Airbus 5000 Flieger - noch mehr Probleme
Hamburg - Die hohlen Rümpfe der Airbus-Maschinen liegen da wie die Skelette von Elefanten. Auf Fußbodenplatten kauern Flugzeugmonteure in blauen Anzügen. Sie statten die leeren Flugzeugschalen mit Elektrokabeln aus - 18 Kilometer pro Maschine. Wer einen Schraubenzieher in der Hand hält, redet kein Wort. Trödeleien darf es nicht geben. Die Taktvorgabe ist streng: Pro Stunde rücken die Flugzeuge auf dem Fließband einen Meter weiter. Nach und nach erhalten sie Hydraulikleitungen, Klimaanlagen und Toilettenhäuschen. Den blechernen Dickhäutern wird Leben eingehaucht.
In Halle 8 auf dem Hamburger Werksgelände bauen Airbus-Mitarbeiter im Akkord Maschinen der Produktfamilie A320 zusammen - 32 pro Monat. Fast täglich verschickt der Konzern Erfolgsmeldungen über Neubestellungen. "Airbus beendet Dubai Airshow mit Rekordaufträgen", verkündete der Flugzeugbauer Mitte November. Insgesamt hat Airbus in diesem Jahr bis Ende November 1204 Bestellungen eingesammelt - und damit den US-Erzrivalen Boeing überflügelt.
Gestern die nächste Jubelnachricht: "5000. Airbus-Flugzeug wird an Qantas ausgeliefert." Im Rahmen einer besonderen Auslieferungszeremonie hat der Flugzeugbauer am heutigen Freitag in Toulouse eine Langstreckenmaschine des Typs Typ A330-200 an die australische Airline übergeben. Von einem Meilenstein in der Airbus-Geschichte war die Rede; von einer rasanten Entwicklung, die "das starke Wachstum des Unternehmens" widerspiegle.
Es scheint absurd: Das Geschäft brummt, die Auftragsbücher sind voll - doch gleichzeitig herrscht Untergangsstimmung. Airbus-Chef Thomas Enders spricht von einer "lebensbedrohlichen" Lage. Eine "existenzielle Bedrohung" erkennt auch Louis Gallois, CEO des Mutterkonzerns EADS . Denn ganz egal, wie fleißig die Arbeiter schuften; egal, wie eifrig Asiaten und Ölscheichs Airbus-Flieger kaufen: Sollte die US-Währung weiter fallen, dann büßt Airbus Milliardengewinne ein. Der Grund: Der Flugzeugbauer produziert in Europa, erhält für seine verkauften Maschinen aber schwächelnde US-Dollar.
Der Mutterkonzern geht auf Distanz
EADS geht bereits auf Distanz - und will seine Abhängigkeit von der Flugzeugtochter reduzieren. Nach den Vorstellungen Gallois' soll der Airbus-Anteil am EADS-Gesamtumsatz von 64 auf rund 50 Prozent sinken. Entsprechende Pläne mit dem Titel "Vision 2020" hat der EADS-Chef gestern intern vorgestellt, berichtet die französische Finanzpresse. Dadurch würden zumindest die Probleme des Mutterkonzerns EADS gelindert - an den Schwierigkeiten von Airbus ändert sich dadurch allerdings nichts.
Gewaltige Herausforderungen
Gewaltige Herausforderungen
Bereits das aktuelle Sanierungsprogramm Power 8 sollte die Folgen des schwachen Dollars für Airbus abmildern. Doch schon zehn Monate nach der Verabschiedung wird klar: Die bisherigen Einschnitte werden nicht ausreichen. Der Flugzeugbauer kommt aus dem Sparen, Umbauen und Sanieren gar nicht mehr heraus.
Wo genau der Konzern weitere Kosten senken will, ist bislang unklar. Die Werke sind derart ausgelastet, dass für Jobstreichungen kein Potenzial mehr da ist. "Jetzt sollte Ruhe im Unternehmen einkehren", fordert Daniel Friedrich, Sprecher der IG Metall Küste, "damit man sich auf die anstehenden Aufgaben konzentrieren kann."
Beispiel A380: In den kommenden drei Jahren will Airbus die Zahl der ausgelieferten Großraumflieger erheblich steigern - von 13 Maschinen im Jahr 2008 auf 45 im Jahr 2010. Eine gewaltige Herausforderung. Zum Vergleich: Um die Produktion des Mittelstreckenflugzeugs A320 in vergleichbarem Ausmaß zu erhöhen, nahm Airbus sich rund zwei Jahrzehnte Zeit. "Wir müssen mit der A380 nun in drei Jahren schaffen, wofür wir 20 Jahre bei der A320 benötigt haben", sagt Airbus-Sprecher Tore Prang.
