Rezessionsende "Die Wende ist noch nicht da"
Hamburg - Deutschland spreizt die Finger - zu einem kräftigen "V". Der Buchstabe, so hoffen Unternehmenslenker, Politiker und Beschäftigte, könnte zur Vorlage für den ersehnten Aufschwung werden: einmal kräftig runter, und dann genau so steil wieder rauf.
"Wir werden in der zweiten Jahreshälfte eine V-förmige Erholung sehen", sagt etwa Unicredit-Volkswirt Andreas Rees, nachdem das Statistische Bundesamt die Zahlen zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) für das zweite Quartal vorgelegt hatte.
Diese geben tatsächlich Anlass zu Optimismus. Erstmals seit Anfang 2008 steigt die Wirtschaftsleistung wieder - sie lag im zweiten Quartal überraschend um 0,3 Prozent höher als im Vorquartal. Damit geht die heftigste Rezession in der Geschichte der Bundesrepublik zu Ende. Zu Jahresbeginn war die Konjunktur mit 3,5 Prozent so stark eingebrochen wie noch nie.
Die Talfahrt ist also gestoppt, aber was kommt jetzt? Fassen die Unternehmen mit einem Schlag neuen Mut und weiten ihre Investitionen aus? Kaufen die Verbraucher wieder unbeschwerter ein, weil sie weniger um ihre Arbeitsplätze fürchten? Wünschenswert wäre es, dass sich nun eine Positivspirale in Gang setzt. Ganz selbstverständlich wird es dazu jedoch nicht kommen, denn noch lauern zahlreiche Risiken auf dem Weg zur echten Wirtschaftswende.
Probleme könnte der Konjunktur bei ihrem Erholungsversuch vor allem das Phänomen bereiten, dass die Krise in ihrer vollen Schärfe in Teilen der Wirtschaft und auf dem Arbeitsmarkt noch gar nicht angekommen ist. So ist die Welle von Firmenpleiten gerade erst ins Rollen gekommen. Sie wird die Kreditbücher des ein oder anderen Geldinstituts noch erheblich belasten.
Krisen-Déjà-vu mit Folgen
"Die Banken könnten noch manche Leiche im Keller haben", sagt der Konjunkturexperte am Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut (HWWI), Jörg Hinze. In den USA ist bei vielen Banken bereits zu beobachten, dass Kreditausfälle die Gewinne schmälern. Folgerichtig verschärfen Geldhäuser in einer solchen Lage die Kreditbedingungen - und Firmen müssen sich auf die nächste Phase der Kreditklemme einstellen. "Ein solches Szenario birgt großes Risikopotenzial", sagt Hinze.
Dagegen spricht, dass Politik und Notenbanken nahezu alles dafür gegeben haben, dass Banken wieder Gewinne machen - und derzeit zumindest die größeren Institute kaum noch um die eigene Existenz bangen müssen. Stattdessen streichen sie eine kräftige Differenz zwischen niedrigen Leitzins und deutlich darüberliegenden Kreditzinsen ein.
Selbst wenn die Banken jedoch als Scharnier der sich erholenden Wirtschaft wieder mehr oder weniger funktionieren, steht der Aufschwung in Deutschland auf unsicherem Grund. Ein Krisen-Déjà-vu mit Folgen droht vor allem auf dem Arbeitsmarkt. Noch ist es auf den Fluren der Arbeitsämter weitgehend ruhig. Die Unternehmen haben bisher auf Massenentlassungen verzichtet - der großzügigen Kurzarbeitsregelung sei Dank.
Das kann aber nur vordergründig darüber hinwegtäuschen, dass es in den Fabriken noch lange nicht wieder so viel zu tun gibt wie vor ein, zwei Jahren. "Und nichts deutet darauf hin, dass die Unternehmen die schwache Auslastung zügig steigern können", sagt Konjunkturforscher Roland Döhrn vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung (RWI). "Der jüngste Zuwachs bei Auftragseingängen und Exporten wird sich nicht einfach fortsetzen", sagt HWWI-Kollege Hinze. Es reicht eben nicht aus, dass Firmen jetzt wieder ihre Läger füllen. "Die konjunkturelle Wende ist noch nicht da."
Die Zuwächse bei der Produktion dürften nach Ansicht von Döhrn sogar noch eine Weile hinter dem Produktionsfortschritt zurückbleiben - mit anderen Worten: Es würden noch weniger Arbeitskräfte gebraucht. "Die Unternehmen dürften nun allmählich ihre Beschäftigung an die gesunkene Kapazitätsauslastung anpassen."
Risikofaktor Energie
Im Herbst, spätestens im Winter, dürfte es in diesem Szenario so weit sein: Die Firmen bauen Arbeitsplätze ab. Damit aber sinkt die Konsumbereitschaft. Auch der, der seinen Arbeitsplatz noch sicher hat, spart aus Angst vor dem möglichen Absturz. "Es besteht die Gefahr, dass wir in eine neue Negativspirale geraten", sagt Hinze. Das RWI rechnet mit 4,6 Millionen Arbeitslosen am Jahresende 2010.
Zudem laufen im kommenden Jahr große Teile der staatlichen Konjunkturhilfen aus. So verschärft das Ende der Abwrackprämie die Lage in Teilen der Automobilindustrie noch einmal. "Volkswagen wird da Probleme bekommen", erwartet Hinze.
So bleibt die Hoffnung, dass sich die Nachfrage aus dem Ausland doch kräftig erhöht. Asien dürfte dabei eher das Zeug zum Hoffnungsträger haben als die USA mit ihren krisengebeutelten Hausbesitzern und Arbeitslosen. "Die Firmen holen jetzt Investitionen nach", sagt Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer gegenüber manager-magazin.de. Das könne durchaus einen Aufschwung von 2 Prozent im kommenden Jahr tragen.
Mitspielen müssen da aber auch die Rohstoffmärkte, die zuletzt beängstigend nervös nach oben ausschlugen, wenn es positive Nachrichten von der Konjunkturfront gab. Zudem ist das Preisniveau beim Rohöl mit gut 70 Dollar um ein Vielfaches höher als zu Beginn des letzten Aufschwungs in den Jahren 2003 und 2004.
Immerhin hat sich die Wirtschaft nicht zuletzt durch den Preisschock vom Sommer 2008 - der Ölpreis knackte die 150-Dollar-Marke - weiter umgestellt und die Abhängigkeit vom schwarzen Gold erneut verringert. Und selbst die traditionell verschwenderischen US-Amerikaner haben das Spritsparen entdeckt - was nicht zuletzt deren Konsumfreude an anderer Stelle beflügeln kann.
Im abgelaufenen Quartal hatten gesunkene Sprit- und Gaspreise den Verbraucher sogar teilweise höhere Realeinkommen beschert und somit die Binnennachfrage gestärkt. Weiterer Rückenwind von sinkenden Ölpreisen ist aber nicht zu erwarten. Stattdessen rechnet RWI-Forscher Döhrn mit einem negativen Effekt für den Konsum: "Auch wenn die Energiepreise konstant bleiben, dürfte die Inflation wieder anziehen."