AUB Wenn Betriebsräte handzahm werden
Hamburg - Heribert Fieber ist ein Gewerkschafter der unfolgsamen Sorte. Er wehrte sich, als der Siemens-Konzern Hunderte von Arbeitsplätzen am Standort Hofmannstraße abbauen wollte. Unter seiner Führung widersprach der Betriebsrat jeder einzelnen betriebsbedingten Kündigung. Kurzum: Fieber, knapp 30 Jahre lang Arbeitnehmervertreter, fiel manchem Konzernsanierer zur Last. Schon bald bekam er Gegenwind zu spüren.
Der IG-Metaller traute seinen Augen nicht, als er eines Morgens im November 2003 zur Arbeit ging. Auf mehreren Großplakaten rund um das Siemens-Areal prangte sein Name - in wenig schmeichelhaftem Kontext: "Fieber, Filz und Führungsschwäche. Das haut den stärksten Standort um!" Ein weiterer Slogan lautete: "Lasst die IG Metall ihr blaues Wunder erleben. Fieber stoppen. Hofmannstraße retten." Plumpe Wortspielereien, initiiert von der "Arbeitsgemeinschaft Unabhängiger Betriebsangehöriger". Kurz: AUB.
Betriebsratswahlen standen an, und Fieber sollte offenbar abgelöst werden. Der langjährige Vorsitzende war völlig verblüfft, schließlich hatte er mit den AUB-Mitgliedern im Betriebsrat bislang weitgehend problemlos zusammengearbeitet. Beschlüsse wurden oft einstimmig getroffen. Als er die betreffenden Kollegen wegen der Plakataktion zur Rede stellte, bekam er zu hören: "Das kommt von ganz oben."
Ganz oben, damit war der AUB-Chef gemeint. Ein Mann Namens Wilhelm Schelsky. "Den kannte ich damals gar nicht", sagt der Ex-Betriebsrat heute, "wieso hat er mich also persönlich angegriffen?". Fieber wunderte sich auch, woher die AUB das Geld für eine derartige Aktion nahm. Von den Jahresbeiträgen, damals acht Euro pro Mitglied? Wohl kaum.
Heute stellt sich der Fall klarer dar. Schelsky sitzt seit Februar 2007 in Untersuchungshaft. Die Vorwürfe lauten unter anderem auf Steuerhinterziehung und Beihilfe zur Untreue. Siemens hatte einen Beratervertrag mit Schelsky abgeschlossen, millionenschwere Zahlungen flossen. Diese waren nach Ansicht der Ermittler für den Aufbau der AUB bestimmt - als arbeitgeberfreundlicher Gegenpol zur IG Metall. Von einem "merkwürdigen und fehlgeleiteten Verhalten" spricht der neue Siemens-Chef Peter Löscher, der sich im November bei Beschäftigten und Betriebsräten entschuldigte.
"Jetzt erst recht!"
"Jetzt erst recht!"
Die AUB-Affäre bei Siemens ist ein Lehrbeispiel dafür, wie einzelne Konzerne immer wieder versuchen, den Einfluss der Arbeitnehmervertreter zu untergraben. Auch der Lebensmitteldiscounter Aldi Nord hat offenbar über eine Anwaltskanzlei Gelder an Schelsky überwiesen. Als Gegenleistung sollten laut Medienberichten Aldi-Betriebsräte von einem AUB-Mann geschult werden. Verdi hat deshalb Strafanzeige gegen Aldi Nord erstattet. Zu diesem juristischen Mittel hatte die Gewerkschaft im März schon einmal gegriffen: Damals zeigte sie den Briefdienstleister Pin an, der die Gewerkschaft Neue Brief- und Zustelldienste (GNBZ) finanziell unterstützt haben soll.
Der Wirtschaftsethiker Christoph Lütge von der Universität Witten/Herdecke erkennt bereits eine Tendenz der Konzerne, sich "eigene" Gewerkschaften oder möglichst angenehme Betriebsräte schaffen zu wollen. "Gerade im Dienstleistungsbereich sollen dort, wo es noch Betriebsräte gibt, wenigstens die etablierten Gewerkschaften herausgehalten werden", sagte Lütge in einem Interview.
Das Phänomen der sogenannten gelben Gewerkschaften, die Streiks ablehnen und der Geschäftsleitung nahestehen, entstammt den Zeiten des Klassenkampfs. Anfang des 20. Jahrhunderts bildeten sich in Deutschland vereinzelt solche Gruppierungen. Ihr Ziel: Opposition gegen die streitlustigen "roten Gewerkschaften", Kuschelkurs gegenüber der Geschäftsleitung. Das barg stets die Gefahr, als Vasallen des Unternehmens eingespannt zu werden - gegen finanzielle Unterstützung.
Die AUB selbst betrachtet sich freilich nicht als gelbe Gewerkschaft: Die Organisation sei weder antigewerkschaftlich noch arbeitgeberfreundlich, erklärte Vorsitzender Rainer Knoob in einer schriftlichen Stellungnahme zur Aldi-Affäre. Wegen der Aktivitäten Schelskys lasse sich die AUB "nicht in Sippenhaft nehmen".
