VW/Scania/MAN Die sanfte Fusion der großen Drei
Hamburg - "Es wird keine Fusion von MAN, Scania und VW-Nutzfahrzeuge geben." Was VW-Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch am Vorabend des Genfer Auto-Salons zur Zukunft des neuen Wolfsburger Lkw-Imperiums sagte, klingt doch arg nach dem Versuch einer Beschwichtigung. Adressaten wären in dem Fall der soeben übernommene schwedische Hersteller sowie MAN in München. Marktbeobachter glauben jedenfalls nicht, dass die Konsolidierung mit dem gestrigen Coup tatsächlich abgeschlossen ist.
"Die Übernahme von Scania war lediglich ein Zwischenschritt", sagt Professor Willi Diez vom Institut für Automobilwirtschaft (IfA) der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen. "Als nächstes muss nun noch MAN in diesen Verbund integriert werden." Für Diez ist die Frage nicht ob, sondern wann dies geschehen wird. "Von Vorteil ist, dass aus dem bisherigen Dreiecksverhältnis jetzt nur noch zwei Parteien übrig sind", sagt der Experte im Gespräch mit manager-magazin.de. "Das macht die Transaktion zumindest auf der Kapitalebene einfacher."
Hintergrund: Volkswagen hatte in der Vergangenheit bereits mehrfach angekündigt, die beiden Lkw-Konkurrenten mit der eigenen Sparte zusammenführen zu wollen. Nach dem Zukauf verfügen die Wolfsburger jetzt über 68,6 Prozent der Anteile an Scania. Außerdem halten sie 29,9 Prozent an MAN, das wiederum zu 17 Prozent bei Scania engagiert ist.
Letztlich würde durch einen Zusammenschluss der drei Unternehmen im weltweit boomenden Markt für Nutzfahrzeuge ein neuer Big-Player entstehen, der dem bisherigen Branchenprimus Daimler die Marktführerschaft durchaus streitig machen könnte. Laut Verband der Automobilindustrie (VDA) lag Daimler mit einem Lkw-Umsatz von 32 Milliarden Euro im Jahr 2006 zwar noch deutlich vor der Konkurrenz von MAN (8,7 Milliarden Euro) und Scania (7,6 Milliarden). Bei der Profitabilität sieht es aber anders aus. "Mit dieser Dreierallianz würde Volkswagen in die allererste Liga der Lkw-Hersteller aufsteigen und bei den Gewinnen den Konkurrenten Daimler noch übertreffen", sagt Analyst Jürgen Pieper vom Bankhaus Metzler.
Vieles spricht dafür, dass es dazu kommen wird. "Die drei Hersteller ergänzen sich gut", sagt IfA-Mann Diez. "Scania ist sehr stark im Geschäft mit schweren Lkw jenseits der 16 Tonnen." MAN, das ebenfalls in diesem Segment gut aufgestellt sei, decke darüber hinaus den Bereich der mittelschweren Laster zwischen 12 und 16 Tonnen ab. Die Nutzfahrzeugsparte von VW schließlich sei vor allem mit Transportern und leichten Lkw erfolgreich. "Nach der Fusion würde sich die Gruppe gemessen am Produktspektrum auf Augenhöhe mit Daimler bewegen, das ebenfalls in allen Segmenten produziert", so Diez.
Synergien für eine halbe Milliarde Euro
Synergien für eine halbe Milliarde Euro
Anders sieht es dagegen bei der regionalen Abdeckung aus. Der wichtigste Unterschied: Daimler ist schon heute auf dem wichtigen nordamerikanischen Markt stark vertreten. "MAN und Scania sind in Amerika praktisch nicht präsent", sagt Diez. "Die Erschließung dieser Region sowie des boomenden chinesischen Marktes stellt für mich künftig die größte Herausforderung eines neuen Lkw-Anbieters aus Scania, MAN und VW dar."
Mit der gemeinsamen Schlagkraft könnte die Eroberung dieser Regionen besser gelingen. Ohnehin ergeben sich nach Meinung der Experten viele Synergien aus dem doppelten Zusammenschluss. Analyst Pieper etwa sieht mögliche Effekte vor allem in einem gemeinsamen Einkauf von Stahl oder Elektronikkomponenten.
VW-Chef Winterkorn hatte am Montag erklärt, dass auf die Elektronik mittlerweile 20 bis 30 Prozent der Herstellerkosten eines Fahrzeuges entfielen. Zudem seien gemeinsame Anstrengungen in Forschung und Entwicklung wahrscheinlich, ohne dass man die Scania-Welt entscheidend verändern müsse, sagt Pieper weiter.
Automobil-Marketingfachmann Diez erkennt zudem viel Potenzial in den Bereichen Service und Vertrieb. "VW und Scania sind beide in Brasilien gut aufgestellt", sagt Diez. "Nach der Übernahme können sie ihre Netze dort zusammenlegen und damit die Flächenabdeckung optimieren." Mit MAN arbeitet VW in Brasilien bereits zusammen. Über die Kooperation in Sachen Service und Vertrieb hinaus würden die Münchener am Amazonas laut "Börsen-Zeitung" gerne Motorenlieferant für Volkswagens schwere Lkw werden.
