GM/Chrysler "Gelesen, gelacht, gelocht!"
mm.de: General Motors streckt seine Finger nach Chrysler aus. Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass es auch zum Zugriff kommt?
Becker: Da beide sterbenskrank sind ist die Wahrscheinlichkeit insofern groß, als man dann gegenüber dem Staat mehr Macht hat, Subventionen zu erpressen. Auch hielte sich dann der Gesichtsverlust in engeren Grenzen als wenn nur einer von beiden Konzernen spektakulär aus dem Markt ausscheidet.
mm.de: Wer hat den größeren Handlungsdruck, GM oder Chrysler-Besitzer Cerberus?
Becker: Eigentlich Cerberus, weil hier der Zwang zur Rettung des eingesetzten Heuschreckenkapitals erheblich größer ist als bei GM. Kerkorian hat sich ja dort schon rechtzeitig zurückgezogen; hätte er mich gefragt, wäre er gar nicht erst eingestiegen.
Das Gleiche gilt übrigens auch für das Engagement von Cerberus bei Chrysler: Wäre dort auch nur ein Funken analytischer und strategischer Verstand vorhanden gewesen, hätte man von Anfang an die Finger davon gelassen. Mein 2006 erschienenes Buch "High Noon in the Automotive Industry" hat - mit Ausnahme von Daimler-Chef Zetsche - offensichtlich keiner gelesen, da stand das schon drin.
mm.de: Was würde sich an den massiven Problemen der beiden Hersteller durch einen Zusammenschluss eigentlich ändern?
Becker: Nichts. Wenn sich zwei Kranke in ein gemeinsames Bett legen ergibt das noch keinen Gesunden. Die Zeit dieser Unternehmen ist einfach abgelaufen, ich halte eine Rettung gegenüber der übermächtigen Konkurrenz aus Asien und Europa - VW ante portas - nicht mehr für möglich. Da fehlt es eigentlich an allem: an Geld, wettbewerbsfähigen Produkten und vor allem an einem fähigen Management. Die jetzige Krise ist ja schon fast zwei Jahrzehnte alt und hat sich lange angekündigt. Ohne jegliche Konsequenz!
mm.de: Wäre eine Fusion in dieser Größe nicht auch mit massiven Arbeitsplatzverlusten verbunden? Von welcher Größenordnung gehen Sie aus? Ist das angesichts der bevorstehenden Wahlen überhaupt politisch durchzusetzen?
Becker: Arbeitsplatzverluste für die beiden betroffenen Unternehmen ja, aber nicht notwendigerweise für die amerikanische Automobilindustrie. Amerikaner sind ja bekanntlich sehr mobil. Die Arbeiter von GM und Chrysler haben immer noch die Chance bei Volkswagen, Toyota und Co im gewerkschaftsfreien Süden der USA anzuheuern. Diese Unternehmen prosperieren weiter, die jetzige Finanzkrise dauert ja nicht ewig. Ob mit oder ohne Fusion: Per saldo gehen zigtausende Arbeitsplätze verloren. Vor der Wahl passiert aber nichts mehr.
"Opel könnte allein marschieren"
mm.de: Was würde dieser Zusammenschluss für die deutsche GM-Tochter Opel bedeuten?
Becker: Ich habe bereits vor zwei Jahren vergeblich versucht, mit dem Betriebsratsvorsitzenden Franz von Opel Kontakt aufzunehmen, um ihm den Plan eines Management-Buy-outs schmackhaft zu machen. In der Verselbständigung sehe ich den einzigen Weg, um Opel aus der Konkursmasse von GM herauszuhalten.
Die Marke Opel hat in Deutschland und Europa immer noch einen hohen Wert, Opel baut gute Autos zu vernünftigen Preisen: kurz Opel für sich genommen ist wettbewerbsfähig und könnte allein marschieren. Gegen den Willen der Belegschaft geht das nicht, nur mit der Belegschaft. Ich bin sicher, die Belegschaft würde bei einer solchen Lösung mitziehen und würde sich sogar finanziell engagieren, nur müsste der Betriebsratsvorsitzende eine Leitfigur abgeben, keine Leidfigur. Aus Arbeitnehmern würden dann plötzlich Unternehmer, der Motivationsschub wäre ein ungeheurer, wir hätten endlich eine richtige "soziale Marktwirtschaft mit Gewinnbeteiligung".
Mit Carl-Peter Forster, den ich als früheren BMW-Kollegen sehr schätze, hätte man überdies einen tüchtigen Manger, der so etwas von der Managementseite stemmen könnte. Kapital für so etwas wäre sicher in Deutschland aufzutreiben.
mm.de: Welche Konsequenzen hätte das Zusammengehen von GM und Chrysler für die deutschen und japanischen Hersteller?
Becker: Gelesen, gelacht, gelocht!
mm.de: Welche Perspektive hat der US-Markt?
Becker: Da die amerikanischen Konsumenten den Kauf von Automobilen in Zukunft wieder mit selbst verdientem Geld bezahlen müssen und nicht mehr mit in China, Europa und sonstwo gepumptem, wird der Markt wohl zunächst strukturell schrumpfen. Es werden weniger Autos gekauft werden, ich schätze so etwa ein bis zwei Millionen per annum.
mm.de: Könnten deutsche Hersteller, zum Beispiel aus München und Stuttgart, dem US-Beispiel, so es denn zustande kommt, schon bald folgen?
Becker: Dazu besteht absolut keine Notwendigkeit, da die angesprochenen Unternehmen im Gegensatz zu ihren US-Kollegen hochwertige Autos bauen, die auch in Zukunft im Prinzip ihre Käufer finden. Weil das aber aus anderen Gründen nicht mehr so viele sein werden, sollte man hier mutig ohne Rücksicht auf persönliche Eitelkeiten den Weg der Kooperation gehen, das heißt den Weg einer "Als-ob"-Fusion ohne Verlust der Selbstständigkeit. So was braucht ein hohes Maß an gegenseitigem Vertrauen, das geht nicht von heute auf morgen, das muss man einüben.
Der ehemalige BMW-Chefvolkswirt Helmut Becker ist Leiter des Instituts für Wirtschaftsanalyse und Kommunikation in München und Autor zahlreicher Fachbücher zur Automobilindustrie.