Ihre Betriebsräte seien nicht "bestochen, manipuliert oder genötigt" worden, betont die AUB. Ein Rückzug kommt hingegen nicht infrage: "Wenn es die AUB nicht gäbe, man müsste sie erfinden", verkündete die Arbeitsgemeinschaft in einem Mitgliederschreiben, "jetzt erst recht!" Seit Juli 2007 hat die Organisation einen neuen Vorstand: fünf Arbeitnehmervertreter namhafter Unternehmen wie Airbus, Commerzbank oder Phonehouse. Mit dieser neuen Spitze kämpft die AUB weiterhin um Betriebsrats- und Aufsichtsratsmandate.
"Millionen sind flöten gegangen"
"Millionen sind flöten gegangen"
Auf der Liste der "Unabhängigen" kandidieren AUB-Vertreter beispielsweise bei den anstehenden Betriebsratswahlen am Siemens-Standort München-Perlach. Seit Bekanntwerden der Affäre hat die Liste bei Wahlen jedoch deutlich an Stimmen verloren, sagt Matthias Jena von der IG Metall. "Es stellt sich die Frage, wie die AUB sich halten kann,", so der Gewerkschaftssprecher, "nachdem ihr die Millionen flöten gegangen sind".
Auch Markus Promberger gibt der Organisation keine guten Chancen bei künftigen Betriebsratswahlen: "Ich glaube, die AUB ist diskreditiert", sagt der Gewerkschaftsexperte des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Die Bedeutung von Konkurrenzorganisationen in deutschen Betriebsräten sei generell "verschwindend gering".
Klarer Sieger der AUB-Krise: Die etablierten Gewerkschaften. Im Siemens-Aufsichtsrat ist die IG Metall inzwischen konkurrenzlos, die einzige AUB-Vertreterin ist ausgeschieden. Auch beim Flugzeugbauer Airbus bejubelt die Metallergewerkschaft Stimmenzuwächse.
Im 40-köpfigen Betriebsrat des Airbus-Standorts Hamburg sitzen zehn Mitglieder der Liste "Die Freien", darunter auch AUB-Vertreter. "Die spielen keine Rolle im täglichen Geschäft der Betriebsräte", sagt Daniel Friedrich von der IG Metall Küste. Derzeit ordnen Arbeitnehmervertreter die Airbus-Mitarbeiter in neue Gehaltsgruppen ein - entsprechend dem neuen Gehaltstarifvertrag. Doch die "Freien" seien an dieser Arbeit nicht beteiligt, sagt Friedrich. Der Grund: Die AUB ist ein reiner Berufsverband, keine tariffähige Gewerkschaft.
Das Fehlen ernsthafter Konkurrenten für die großen Gewerkschaften ruft Kritiker auf den Plan. Der renommierte Arbeitsrechtler Bernd Rüthers verweist auf das Grundgesetz, das die Gewerkschaftskonkurrenz festlege: "Die rechtlich garantierte, dauerhafte Alleinherrschaft einer Gewerkschaft wäre eine Katastrophe", sagt der emeritierte Professor der Universität Konstanz gegenüber manager-magazin.de. Die Vorgänge bei Volkswagen sprechen nach Ansicht Rüthers' für sich: In die VW-Affäre um Korruption und Lustreisen waren prominente IG-Metall-Mitglieder verstrickt, darunter der damalige Personalvorstand Peter Hartz oder der frühere Betriebsratschef Klaus Volkert. Angesichts der machtvollen Position einzelner Gewerkschaften hält Rüthers "die Möglichkeit unabhängiger Betriebsräte für existenzwichtig in einem freiheitlichen System."
Kein Cent von SAP
Kein Cent von SAP
Konkurrenz für Gewerkschaften könne hilfreich sein, sagt auch Gewerkschaftsexperte Promberger. Dadurch ließen sich "verkrustete Strukturen aufbrechen". Allerdings sei es für die Unternehmen in der Regel effektiver, einem Gesprächspartner gegenüberzusitzen, "der die große Mehrheit der Belegschaft vertritt". Kleinere Gruppierungen können dies nicht für sich reklamieren.
Auch die AUB nicht. Ex-Siemensianer Fieber hat sich gelegentlich über das ambivalente Verhalten seiner "unabhängigen" Betriebsratskollegen gewundert. In Sitzungen seien sie durchaus streitbar aufgetreten, in Gesprächen mit dem Arbeitgeber jedoch auffallend handzahm. "Das erinnerte mich an Jäger, die immer mit dem Gewehr herumlaufen", sagt Fieber. "Aber sobald es zu heiß wird, schmelzen ihnen die Gewehrläufe weg." Doch diese Zeiten sind vorbei, jedenfalls bei Siemens. In München, sagt der frühere Betriebsrat, "kriegt die AUB keinen Fuß mehr auf den Boden".
Fieber hat Siemens schon vor Jahren den Rücken gekehrt. Inzwischen berät der Gewerkschafter Beschäftigte des Softwarekonzerns SAP beim Aufbau von Betriebsräten. Auf Kosten der IG Metall, versteht sich. Die Vorstellung, vom Unternehmen bezahlt zu werden, bringt Fieber zum Lachen: "Mir würde SAP garantiert keinen Cent geben".