"Die wirklichen Synergieeffekte werden in einer Zusammenarbeit von MAN und Scania liegen", sagt Marc-René Tonn, Autoanalyst von M.M. Warburg. Beide könnten zum Beispiel zusammen Motoren entwickeln und sich gegenseitig mit Achsen und Getrieben beliefern. Eine solche Zusammenarbeit hatte Scania-Chef Leif Östling allerdings im Frühjahr 2006 gestoppt. Nicht zuletzt würde eine um MAN erweiterte Dreierallianz wie jetzt schon die Verbindung VW/Scania von einer verstärkten Einkaufsmacht profitieren.
Und schließlich: MAN-Chef Håkan Samuelsson hatte im Zuge der Ende 2006 gescheiterten feindlichen Scania-Übernahme auch eine gemeinsame Nutzung der Produktionsplattformen vorgesehen. So sollte auf der MAN-Plattform die Scania-Baureihe um leichte bis mittelschwere Fahrzeuge erweitert werden.
Die Synergien eines Zusammenschlusses hatte MAN seinerzeit mit einer halben Milliarde Euro beziffert, so Analyst Tonn. Die Synergieeffekte dürften in einem Dreierbund jetzt wohl deutlich höher liegen, schätzen zum Beispiel die Analysten von Cheuvreux.
Die Entscheidung fällt in Stuttgart
Die Entscheidung fällt in Stuttgart
Fazit: Im expandierenden Weltmarkt für Nutzfahrzeuge birgt eine Dreierfusion aus Scania, MAN und VW-Nutzfahrzeuge reihenweise Vor- und kaum Nachteile. Und am Geld, dass kommt noch hinzu, dürfte es ebenfalls nicht scheitern. Volkswagen verfügt nach Schätzungen des Analysten Pieper aktuell über rund 12 Milliarden Euro an liquiden Mittel. "Bis Mitte 2007 dürften diese auf rund 15 Milliarden Euro anschwellen", sagt der Metzler-Mann. "Damit ließe sich eine mehrheitliche Übernahme von MAN selbst ohne Fremdkapital stemmen." Beim aktuellen Kurs würden die verbleibenden rund 70 Prozent an MAN den Volkswagen-Konzern etwa 9,4 Milliarden Euro kosten.
Auch wenn die Fusion wohl kommen wird: Ganz unrecht hatte Automobilgrande Piëch offenbar nicht, als er einen Zusammenschluss ausschloß. Denn die Marken MAN, Scania und VW, da sind sich die Experten einig, werden auch nach dem Deal bestehen bleiben.
"Scania ist die profitabelste Lkw-Marke überhaupt und hat ein hervorragendes Image", sagt IfA-Mann Diez. "Daran etwas zu ändern, wäre unklug." MAN und VW verfügen laut Diez ebenfalls über einen hervorragenden Ruf. Selbst die bei Fusionen sonst üblichen Kosteneinsparungen, die nicht selten mit dem Abbau von Arbeitsplätzen einhergingen, hält Diez angesichts des stark wachsenden Marktes in diesem Fall für unwahrscheinlich.
Bleibt die Frage nach dem Zeitplan. Nach Überzeugung des Analysten Tonn von M.M. Warburg wird Volkswagen MAN schon relativ schnell in die Lkw-Allianz einbeziehen. Dies könne zunächst über eine verstärkte Kooperation mit MAN geschehen, ohne dass die Wolfsburger Lkw-Sparte und der Münchener Konzern gleich miteinander verschmelzen müssten.
Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer von der FH Gelsenkirchen hat ein anderes Szenario vor Augen. Wie auch andere Marktbeobachter rechnet Dudenhöffer mit einem schnellen Abschluss der gesamten Transaktion. "Geht es nach Ferdinand Piëch, so wird die Sache eher vorsichtig angegangen", meint der Autoexperte. "Sobald Porsche die 50 Prozent bei Volkswagen überschritten hat, sitzt jedoch Wendelin Wiedeking am Ruder. Und ihm kann es in der Regel nicht schnell genug gehen."
Dudenhöffer hat bereits genaue Vorstellungen davon, wie die Dreierallianz von Scania, MAN und VW-Nutzfahrzeuge künftig aussehen wird. "Wiedeking wird die Nutzfahrzeugsparte nicht im bürokratischen und komplexen Wolfsburger Konzern belassen", sagt der Fachmann zu manager-magazin.de. "Vielmehr wird er den Bereich unter dem Dach der Porsche SE ansiedeln." Auch für den Chefsessel des kommenden Branchenriesen gibt es laut Dudenhöffer bereits einen passenden Kandidaten: Der Marktbeobachter tippt auf den bisherigen MAN-Chef Håkan Samuelsson.
Überblick: VW auf dem Weg zum Lkw-Riesen