US-Konjunktur "Obama wird viel mehr Geld brauchen"
Hamburg - Das Gefühl für Summen ist längst verloren gegangen. 775 Milliarden Dollar will der frisch gewählte Präsident Barack Obama investieren, um die US-Wirtschaft bis Ende 2010 wieder in Schwung zu bringen. Nach dem Willen der demokratischen Mehrheit im US-Kongress sollen es sogar bis zu 850 Milliarden Dollar sein. Das Konjunkturpaket könnte bereits im Februar verabschiedet werden, der neue Präsident nach seiner umjubelten Antrittsrede für Optimismus sorgen.
Kühnes und rasches Handeln ("bold, swift action") hat Obama versprochen. Doch nicht nur an der Wall Street, die am Tag der Vereidigung des neuen Präsidenten ihren Sturzflug fortsetzte, bleibt das mulmige Gefühl: Das wird nicht reichen.
"Präsident Obama wird sehr viel mehr Geld brauchen, um die Folgen der Kreditkrise abzufedern", sagt zum Beispiel Michael Stenger, Portfolio Advisor beim Frankfurter Kreditspezialisten CIS Asset Management AG. "Auf Obamas erstes Konjunkturpaket werden noch weitere, wahrscheinlich deutlich größere Hilfs- und Rettungsprogramme des Staates folgen".
Vier Millionen neue Jobs - oder doch acht Millionen Jobs weniger?
Vier Millionen Jobs will Obama mit Hilfe des "American Recovery and Reinvestment Plan" schaffen. Das Programm dürfte die Wirtschaftsleistung der USA in diesem und im kommenden Jahr um jeweils 220 Milliarden Dollar steigern, haben die Experten Christina Romer und Jared Bernstein im Auftrag des US-Vizepräsidenten Joe Biden errechnet. "Diese Effekte reichen bei weitem nicht aus, um die negativen Auswirkungen der Finanzkrise aufzufangen", meint Stenger. Er erwartet, dass in den USA bis Ende 2010 noch weitere acht Millionen Jobs gestrichen werden - trotz des riesigen Konjunkturpakets.
Ein beunruhigendes Szenario. Die Rezession würde wie ein Zug unter Volldampf in den kommenden zwei Jahren über die größte Volkswirtschaft der Welt hinwegrollen - und auch ein 800 Milliarden Dollar schweres Investitionsprogramm könnte den Zug nur leicht abbremsen, aber keinesfalls aufhalten. Der Staat nimmt Geld in die Hand wie noch nie - und dennoch fällt das US-Bruttoinlandsprodukt in diesem und im kommenden Jahr um jährlich 500 Milliarden Dollar, fehlen am Ende weitere acht Millionen Arbeitsplätze. Obamas erste zwei Jahre im Amt kämen einem Kampf gegen Windmühlen gleich - wenn er nicht rasch nachlegt.
Argumente für ihre düstere Prognose beziehen die Kreditexperten von CIS aus dem Sektor, in dem die Krise ihren Anfang nahm: Dem US-Immobilienmarkt. Der Preisrutsch bei Immobilien, der laut dem maßgeblichen Case-Shiller-Index noch kein Ende gefunden hat, wirkt nicht nur wie eine Vollbremsung auf den US-Konsum - er wirkt auch als bleischweres Gegengewicht auf jedes noch so ambitionierte Konjunkturprogramm.
"Belastungen von 800 Milliarden Dollar - pro Jahr"
"Belastungen von 800 Milliarden Dollar - pro Jahr"
Das erste und größte Gegengewicht ist die schwindende Kaufkraft der US-Bürger, deren Vermögensverlust auch durch Steuersenkungen nicht aufgefangen werden kann. Ein großer Teil des US-Wohlstands war auf spekulativem Immobilienvermögen und damit auf Sand gebaut: Bis zum Jahr 2006 konnten US-Bürger ihre Häuser wie einen Geldautomaten benutzen, indem sie immer höhere Kredite auf ihre damals noch steigenden Häuserwerte aufnahmen.
