Volkswagen/Porsche Selbst die Börse ist verwirrt
Hamburg - Zumindest die Familie Porsche/Piëch hat einen Kompromiss gefunden. Clanchef Wolfgang Porsche gibt sein Ziel auf, mit einer Aktienmehrheit an Volkswagen den Wolfsburgern einen Gewinnabführungs- und Beherrschungsvertrag aufzuzwingen. Cousin Ferdinand Piëch verzichtet auf seinen Plan, den Spieß umzudrehen und Volkswagen zum Porsche-Eigentümer zu machen.
Stattdessen soll ein neues, gemeinsames Unternehmen entstehen. "Einen König gibt es in dieser Gruppe nicht mehr", frohlockt Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer von der Universität Duisburg-Essen. Endlich kehre Ruhe ein, Europas größter Autokonzern könne sich auf die Jagd auf Weltmarktführer Toyota konzentrieren.
Doch eine Fusion unter Gleichen ist kaum vorstellbar - zu ungleich sind die Partner. Volkswagen baut 6 Millionen Autos im Jahr, Porsche 100.000. Für Volkswagen arbeiten 370.000 Menschen, für Porsche 12.000. Volkswagen setzt 114 Milliarden Euro im Jahr um, Porsche 7,5 Milliarden. Volkswagen hat fast 11 Milliarden Euro Nettoliquidität, Porsche dank seiner riskanten Übernahmepläne 9 Milliarden Euro Nettoschulden.
Die Stuttgarter gründen ihre Macht auf die Mehrheit der VW-Stammaktien, müssen sich aber mit dem Land Niedersachsen und den Beschäftigten arrangieren. Zwei unvermutete Bremsklötze stoppten ihren Siegeszug: Die Europäische Kommission ließ von ihrem Widerstand gegen das VW-Gesetz ab, das Niedersachsen eine Sperrminorität zusichert. Und die Hausbanken stellten die Finanzierung des Megadeals infrage.
"Porsche stellt sich auf eine Stufe mit Seat"
Nun ist die Supermacht aus Zuffenhausen kleinlaut. "Unter einer einheitlichen Führungsgesellschaft sollen in der Endstruktur zehn Marken nebeneinanderstehen", teilt Porsche mit - und beeilt sich, zu versichern, dass "die Eigenständigkeit aller Marken und damit auch von Porsche gewahrt bleibe". Doch das heißt nur, dass dem 911er kein VW-Emblem auf die Front gepappt wird und der Porsche Cayenne nicht um ein Fünftel billiger als VW Touareg verkauft werden muss. Hätte Volkswagen die Macht in Stuttgart übernommen, würde es wohl kaum anders laufen.
"Porsche stellt sich selbst auf eine Stufe mit Seat", sagt deshalb Analyst Frank Schwope von der NordLB. "Die Mitteilung ist sehr unterwürfig formuliert." Allerdings sei damit die Machtfrage keineswegs geklärt. Die Familie Porsche werde sich schwertun, anderen Einfluss auf ihr Unternehmen zu geben. Vielleicht könnten auch in der neuen Gesellschaft Porsche-Stammaktionären (also der Familie) Sonderrechte eingeräumt werden, das wäre aber rechtlich schwierig.
Auf der anderen Seite bedeutet eine Fusion, dass das Land Niedersachsen als wichtigster Porsche-Gegenspieler seine bei Volkswagen garantierte Sperrminorität aufgibt: Das VW-Gesetz gilt für einen neuen Konzern nicht zwangsläufig, Niedersachsens Kapitalanteil würde durch die Porsche-Aktien verwässert. "Niedersachsen müsste an einer Kapitalerhöhung teilnehmen", sagt Schwope - das würde aber den klammen Landeshaushalt wohl überfordern. "Wenn das nicht möglich ist, wird man sich etwa den Unternehmenssitz Wolfsburg oder eine Sperrminorität per Satzung zusichern lassen."
Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) weiß: Allein kann er nichts bewegen, aber ohne ihn geht auch nichts. Aus der Staatskanzlei in Hannover hieß es, Niedersachsen erwarte, dass die Porsche-Eignerfamilien sich mit dem Land über die künftige Eigentümerstruktur beraten. Ähnlich machtbewusst klingt der Volkswagen-Betriebsratschef. "Für uns ist derzeit völlig offen, zu welchem Ergebnis die Verhandlungen führen werden", sagte Bernd Osterloh auf einer Betriebsrätekonferenz in Wolfsburg. "Wir betrachten dies erst einmal als Sondierungsgespräche." Kein Wunder, hat doch sogar sein Porsche-Kollege Uwe Hück die Porsche-VW-Front durchbrochen: "Ich kämpfe dafür, dass das VW-Gesetz auch bei Porsche gilt", verkündet der einst treue Mitkämpfer von Porsche-Chef Wendelin Wiedeking nun.
