit in die Höhe gezogen hat. Diese bemerkenswerte Stärke der Energieaktien kommt nicht von ungefähr.
Rund elf Jahre nachdem die erste rot-grüne Bundesregierung die Abschaltung der deutschen Atomkraftwerke auf Zeit durchgesetzt hat, wird die neue Bundesregierung aus CDU und FDP diesen Zeitrahmen wohl nach Möglichkeit verlängern. "Wir sind nicht die Handlanger der Energiekonzerne, aber wir wollen längere Laufzeiten der Atomkraftwerke", sagte Joachim Pfeiffer zu manager-magazin.de, der energiepolitische Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion.
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat dann auch bereits angekündigt, mit der FDP über die Zukunft der deutschen Atommeiler verhandeln zu wollen - und diese Gespräche dürften nicht kontrovers ausfallen. "Wir müssen jetzt Klarheit schaffen, was aus der Kernenergie als Brückentechnologie wird. Und deshalb klären wir diese Frage auch in den Koalitionsgesprächen, davon gehe ich fest aus. Wir wollen die Atomenergie als Brückentechnologie, und so, wie ich es vernehme, will das auch die CDU", sagte Gudrun Knopp zu manager-magazin.de, die energiepolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion. Kommenden Montag sollen die Beratungen der CDU- und FDP-Verhandlungsführer beginnen, welche Gesetze und Regeln in den kommenden vier Jahren geändert werden sollen.
Das politische Berlin hat sich dann auch schon auf die kleine Atomwende eingestellt. "Ich gehe fest davon aus, dass solch eine Regelung, mit der die Laufzeiten der Atomkraftwerke verlängert werden, sehr schnell in dem Koalitionsvertrag von CDU und FDP zu lesen sein wird", sagte Hans-Josef Fell zu manager-magazin.de, der energiepolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion.
Zusatzgewinne für Energieforschung
Den Energieunternehmen brächte die Verlängerung der Laufzeit nach Meinung der Landesbank Baden-Württemberg einen Milliardengewinn, der - abhängig vom jeweiligen Strompreis und dem Ausmaß der Laufzeitverlängerung - zusammen im zweistelligen Bereich liegen würde. Blieben die Meiler beispielsweise zehn Jahre länger am Netz als bisher geplant, also bis zum Jahre 2023, würde Eon bei einem Megawattpreis von 51 Euro nach Berechnung der Banker 8,3 Milliarden Euro zusätzlich verdienen, RWE striche 6,1 Milliarden Euro ein und EnBW immerhin noch 3,8 Milliarden Euro; aktuell kostet eine Megawattstunde (Spitzenlast) am Spotmarkt der Europäischen Energiebörse 82 Euro, im August waren es knapp 50 Euro.
Allerdings sind nach Expertenmeinung auch erhebliche Investitionen in die Atomanlagen nötig, um sie für die längere Laufzeit fit zu machen. Schon jetzt sind so viele Atomkraftwerke aus Wartungsgründen außer Betrieb, wie noch nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik. Zudem werden die Energieunternehmen voraussichtlich nicht alles von dem behalten dürfen, was unter dem Strich als Zusatzertrag übrig bleiben wird, sofern CDU und FDP die hiesigen Atomkraftwerke tatsächlich länger am Netz lassen. Beide Parteien fordern im Gegenzug einen dicken Scheck von den Energieriesen zugunsten der Bundeskasse.
"Ein beträchtlicher Teil von diesen Summen sollte für einen staatlichen Fonds oder eine Stiftung abgezweigt werden, die Forschung im Bereich erneuerbarer Energien und Energieeffizienz finanziert. Und auch die Verbraucher müssen etwas davon haben, dass die Konzerne ihre Kraftwerke länger betreiben und damit Gewinne erzielen", sagte CDU-Energieexperte Pfeiffer.
Für Deutschlands Energieunternehmen scheint das kein Problem zu sein. Wenn durch längere Laufzeiten zusätzliche Gewinne entstünden, würden die mit den Steuerzahlern geteilt - wie genau, ließ RWE-Chef Jürgen Großmann zuletzt noch offen: "Ich glaube, dieses Gespräch sollte ich mit Bundeskanzlerin Angela Merkel führen", sagte er der ARD.
Die künftige Bundesregierung wird dennoch mit Gegenwind für ihr Programm zur Laufzeitverlängerung rechnen müssen. Noch bevor sie überhaupt im Amt ist, bevor der Koalitionsvertrag von CDU und FDP fixiert ist, planen Deutschlands Naturschützer Demonstrationen gegen Deutschlands neues Regierungsbündnis in Berlin.
"Weil viele Menschen gegen Atomkraftwerke sind, werden wir diese Mitbürger natürlich auch dazu aufrufen, vor Unterzeichnung des Koalitionsvertrages möglichst massiv in Berlin gegen die Laufzeitverlängerung zu demonstrieren", sagte Thorben Becker zu manager-magazin.de, Sprecher der Naturschutzorganisation Bund. "Der erste Termin steht schon fest."