Etwa die Hälfte dieser jährlichen "Erlöse" von rund 600 Milliarden Dollar sind nach einer Faustregel von Ex-Notenbankchef Alan Greenspan in den privaten Konsum geflossen. Diese 300 Milliarden Dollar fehlen nun. Zudem ist das Immobilienvermögen der US-Bürger seit dem Platzen der Blase bereits um etwa 6 Billionen Dollar gesunken.
Hinzu kommt laut Berechnungen von CIS der Kahlschlag im Immobiliensektor und den damit verbundenen Branchen. Im Jahr 2005 hatte der Wohnungsbausektor, Finanzierungsgebühren und Maklerprovisionen eingeschlossen, noch 6,3 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt der USA beigetragen. Dieser Anteil hat sich fast halbiert. Legt man den Mittelwert der vergangenen fünf Jahre (5,4 Prozent) zugrunde, so entspreche der Rückgang auf aktuell 3,3 Prozent einer Verminderung des Bruttoinlandsproduktes um knapp 250 Milliarden Dollar pro Jahr.
Dritter Belastungsfaktor: Mit den Immobilienmärkten sind auch die Aktienmärkte in die Tiefe gerauscht. Der Vermögenseffekt des Aktienmarktes ist in den USA deutlich höher als in Deutschland, da die Mehrzahl der US-Bürger über Pensionspläne direkt oder indirekt am Markt investiert ist. Seit Mitte 2007 hat sich der S&P 500 Index beinahe halbiert: Die schweren Schäden im Wertpapierportfolio dürften laut CIS dazu führen, dass Anleger zunächst weniger Geld ausgeben und pro Jahr etwa 175 Milliarden Dollar weniger in den Konsum fließen.
"Allein durch diese drei Effekte fehlen der US-Wirtschaft über 700 Milliarden Dollar pro Jahr. Belastungen durch weitere Abschreibungen im Bankensektor sind dabei noch gar nicht eingerechnet", sagt Stenger.
8 Prozent Rückgang würden 8 Millionen Jobs kosten
Trotz der Impulse durch das aktuelle Konjunkturpaket dürfte die US-Wirtschaftsleistung bis 2010 unter dem Strich um rund 500 Milliarden Dollar pro Jahr sinken, was einem Rückgang des US-BIP bis 2010 von rund 8 Prozent entspräche. "Unter der Annahme, dass 1 Prozent Veränderung der Wirtschaftsleistung etwa einer Million Arbeitsplätze entsprechen, droht damit ein Verlust von weiteren acht Millionen Arbeitsplätzen in den USA", warnt der Kreditexperte.
Statt vier Millionen neuer Jobs acht Millionen Arbeitsplätze weniger: Für den US-Arbeitsmarkt, der bereits 2008 einen Abbau von 2,5 Millionen Jobs und damit das schlimmste Jahr seit 1945 erlebt hat, wäre das der Kollaps. Die Arbeitslosenquote von aktuell 7,2 Prozent, dem höchsten Niveau seit 15 Jahren, würde deutlich über die Marke von 10 Prozent steigen - ein Szenario, das sich der mit so vielen Hoffnungen beladene 44. Präsident der Vereinigten Staaten nicht leisten kann.
Crash im Bankensektor als düsterer Vorläufer
Crash im Bankensektor als düsterer Vorläufer
Der aktuelle Ausverkauf im Finanzsektor illustriert, dass die bisher zugesagten Milliardenhilfen des Staates nach Meinung der Anleger nicht ausreichen, um den Sektor zu stabilisieren. Sie befürchten eine weitere Abschreibungswelle und erwarten weitere Hilfen, anderenfalls drohe die Kreditvergabe an Unternehmen zu ersticken.
Dies würde die aktuelle globale Rezession noch einmal dramatisch verschärfen - auf den Ausverkauf im Finanzsektor mit Kursverlusten zwischen 80 und 90 Prozent seit Mitte 2007 könnte es zu einem Ausverkauf auf breiter Front kommen.
In diesem Szenario, das Parallelen zur Großen Depression der 30er Jahre zieht, würde der Dax rund 80 Prozent von seinem bisherigen Hoch verlieren und sogar unter die Marke von 3000 Zählern fallen.
Was also tun? Notfalls mit mehr Geld gegensteuern. Auch Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman, der den "Recovery and Reinvestment Plan" ob seiner Transparenz lobte, fügte in seinem Blog an: Das Programm ist möglicherweise nicht stark genug.
