Ukraine Dreht Russland den Gashahn zu?
Moskau/Kiew - Die Zeichen stehen auf Sturm. Legen Russland und die Ukraine als wichtigstes Transitland für russisches Gas den neuen Streit nicht bei, dreht der russische Gasmonopolist Gazprom am kommenden Dienstag den Hahn zu.
"Gelingt der Ukraine ein Gas-Blitzkrieg?", fragte das Kiewer Blatt "Ukrainskaja Prawda". In Moskau reagierte die Tageszeitung "Kommersant": "Gazprom hat seine Ventile in Kampfbereitschaft versetzt." Es geht um eine Milliarde Euro ukrainischer Schulden und den Preis für Gas aus Russland.
Die Schulden sollen bis Montag 12 Uhr - 10 Uhr nach deutscher Zeit - beglichen sein. Doch diesmal will die neue, in Russland unbeliebte Kiewer Regierungschefin Julia Timoschenko auch dem zwielichtigen Zwischenhändler RosUkrEnergo den Garaus machen.
Der Besuch des ukrainischen Präsidenten Viktor Juschtschenko in Moskau am Dienstag könnte wegen der Auseinandersetzung zu einem Krisengipfel werden. Während Juschtschenko sich bislang kompromissbereit gab, blieb Timoschenko hart. Die umtriebige Regierungschefin nutzte den Streit zu einer Breitseite gegen RosUkrEnergo. Das Geld sei bereits überwiesen. Vielleicht habe die Firma einen Teil in schwarze Kassen abgezweigt, vermutete Timoschenko. Ihr Ziel sind direkte Verträge mit Gazprom.
Den Zorn der Moskauer Gazprom-Zentrale dürfte sich Timoschenko auch mit ihrer Forderung nach höheren Gebühren für den Gastransit eingehandelt haben. "Der Gaspreis hat sich mehr als verdreifacht, die Durchleitungsgebühr ist praktisch gleichgeblieben", argumentierte sie Ende Januar. Bis zu 80 Prozent des russischen Gases strömen über die Ukraine in die EU.
Seit dem russisch-ukrainischen Gasstreit Anfang 2006 wickelt RosUkrEnergo alle Gaslieferungen zwischen den Nachbarn ab. Damals war es auch in Westeuropa zu Engpässen gekommen. Die EU zeigte sich beunruhigt. Man habe aber Vorräte für den Ernstfall. Der Deal sieht vor, dass RosUkrEnergo teueres russisches Gas mit billigem turkmenischem auf einen Preis von 180 US-Dollar je 1000 Kubikmeter mischt. Die Schweizer Firma gehört zu 50 Prozent Gazprom.
Korrupter Zwischenhändler
Korrupter Zwischenhändler
RosUkrEnergo gilt als korrupt. Der Gewinn von über 700 Millionen US-Dollar sei fast vollständig an die Aktionäre geflossen, berichtete das Wirtschaftsblatt "Wedomosti". Allein Gazprom entgehe durch RosUkrEnergo jährlich eine halbe Milliarde US-Dollar, schätzt das russische Politmagazin "The New Times". Dem ukrainischen Energiekonzern Naftogas droht durch den Gas-Deal von 2006 die Pleite.
Gazprom erklärt die neuen Kiewer Schulden mit dem ungewöhnlich harten Winter in Zentralasien. Turkmenistan habe weniger Gas als vereinbart geliefert. Die Menge habe mit teurerem russischen Gas aufgefüllt werden müssen.
In der Vergangenheit hatten Beobachter dem vom Kreml gesteuerten Gasriesen jedoch immer wieder politische Motive für die Konflikte mit der Ukraine unterstellt. Kurz vor der Parlamentswahl hatte Russlands Botschafter in Kiew, Viktor Tschernomyrdin, zu Gesprächen über einen höheren Gaspreis für die Ukraine gesagt: "Alles wird davon abhängen, wer die ukrainische Regierung führt." Zuletzt hatte der Konzern im Oktober 2007, zwei Tage nach dem hauchdünnen Wahlsieg Timoschenkos, Schulden von umgerechnet 900 Millionen US-Dollar eingefordert - und das Geld erhalten.
Trümpfe sind nicht eindeutig verteilt
Doch im Streit zwischen dem weltgrößten Gasproduzenten und seinem wichtigsten Transitland sind die Trümpfe nicht so eindeutig verteilt. Gazprom könne seine Förderung technisch nicht einfach drosseln, sagt der russische Politologe Stanislaw Belkowski. "Wenn Russland die Lieferungen nach Westen unterbricht, dann muss es am sechsten Tag das Gas entweder abfackeln oder unabhängig von Preis und anderen Vereinbarungen verkaufen." Der Kiewer Politologe Konstantin Bondarenko glaubt, dass ein neuer Gasstreit keinem nützt: "Weder Russland, das vor einer Präsidentenwahl steht, noch der Ukraine, die momentan genügend andere wirtschaftliche Probleme hat."
Erik Albrecht, dpa