Wie aus diesem Gewirr von Interessen eine "einheitliche Führungsgesellschaft" entstehen soll, ist unklar. Zusammenschluss von Porsche SE und Volkswagen AG, Führung durch eines der beiden Unternehmen, Schaffung einer neuen Holding - alles ist denkbar. "Wie das Ganze vonstatten geht, wissen die Cousins und Cousinen wahrscheinlich selbst noch nicht", meint NordLB-Analyst Schwope. Ganz unvorbereitet stürzen sie sich seiner Meinung nach aber nicht in das Abenteuer. "Wenn man vier Wochen als Frist setzt, sind wichtige Vorgespräche schon geführt worden", sagt Schwope. "Es kann aber auch sein, dass Porsche unter Druck steht."
Die rätselhafte Hausse der VW-Aktie
Schwerer tut er sich damit, die Reaktion der Börse zu erklären. Während die Porsche-Vorzugsaktien am Donnerstag um 15 Prozent und mehr nachgaben, stiegen die Stammaktien von Volkswagen nach kurzer Tauchfahrt klar ins Plus und hielten sich über 230 Euro. "Ich bin überrascht, dass die VW-Stammaktien nicht deutlich im Minus sind", sagt Schwope. "Das ist nicht plausibel zu erklären."
Hintergrund: Der Börsenwert der VW-Stämme wird nach einhelliger Marktmeinung seit Jahren durch Spekulation auf eine Übernahme durch Porsche übertrieben. Im vergangenen Oktober kletterte der Kurs sogar über 1000 Euro, nachdem Porsche erklärt hatte, die VW-Mehrheit über Optionen schon in der Tasche zu haben. Etliche Investoren, die auf fallende Kurse nach einem Erfolg der Übernahme gewettet hatten, wurden von dem plötzlich dünnen Aktienangebot auf dem falschen Fuß erwischt und mussten mit großem Verlust nachkaufen. Selbst als sich dieser Short-Squeeze auflöste, hielt sich der Kurs über 200 Euro.
Als einziger Kurstreiber blieb noch die Möglichkeit, dass Porsche seinen Anteil auf 75 Prozent erhöht, um einen Beherrschungsvertrag durchzusetzen. Doch das scheint nun endgültig vom Tisch zu sein. "Dadurch müsste die Luft raus sein und die Aktie fallen", meint Schwope. "Die Stammaktien müssten irgendwo zwischen 50 und 100 Euro tendieren." Damit lägen sie näher am Kurs der Vorzugsaktien, die keine Stimmrechte bringen und deshalb von der Übernahmespekulation unberührt blieben, den Börsenwert des Unternehmens also realistischer wiedergeben.
Eine mögliche Erklärung für den rätselhaften Kurs der VW-Aktie liefert Michael Punzet von der DZ Bank. "Man sollte berücksichtigen, dass Porsche zu Ende Januar rund 4,5 Milliarden Euro Barmittel zur Verfügung hatte", heißt es in seinem Kurzkommentar. Porsche könne "versuchen, seinen zukünftigen Anteil an der neuen Gesellschaft zu erhöhen und mehr VW-Stammaktien kaufen". Auch VW-Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch könnte versuchen, auf diesem Weg seine Position im Machtpoker zu verbessern. Im vergangenen Jahr habe seine Porsche GmbH Austria ja bereits 2,4 Prozent der Anteile erworben.
Der deutliche Kursverfall der Porsche-Aktien ist schon leichter zu erklären. Die Familie Porsche/Piëch hat sich auf eine Kapitalerhöhung verständigt, um Porsche mit geringerer Schuldenlast in die Fusion zu führen. Eine Größenordnung von vier bis fünf Milliarden Euro gilt als realistisch - vielleicht mithilfe des Emirs von Katar. "Das ist schwer zu glauben", findet Georg Stürzer von Unicredit. Schließlich habe Porsche nach heutigem Börsenwert nur 1,4 Milliarden Euro genehmigtes Kapital. Eine außerordentliche Vollversammlung müsste beschließen, die Zahl der Aktien um rund die Hälfte zu erhöhen - und den Wert der bestehenden Papiere entsprechend zu verwässern.
Welche Anteile die verschiedenen Beteiligten schließlich an der neuen Gesellschaft halten, so Stürzer, hänge von einer Bewertung durch unabhängige Wirtschaftsprüfer ab. Der Prozess hin zu einem endgültigen Deal könne lange dauern und Klagen mit sich bringen. Die Porsche- und Piëch-Clans hätten beide im Vergleich zur bisherigen Übernahmestrategie verloren. Die Einigung der Familien habe "mehr neue Rätsel als Antworten" gebracht, lautet sein Fazit.
In vier Wochen wissen wir mehr - falls Porsche die selbstgesetzte Frist halten kann.