Tarifstreit Der erste Mindestlohn purzelt
Frankfurt/Main - In der Branche mit mehr als 850.000 Beschäftigten wird es ab Donnerstag keine tariflich festgelegte Untergrenze für den Stundenlohn mehr geben. Schon bislang verdienten die Putzfrauen und -männer nicht üppig. Rund 75 Prozent der Beschäftigten müssen sich laut Gewerkschaft mit dem bisherigen Mindestlohn von 8,15 Euro (West) oder 6,58 Euro (Ost) begnügen. Mehr als die Hälfte putzt auf der Basis von Mini-Jobs.
Mit dem Auslaufen des Tarifvertrags sinken die Untergrenzen bei Neueinstellungen auf 5,71 Euro beziehungsweise 4,61 Euro, das sind jeweils 30 Prozent unter dem niedrigsten Tarifgehalt und damit nach dem Gesetz gerade noch nicht sittenwidrig. Für die Stammbelegschaften gelten noch die alten Sätze, doch die Dumpingangebote auf der Grundlage der neuen Untergrenzen dürften nicht lange auf sich warten lassen, sagen die Arbeitgeber vom Bundesinnungsverband.
Die Tarifpartner haben sich seit Januar in insgesamt sechs Runden nicht auf einen Nachfolgevertrag einigen können. Zwischen der Forderung nach 8,7 Prozent mehr Geld und den auf 21 Monate angebotenen 3 Prozent liegen offenbar unüberbrückbare Schluchten. IG-BAU-Vorstand Frank Wynands sieht die Reiniger von der Wirtschaftskrise nicht so schwer getroffen wie andere: "Die Branche ist besser aufgestellt, als sie selber vorgibt."
"Wo nicht gearbeitet wird, wird auch nicht gereinigt", hält Geschäftsführer Johannes Bungart vom Innungsverband dagegen. Die Umsatzrendite vor Steuern liege bei den Unternehmen zwischen zwei und drei Prozent und wenn es den Kunden schlecht gehe, forderten diese unverhohlen die Solidarität ihrer dauerhaften Dienstleister ein. Reinigungsverträge würden auf diesem Weg extrem kurzfristig beendet, Kurzarbeit und Entlassungen seien die unausweichliche Folge.
Offiziell stehen die Zeichen also auf Streik, doch ob er größere Ausmaße annimmt, erscheint fraglich. So ganz ist der Gesprächsfaden nie abgerissen in den wechselvollen Verhandlungen seit Januar, die von gegenseitigen Schuldzuweisungen, Abbrucherklärungen und Terminstreitigkeiten bestimmt waren. Selbst nach der Erklärung des Scheiterns seitens der IG BAU vom August gab es noch Kontakte und Vieraugengespräche, wie aus Verhandlungskreisen berichtet wird.
Dass sie sich übermäßig viel Zeit bis zu einem Arbeitskampf lasse, weist die Gewerkschaft zurück: "Innerhalb der Friedenspflicht durften wir den Arbeitskampf nicht mit einer Urabstimmung vorbereiten", sagt Sprecherin Sigrun Heil. Mit dem Monatswechsel soll daher alles recht flott gehen: Zwei Wochen für die Urabstimmung, begleitet mit ersten Warnstreiks und spätestens im November Arbeitskampf. Die nicht vorgeschriebene Urabstimmung will die IG BAU zur Mobilisierung ihrer Leute nutzen.
Um die Streikfähigkeit der IG BAU ist es in der mittelständisch geprägten Branche mit rund 12 Milliarden Jahresumsatz aber nicht so gut bestellt. Nur rund 10 Prozent der Mitarbeiter sollen organisiert sein, ganze Betriebe kann man damit nicht lahmlegen. Ähnlich wie im Bauhauptgewerbe wird die Gewerkschaft daher zu einer Taktik der Nadelstiche greifen. Büros, Schulen, Flughäfen oder Krankenhäuser dürften die bevorzugten Ziele ihrer Aktionen sein.
Von Christian Ebner, dpa