Betriebsräteskandale "Den Funktionären Pfründen abtrotzen"
mm.de: Herr Brüderle, warum ziehen Sie mit der FDP kurz vor der Bundestagswahl gegen Deutschlands Betriebsräte zu Felde?
Brüderle: Machen wir gar nicht, im Gegenteil. Mit diesem Gesetzentwurf wollen wir die Unabhängigkeit der Betriebsräte stärken. Die FDP setzt sich seit Jahren für eine Verbesserung der betrieblichen Mitbestimmung beispielsweise über betriebliche Bündnisse für Arbeit ein. Die Bedeutung der Betriebsräte als Interessensvertretung der Belegschaft soll dadurch grundsätzlich erhöht werden. Arbeitnehmer müssen sich dann aber auch darauf verlassen können, dass ihre Belegschaftsvertreter unabhängig, frei von Interessenskonflikten und integer in ihrem Sinne agieren. Mit meiner Gesetzesinitiative sollen Betriebsräte also gestärkt werden.
mm.de: Aber Sie wollen jetzt doch sogar die Verfassung ändern lassen, damit Betriebsräte nicht mehr wie bisher mit Vorständen und Managern verhandeln können, oder?
Brüderle: Auch zukünftig sollen Betriebsräte in Partnerschaft mit der Unternehmensführung Verantwortung bei der Entwicklung des eigenen Unternehmens tragen. Mit der vorgeschlagenen Anpassung des Betriebsverfassungsgesetzes soll die Integrität dieser Mitentscheidung gestärkt werden. Die Arbeitnehmer müssen die Möglichkeit bekommen, Verfehlungen von Betriebsräten anzuzeigen. Bisher können Koppelungs- und Kungelgeschäfte zwischen Arbeitnehmer- und Unternehmensvertretern kaum verhindert werden.
mm.de: Waren geschenkte Bordellbesuche und verdeckte Schecks, etwa an Volkswagen- und Siemens-Betriebsräte, bisher nicht eher die Ausnahme als Gegenleistung für gefügige Betriebräte? Der Opel-Betriebsratzchef Franz beispielsweise ist im Gegenteil für viele Opelaner zum Garanten für Belegschaftsinteressen und das Unternehmen selbst geworden - anstelle des Managements.
Brüderle: Koppelungs- und Kungelgeschäfte zwischen Unternehmensführung und Belegschaftsvertretung wurden in den vergangenen Jahren zunehmend für die Öffentlichkeit transparent. Hierbei hat sich gezeigt, dass branchenübergreifend ein ausgeprägter Graubereich der Beeinflussung von Arbeitnehmervertretern besteht. Mir ist es wichtig, zukünftig derartige Verfehlungen durch geeignete Maßnahmen abzubauen und so das Vertrauen der Belegschaft in Interessensvertretungen nachhaltig zu stärken.
Ämterhäufung jetzt verbieten
mm.de: Wie wollen Sie Bestechung von Betriebsräten in Unternehmen denn zukünftig verhindern?
Brüderle: Der Corporate Governance Kodex muss um einen Punkt "Arbeitnehmervertretung" ergänzt werden, der bereits bestehende Anforderungen für die Arbeitnehmervertretung in Aufsichtsräten auf Betriebsräte ausdehnt. Zukünftig sollten beispielsweise Zusammensetzung, Umfang und Bestimmungsparameter der Vergütung von Mitgliedern der Betriebsverfassungsorgane transparent gemacht werden. Bestehende Rechtslücken müssen geschlossen werden. Bestechung im Betrieb muss künftig genauso geahndet werden, wie Bestechung im Geschäftsverkehr.
mm.de: Sie fordern zudem, dass Betriebsräte künftig nicht mehr zugleich in anderen Funktionen tätig sein sollten, etwa als Konzernbetriebsrat oder Aufsichtsrat. Sie selbst allerdings arbeiten zusätzlich zu Ihrem Mandat als Bundestagsabgeordneter auch noch im Beirat der Deutschen Bank mit, bei der Bundesnetzagentur, dem Bundesverband mittelständischer Wirtschaft und auch im Fernsehrat des ZDF. Messen Sie mit zweierlei Maß?
Brüderle: Nein, dass tue ich nicht. Ich habe auch überhaupt nichts gegen Gewerkschaftsmitglieder im Fernsehrat. Mit dem Gesetzentwurf wollen wir nur verhindern, daß der Vorsitzende eines Betriebsrates zugleich in anderen Gremien desselben Unternehmens tätig ist. Das birgt die Gefahr von Interessenkonflikten und Intransparenz. Einfache Betriebsratsmitglieder können nach unseren Vorstellungen weiterhin weitere Funktionen im selben Unternehmen wahrnehmen.
mm.de: Kürzlich wurde eine Kassiererin eines Discounters gefeuert, die auch Betriebsrätin in ihrem Unternehmen war. Angeblich ausschließlich deshalb, weil sie mit Altglasrechnungen im Cent-Bereich unehrlich gewesen sei. Brauchen Deutschlands Betriebsräte nicht gerade in der aktuellen Wirtschaftskrise mehr Schutz als mehr Kontrolle?
Brüderle: Der Gesetzesvorschlag zur Stärkung der Integrität von Betriebsverfassungsorganen und ihrer Mitglieder zielt darauf ab, Belegschaftsinteressen zukünftig wirkungsvoller zu schützen. Gleichwohl profitieren zukünftig auch Betriebsräte, da Anreize für eine Beeinflussung ihrer Arbeit durch die Unternehmensführung verringert werden.
"Gesetz so schnell wie möglich einbringen"
mm.de: Sie benötigen als Oppositionspartei die Stimmen vieler anderer Abgeordneter der großen Koalition, um ihren Gesetzesvorschlag durch das Parlament zu bringen. Wie schätzen Sie die Chancen dazu im Vorwahlkampf zur Bundestagswahl ein? Der SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier tritt immerhin schon jetzt an der Seite von Gewerkschaftern vor Opel-Werkstoren auf.
Brüderle: Leider haben Union und SPD das Problem schon seit Jahren ignoriert, wenn nicht sogar vorsätzlich verschwiegen. Es besteht aber die berechtigte Hoffnung, dass unsere Initiative zu einem Überdenken antiquierter Positionen seitens der Koalitionsfraktionen führen wird. Im Kern muss es um den Schutz von Belegschaftsinteressen gehen, nicht um den Schutz von Pfründen einzelner Funktionäre.
mm.de: Angenommen, Sie haben Erfolg: Wie viele Schritte würde sich Ihrer Meinung nach die Bundesrepublik im internationalen Korruptionsvergleichen damit verbessern?
Brüderle: Die vorgeschlagenen Regelungen entsprechen den Empfehlungen der Antikorruptionsorganisation Transparency International nach dem Null-Toleranz-Gebot. Mittelfristig sollten sich daher messbare Verbesserungen einstellen.
mm.de: Wann werden Sie die Gesetzesvorlage in den Bundestag einbringen?
Brüderle: Die Opposition hat ihre Arbeit im Gegensatz zur Bundesregierung nicht eingestellt. Unser Gesetzesvorschlag soll so schnell wie möglich in die parlamentarischen Beratungen eingebracht werden.