Konjunkturprogramme "Die Vermachtung der Märkte"
mm.de: Herr Haucap, In der Krise nimmt der Staat die Wirtschaft an die Hand, wo er kann - mit Bürgschaften, Krediten und Kapital. Im krassen Gegensatz dazu sollten staatliche Eingriffe zuvor meist die Marktmacht von Ex-Monopolisten und Oligopolen beschneiden. Erleben wir einen Paradigmenwechsel?
Haucap: Von einem Paradigmenwechsel zu sprechen, ist aus meiner Sicht noch zu früh. Aber es ist zu beobachten, dass die Politik einzelnen Sektoren massiv hilft. Die Abwrackprämie, die den Autoabsatz fördern soll, ist da nur ein Beispiel und steht für eine momentane Tendenz. Ich hoffe aber, dass sich das ganze nach der Krise wieder beruhigt.
mm.de: Verursachen die Hilfen denn bleibende Schäden?
Haucap: Wenn der Staat Unternehmen gezielt retten will, besteht die Gefahr, dass er große Unternehmen bevorzugt. Es ist ganz klar - 26.000 Arbeitsplätze wie bei Opel zu sichern ist viel publikumswirksamer, als viele kleine Unternehmen zu erhalten, die in der Summe vielleicht genauso viele Arbeitsplätze haben. Dadurch kommt es zu einer starken Konzentration, zu einer Vermachtung der Märkte. Die großen Konzerne überleben am Ende der Krise möglicherweise, die Kleinen fallen dagegen hinten runter.
Die Gefahr ist, dass man die Unternehmen zuerst rettet, denen es am schlechtesten geht. Wenn diese stattdessen ausfallen würden, würde ein anderes Unternehmen davon profitieren, weil es dann Aufträge gewinnen würde. Das tut es nicht, wenn es eine Rettungsaktion für den Konkurrenten gibt. Diese kann also die Situation für alle Unternehmen erschweren.
mm.de: Manche Beobachter erwarten wegen der Wirtschaftskrise eine Insolvenzwelle ungekannten Ausmaßes. Würde diese dem Wettbewerb nicht ebenfalls stark schaden, wenn die Unternehmensvielfalt in einzelnen Branchen abnimmt?
Haucap: Das ist prinzipiell möglich, aber es ist immer die Frage, welche Markteintrittsbarrieren bestehen - wie gut es also möglich ist, langfristig wieder in den Markt zurückzukommen. Normalerweise ist das Ausscheiden einzelner Unternehmen ja auch eine Chance für Unternehmen, die jetzt noch sehr klein sind. Dafür darf der Staat aber nicht selektiv die großen Unternehmen unterstützen und die kleinen sterben lassen.
"Hilfen für Telekom-Branche sinnvoller als für Autoindustrie"
mm.de: Welchen Symbolwert hat Opel in diesem Punkt?
Haucap: Einen sehr hohen. Wenn der Staat Opel mit aller Gewalt retten will, ist das schon sehr bedenklich, weil das Unternehmen schon länger in Schwierigkeiten steckt. In der Vergangenheit wollten zu wenige Leute einen Opel kaufen, weil die Modelle den Leuten anscheinend nicht gefallen haben. Wer wenig gefragte Modelle baut, sollte vom Markt verschwinden. Man kann die Kunden nicht dazu verpflichten, Opel zu kaufen.
mm.de: Gegenwärtig sprechen sich Politiker überwiegend für den Zulieferer Magna als Investor bei Opel aus und gegen Fiat. Eine legitime Einmischung?
Haucap: Die Politik kann nicht den besten Unternehmer aussuchen. Wenn es gleich mehrere Unternehmen gibt, die Opel übernehmen wollen, ist das eine fantastische Situation. Dann sollte der Investor zum Zug kommen, der das beste Konzept vorlegt und den bisherigen Anteilseigner das beste Angebot macht. Ich würde da politisch keine Präferenz äußern wollen. Ich glaube auch nicht, dass ein Wirtschaftsministerium beurteilen kann, wer in fünf Jahren bessere Autos baut.
mm.de: Weltweit helfen Staaten ihren Industrien. Wer das nicht jetzt tut, verliert als Standort möglicherweise lang an Wettbewerbskraft.
Haucap: Der Staat muss nicht alle Unternehmen retten, die in Deutschland Autos herstellen, um den Automobilstandort Deutschland zu erhalten. Die deutsche Autoindustrie hätte nichts davon, wenn Opel künstlich am Leben gehalten wird. Es geht ja nicht um das einzige deutsche Autounternehmen, sondern eines von vielen, das anderen zudem möglicherweise noch Aufträge wegnimmt.
Und was die Abwrackprämie angeht - Daimler-Chef Dieter Zetsche hat sich nicht umsonst gegen dieses Instrument ausgesprochen, das vielen deutschen Herstellern gar nichts bringt. Damit hilft die deutsche Regierung der deutschen Autoindustrie ja gar nicht wirklich, sie schadet ihr womöglich sogar mittelfristig damit, weil sich die Nachfrage momentan zugunsten von Kleinwagen verschiebt, die oftmals nicht aus Deutschland kommen.
mm.de: Überschätzt die Regierung die Bedeutung der deutschen Autoindustrie für das Land?
Haucap: Langfristig betrachtet sind die geplanten Hilfen für Infrastrukturmaßnahmen wie beispielsweise die Telekommunikationsbranche sinnvoller. Wenn der Staat dabei hilft, weiße Flecken bei der Breitbandversorgung zu beseitigen, ist das nachhaltig. Das sind Investitionen in die Infrastruktur, die sonst möglicherweise nicht getätigt worden wären, so aber allen auch in Zukunft nützen. Für die Autoindustrie wird dagegen nichts nachhaltig geschaffen.