Quartalsbilanz Daimlers neue Fesseln
Hamburg - Das sollte wohl ein "Basta" sein. Befragt danach, wie viel Geld Daimler mit dem Chrysler-Abenteuer in zehn Jahren verloren hat, antwortete der Finanzchef des Konzerns: "Ich betrachte das als eine historische Frage - auf die ich nicht mehr zu antworten habe."
Am Abend vor der Veröffentlichung der Quartalszahlen hatte Daimler seine endgültige Loslösung von Chrysler melden können. Endlich ein Schlussstrich unter das verlustreiche Drama, kurz bevor der waidwunde US-Hersteller möglicherweise über die Klippe rollt und in die Insolvenz stürzt.
Nun stand Uebber Analysten und der Presse Rede und Antwort. Er betonte, dass dank der getroffenen Vereinbarung von Chryslers Hauptinvestor Cerberus keine Rechtsstreitigkeiten mehr drohten und sagte erleichtert: "Das Kapitel ist abgeschlossen."
Cerberus übernimmt den verbliebenen Daimler-Anteil von 19,9 Prozent. Den Ausstieg lässt sich der Stuttgarter Autobauer einiges kosten und schreibt die Rückzahlung von Darlehen ab, die man Chrysler einst gewährt hatte. Außerdem werden die Schwaben in den nächsten Jahren Millionen Dollar Pensionszahlungen zur Absicherung der Mitarbeiter des früheren gemeinsamen Unternehmens leisten. Das werde das Ergebnis im zweiten Quartal mit 529 Millionen Dollar belasten. Und dennoch ist das eine gute Nachricht für den Konzern, denn die Rückzahlung hätte in den Sternen gestanden.
Gute Nachrichten kann Daimler gut gebrauchen. Die Zahlen, die Cheffinanzer Uebber heute vorlegen musste, sind schwindelerregend. Von Januar bis März ist ein Verlust von 1,3 Milliarden Euro aufgelaufen. Das operative Ergebnis betrug 1,4 Milliarden Euro, während es im Vorjahreszeitraum noch bei 1,9 Milliarden gelegen hatte. Der Quartalsumsatz sank um knapp ein Viertel und belief sich auf 18 Milliarden Euro.
E-Klasse schlecht für die Absatzzahlen
Ausschlaggebend für diese Bilanz sind die sklerotischen Absatzzahlen. Daimler verkaufte im abgelaufenen Vierteljahr 332.300 Pkw und Nutzfahrzeuge, ein Einbruch von 34 Prozent. Damit traf es Daimler von den drei Premiumherstellern am härtesten. BMW musste Einbußen von rund 22 Prozent verkraften, Audi konnte den Rückgang dank relativ neuer Modellreihen auf 17 Prozent begrenzen.
Die Börsen reagierten entsprechend. Bis zum Nachmittag verlor die Aktie mehr als 7 Prozent an Wert. Analysten hatten im Durchschnitt mit einem Minus von 811 Millionen Euro gerechnet.
Die Perspektiven für das Gesamtjahr sind ebenfalls nicht rosig. Laut Daimler wird der Absatz 2009 deutlich unter dem Vorjahresniveau von 2,1 Millionen Fahrzeugen bleiben, und auch der Umsatz wird die 2008er-Marke von 96 Milliarden Euro nicht annähernd erreichen.
Daimler begründet das dicke Minus vor allem mit der Absatzkrise, die derzeit die gesamte Branche beutelt. Hinzu komme die Einführung der neuen E-Klasse. "Vor einem Modellwechsel werden in der betroffenen Klasse immer weniger Autos verkauft", stimmt NordLB-Analyst Frank Schwope zu. Aber: "Das kann in diesem Fall nur ein Teil der Erklärung sein."
Die Probleme könnten tiefer liegen, als es der Konzernvorstand heute wahrhaben wollte. Uebber erklärte nämlich, man rechne damit, den Tiefpunkt der Krise erreicht zu haben. Im zweiten Quartal erwarte er sinkende Verluste und steigende Pkw-Verkäufe, nur bei den Nutzfahrzeugen bleibe die Lage schwierig. Doch Schwope hat daran Zweifel: "Die Krise könnte noch länger anhalten."
