Kommentar Und jetzt? Das Rundum-Grausam-Programm?
Die Wahl ist gelaufen. Jetzt wird's ernst: Harte Einschnitte und/oder Steuererhöhungen und/oder steigende Sozialabgaben wird es in der nächsten Legislaturperiode geben müssen. Andernfalls droht der Verlust der Geldwertstabilität, weil Inflation dann der einzige Ausweg wäre - mit allem, was dazu gehört: Vermögensvernichtung, Verteilungskämpfe, gesellschaftliche Unruhe.
Schwarzmalerei? Die kommende bürgerliche Koalition muss schnell die Schulden begrenzen. Sonst werden sie außer Kontrolle geraten.
Für die unerprobten Schwarz-Gelben ist das eine Aufgabe von sagenhafter Größe. Sparen ohne Wachstum ist wie Zahnarzt ohne Betäubung.
Wenn man bedenkt, was FDP und CSU den Wählern alles versprochen haben - Steuersenkungen mit angeblichem Selbstfinanzierungseffekt -, dann kann man sich leicht ausmalen, was die nächsten Jahre bringen werden. Enttäuschung bei den Wählern, Zoff innerhalb der Parteien, eifernde Lobbyisten und eine linke Drei-Parteien-Opposition, die, zu Recht, auf der Zinne sein wird. Verglichen mit der vergangenen Legislaturperiode kommt jetzt eine äußerst holprige Fahrt, die durchaus dazu angetan ist, die Insassen aus dem Wagen zu schleudern. Ob das neue Bündnis über die ganze Legislaturperiode hält - wir werden sehen.
Hier sind ein paar Eckdaten, was die neue Regierung erwartet: Der Wachstumspfad - das Potenzialwachstum - für die kommenden Jahre dürfte bei etwa 1 Prozent liegen; etwa ein Drittel niedriger als vor der Krise. Ein so niedriges Wachstum aber heißt: Der Konsolidierungsbedarf ist umso größer, weil die Schulden umso schwerer wiegen.
Doch bislang gibt der Staat immer noch mehr Geld aus. Die Finanzpolitik ist enorm expansiv. Viele Bestandteile des Konjunkturprogramms entfalten erst 2010 ihre volle Wirkung. Das Haushaltsdefizit wird bei 6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) liegen, doppelt so hoch, wie es der Euro-Stabilitätspakt erlaubt. Selbst wenn die Staatsausgaben ab 2011 eingefroren würden, wäre es bei einem Potenzialwachstum von 1 Prozent nicht möglich, im nächsten Jahrzehnt zu einem ausgeglichenen Staatshaushalt zurückzukehren. Zu diesem Schluss zwingen Berechnungen der Europäischen Zentralbank für das gesamte Euro-Gebiet.
Kaum vorstellbar, dass es gelingen kann, gemäß der gerade beschlossenen "Schuldenbremse" in den kommenden Jahren das Staatsdefizit zurückzuführen (gemäß der Beschlüsse soll das Defizit im Bundeshaushalt bis 2016 auf höchstens 0,35 Prozent des BIP sinken, die Länderhaushalte sollen bis 2020 strukturell ausgeglichen sein).
Zugleich steigt die Schuldenlast immer weiter: Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat ausgerechnet, dass die Staatsschuld bis 2014 auf mehr als 90 Prozent des BIP steigt. Es kann aber durchaus noch schlimmer kommen - wenn mehr Staatsbürgschaften fällig werden als gedacht oder das Wachstum schwächer bleibt oder beides.
Der Staat in der Bewegungsstarre
90 Prozent Schulden - das mag nicht weiter schlimm klingen. Schließlich haben die Japaner ihre Schulden in vorigen Jahrzehnt nach einer Blase dramatisch in die Höhe getrieben - auf inzwischen mehr als 200 Prozent. Und? Ist der japanische Staat etwa zahlungsunfähig? Sind die Zinsen oder die Inflationsraten explodiert? Nein, in der Tat bisher nicht. Aber diese Erfahrungen auf andere Länder zu übertragen und daraus zu schließen, man könne die Staatsschulden ruhig weiter auflaufen lassen, wäre fahrlässig.
Beunruhigend ist die langfristige Schuldendynamik. Die Schuldenstandsquote liegt bald fünfmal so hoch wie 1970, doppelt so hoch wie 1990, ein Drittel höher als 2007. Und die Alterung der Gesellschaft setzt gerade erst ein: Bereits heute geht zusammen fast die Hälfte des Bundeshaushalts für Zinsen (42 Milliarden Euro) und den Zuschuss zur gesetzlichen Rentenversicherung (80 Milliarden) drauf. Die fortschreitende Alterung der Gesellschaft und die steigende Verschuldung drohen, den Staat in die völlige Bewegungsstarre zu manövrieren.
Der Staatshaushalt ist eine Funktion der Sozialversicherungen. Wer Steuersenkungen verspricht - und auch derjenige, der keine Steuererhöhungen verspricht -, der muss Sozialleistungen brutal kürzen. Bei den größten Ausgabenposten nämlich. Zum Beispiel: die Rentengarantie streichen und das Renteneintrittsalter weiter erhöhen, die Bezugsdauer des Arbeitslosengelds wieder verkürzen, das Elterngeld und andere teure Subventionen für die Mittelschichten schleifen, die private Krankenversicherung in ihrer heutigen Form abschaffen ...
Die Liste möglicher Grausamkeiten ist lang. Dazu gehört auch: größtmögliche Kosteneffizienz in der Energie- und Klimapolitik (Schluss mit den absurden Subventionen für die Sonnenenergienutzung in Deutschland, dafür aber die Verlängerung der Restlaufzeiten von Atomkraftwerken). Dazu gehört auch: höhere Mehrwertsteuer, höhere Spitzensteuersätze bei der Einkommensteuer, höhere Sozialversicherungsbeiträge, höhere Grundsteuer.
Ein Rundum-Grausam-Programm, das vielen Bundesbürgern eine Menge abverlangt. Und für das sich keine der künftig regierenden Parteien im Wahlkampf ein Mandat geholt hat. Für eine gelingende Konsolidierung sind das nicht gerade gute Voraussetzungen.
Gibt es Alternativen? Natürlich.
So sieht mein Worse-Case-Szenario: Munitioniert mit dem schlagkräftigen Argument "Die Banken kriegen 500 Milliarden und für Rentner/Kinder/das Klima ist kein Geld da!" reicht die Bundesregierung weitere Sozialleistungen und Subventionen aus, senkt hier und da Steuern und Abgaben. Der Schuldenstand steigt noch schneller als erwartet. Die hohe Kreditaufnahme (und steigende Inflationserwartungen) lassen die Zinsen empfindlich anziehen, so dass die Belastung für den Bundeshaushalt umso größer wird. Da andere Euro-Staaten in der gleichen Situation sind, drängen sie die EZB von Zinserhöhungen abzusehen und die überschüssige Liquidität beim Ausklingen der Finanzkrise nicht wieder einzusammeln. Die Inflation zöge deutlich an, in Regionen von sagen wir 10 Prozent (wie in den 70er Jahren - so lange ist das noch nicht her).
Dies ist, wie gesagt, ein Worse-Case-, kein Worst-Case-Szenario. Das sähe etwa so aus: Hyperinflation, Zerbrechen der Euro-Zone, Handelskrieg, Dauerkrise ... (Siehe unsere Debatte " Wie wir aus der Schuldenfalle kommen" vom Frühjahr.)
Dann doch besser das Rundum-Grausam-Programm?
Wie gesagt, der kommenden Regierung steht eine raue Fahrt bevor.