Nur Optimisten wie der texanische Ökonom Joseph McKinney gehen davon aus, dass Obamas Konjunkturprogramm bereits bis Ende des laufenden Jahres für eine Belebung der US-Konjunktur sorgen könnte. Dass die Neuverschuldung der USA von 8 Prozent des BIP im Vorjahr auf 14 Prozent des BIP im laufenden Jahr steigen dürfte, nimmt die Mehrzahl der Ökonomen angesichts der Ausmaße der Rezession in Kauf. Das US-Haushaltsdefizit dürfte in Obamas erstem Amtsjahr die Summe 1,2 Billionen Dollar erreichen, so viel wie nie zuvor.
Gegensteuern: Eine Billion Dollar Defizit pro Jahr
Die US-Regierung, die bereits jetzt mit Unsummen gegensteuert, dürfte den Einsatz noch erhöhen. Ein Staatsdefizit von einer Billion Dollar "dürfte in den nächsten Jahren die Norm werden", meint Peter Anderson, Chief Investment Officer bei RCM, dem Aktienportfoliomanager von Allianz Global Investors.
Die "Zurücknahme fiskalpolitischer Anreize dürfte politisch schwer durchsetzbar werden", meint der Investmentprofi. Sprich: Den Staaten der Welt bleibt kein Weg zurück, sie werden wahrscheinlich immer neue Milliardenprogramme auflegen, bis deren Wirkung auf die Konjunktur spürbar wird.
Anderson rechnet damit, dass allein die US-Regierung in den nächsten Jahren insgesamt rund 6 Billionen Dollar aufbringen wird, um die taumelnde Wirtschaft zu stabilisieren. Zu dem ersten Konjunkturpaket kämen Kapitalspritzen für Finanzinstitute, Autohersteller sowie weit reichende Staatsgarantien hinzu. Die Belastungen für den Steuerzahler seien kaum abzuschätzen - die Flut des Staatsgeldes könne aber schon auf Jahressicht die Aktienmärkte stabilisieren.
Neues Verhältnis zwischen Sparen und Konsum
Schuldendienst statt kreativer Geldvermehrung
CIS-Experte Stenger ist in dieser Hinsicht skeptischer. "Die US-Bürger leben seit vielen Jahren über ihren Verhältnissen - es wird Jahre dauern, die Schulden abzutragen und ein neues Verhältnis zwischen Sparen und Konsum zu erreichen."
Die kreative Geldvermehrung durch "Mortgage Equity Withdrawal" - also der Aufnahme neuer Kredite auf die scheinbar unendlich steigenden Häuserwerte - war seit 2001 für einen Großteil des Wachstums des US-BIP verantwortlich. Dieser Wachstumsmotor ist auf lange Zeit ausgefallen - und immer mehr US-Bürger haben Schwierigkeiten, ihre Schulden zu bedienen.
Bereits jetzt müssen US-Haushalte durchschnittlich 14 Prozent ihres Einkommens für den Schuldendienst aufwenden - in Deutschland wird mit diesem Prozentsatz die gesetzliche Krankenversicherung versichert. Rutschen die Immobilienpreise, wie von Case/Shiller prognostiziert, weiter ab, dürften im Jahr 2010 rund 20 Millionen US-Haushalte das Problem haben, dass ihr Immobilienkredit den Wert des Hauses übersteigt.
"In dieser schwierigen Situation werden auch die angekündigten Steuererleichterung keine nennenswerten Auswirkungen auf den Konsum haben - die Mehrzahl der Bürger dürfte Steuerschecks dazu nutzen, ihre Schulden zu bedienen", schätzt Stenger. Er sieht weitere schwierige Jahre auf die US-Konjunktur zukommen, die wie keine andere vom privaten Konsum abhängig ist.
"Der Aktienmarkt hat sein Tief noch nicht gesehen", meint der Kreditexperte. Er hält es für wahrscheinlich, dass bereits in Obamas erstem Amtsjahr ein zweites, milliardenschweres Konjunkturprogramm folgen wird.
Obamas Krisenpolitik: "Sinnvoll ausgegebenes Geld"