Der Analyst sieht einen generellen Trend zu kleineren Autos, der Mercedes auch künftig noch schwer zu schaffen machen werde. Derzeit springt in vielen Ländern der Absatz von Kleinwagen in die Höhe, weil die Regierungen die Verschrottung von Altautos mit Abwrackprämien ankurbeln. Je billiger der dann gekaufte Neuwagen, desto größer fällt die prozentuale Ersparnis dank einer fixen Prämie aus.
Die Wirtschaftskrise lasse viele Autofahrer auch grundsätzlich umdenken. "Sie kaufen oft eine Klasse niedriger", sagt Schwope. "Bei Mercedes reicht vielen nun die C-Klasse anstelle der E-Klasse." Andere stellen möglicherweise fest, dass das Modell eines Massenherstellers wie VW auch ausreichend ist. Die vergleichsweise guten Absatzzahlen bei Volkswagen oder Opel lassen diesen Schluss zu. Ein exaktes Bild ergibt sich aber erst, wenn die Abwrackprämie ausgelaufen ist.
"Nur ein paar Hindernisse ausgeräumt"
Immerhin kann Daimler im Kampf gegen die große Autokrise durchaus auch Erfolge verbuchen. Die Unabhängigkeit von Chrysler gehört dazu. Obwohl der Schritt nochmals Abermillionen kostet, wurde die Aussicht auf die Abschreibungen bereits auf der Daimler-Hauptversammlung kurz vor Ostern einhellig beklatscht.
Uebber kündigte weitere Einschnitte an, in einer Gesamthöhe von vier Milliarden Euro. Dazu gehört auch eine Vereinbarung zwischen Konzernbetriebsrat und Personalvorstand Erich Klemm, die am Nachmittag bekanntgegeben wurde: Allen deutschen Beschäftigten, die nicht ohnehin schon in Kurzarbeit sind, wird die Arbeitszeit um 8,75 Prozent gekürzt - ohne Lohnausgleich. Die Kurzarbeiter erhalten geringere Zuschüsse auf das Kurzarbeitergeld der Arbeitsagenturen. Und eine bereits vereinbarte Tariferhöhung von 2,1 Prozent wird von Mai auf Oktober verschoben. Für diese Zugeständnisse erhält die Belegschaft eine Beschäftigungsgarantie bis Juni 2010.
Nach Ansicht von Branchenkennern reicht das alles nicht, damit Daimler wieder richtig Fahrt aufnimmt. "Es sind lediglich ein paar Hindernisse aus dem Weg geräumt", sagt einer. Aufgrund der schwachen Absatzzahlen dürfte sich Daimler nun intensiver nach Kooperationsmöglichkeiten umsehen. "Der Druck wird größer", so Analyst Schwope.
Eine vertiefte Zusammenarbeit von Daimler mit BMW ist bereits seit Monaten im Gespräch. Am Dienstag wich die Daimler-Spitze Fragen nach dem Potenzial einer Kooperation aus. Zuvor war in einem Pressebericht über eine bereits unterschriftsreife Lösung spekuliert worden.
Aus den Konzernen war aber bereits verlautet, dass beispielsweise die gemeinsame Beschaffung von Teilen denkbar sei. Bedingung: Die Baugleichheit dürfe für den Kunden nicht sichtbar sein. Denn Daimler und BMW wandeln als Premiumhersteller auf einem schmalen Grat. Einerseits machen die vergleichsweise geringen Produktionszahlen einen gemeinsamen Einkauf notwendig. Andererseits legt eine Kooperation den Autobauern Fesseln an und beschränkt die Entscheidungsfreiheit.
Daimler fehle jedoch inzwischen die Masse für die vollständige Eigenständigkeit, ist sich Analyst Schwope sicher. "Das Thema Kooperation wird die nächste Baustelle."
Daimler-Baustellen: Zetsches Pensum