Bereits heute bemüht sich Airbus, seine Riesenflieger deutlich effizienter zu entwickeln als noch vor einem Jahr. Damals arbeiteten Franzosen und Deutsche nicht einmal mit einheitlichen Softwareprogrammen. Die Folge: Fehler in der Verkabelung waren sprichwörtlich vorprogrammiert. Momentan unterstützen rund 1000 Hamburger Airbus-Mitarbeiter die Kollegen am Standort Toulouse, um die ersten 25 Superjets nachzubearbeiten - und etwas Ordnung in den Kabelsalat zu bringen. Ab Maschine Nummer 26 will Airbus die Serienfertigung hochfahren.
Zugleich hat sich die Organisationsstruktur seit dem Frühjahr grundlegend geändert. "Unsere Teams arbeiten jetzt ganz anders zusammen", sagt Prang, "sie vereinigen verschiedene Disziplinen, agieren werksübergreifend und transnational." Die Verantwortung für bestimmte Flugzeugsegmente wie Kabine, Flügel oder Rumpfteile tragen seit Anfang Oktober nicht mehr einzelne Werke aus verschiedenen Nationen, sondern länderübergreifende "Exzellenzzentren".
Fest steht: Das Reformtempo ist schon heute sehr hoch. Weitere Maßnahmen könnten auf erbitterten Widerstand stoßen - und unangenehme Folgen nach sich ziehen.
"Verlagerung ist nicht die Lösung"
"Verlagerung ist nicht die Lösung"
Dilemma Nummer eins: Um das Währungsrisiko abzumildern, will der Flugzeugbauer verstärkt im Dollarraum produzieren. Doch Airbus ist ein Unternehmen, dessen Geschicke stark von Politikern beeinflusst werden - und die sehen es nicht gerne, wenn Produktionsstätten im Ausland entstehen. "Frankreich und Deutschland haben in Airbus viel investiert", mahnte jüngst Frankreichs Premierminister François Fillon, "aber nicht, um das Unternehmen scheibchenweise in den Dollarraum abwandern zu sehen."
Zwar würde eine neue Endmontagelinie im US-Bundesstaat Alabama, wie Airbus sie ins Auge gefasst hat, nicht unbedingt weniger Produktion in Europa bedeuten. "Angesichts der hohen Auftragszahlen könnte Airbus neue Werke außerhalb Europas aufbauen, ohne dafür bestehende Kapazitäten abbauen zu müssen", sagt Klaus Heiner Röhl, Luftfahrtexperte beim Institut der deutschen Wirtschaft (IW), gegenüber manager-magazin.de.
"Gefahr, dass der europäische Flugzeugbau ausstirbt"
Dennoch zeigt sich die Gewerkschaft IG Metall skeptisch: "Eine Produktionsverlagerung kann nicht die einzige Lösung sein", sagt Sprecher Friedrich. Er warnt vor der Gefahr, "dass der europäische Flugzeugbau ausstirbt." Außerdem kann auch Airbus den Dollaranteil an seinen Maschinen nicht mehr beliebig steigern. Nach Angaben an Branchenkreisen werden bereits bereits heute 30 bis 45 Prozent der Herstellungskosten in Dollar beglichen.
"Irrwitzige Strategie"
Dilemma Nummer zwei: Je energischer Airbus sich nach Standorten in Amerika oder Asien umsieht, desto unattraktiver erscheinen die Werke in Europa, die zum Verkauf stehen. Denn wer will schon Airbus-Zulieferer kaufen, die mit Dollarrisiken behaftet sind - und künftig womöglich an Bedeutung verlieren. Seit Monaten sucht Airbus Käufer für mehrere Werke in Europa, darunter die deutschen Produktionsstätten Varel, Nordenham, Laupheim und Augsburg.
Eigentlich sollte der Verkauf bereits im Sommer abgewickelt werden. Doch die Interessenten zieren sich - und springen reihenweise ab. Die Verkaufserlöse hatte Airbus jedoch fest einkalkuliert. "Nun wackelt die Finanzierung der neuen A350", befürchtet der Hamburger Luftfahrtberater Heinrich Großbongardt.
Dilemma Nummer drei: Airbus könnte die Währungsrisiken verstärkt an seine Zulieferer weitergeben und alle Teile in Dollar bezahlen. Teilweise geschieht das schon heute. Doch langfristig könnte der Flugzeugbauer seine Partnerfirmen damit in den Ruin treiben und sich letztlich selbst schaden.
Aus dem Arbeitnehmerlager kommen Alternativvorschläge. Airbus solle seine Flugzeuge künftig in Euro abrechnen, um Dollarrisiken in den Griff zu bekommen. EADS-Chef Gallois winkt in Interviews ab: Das sei nicht durchsetzbar.
Eine weitere Idee: Airbus könnte schlicht die Preise erhöhen. Branchenkreisen zufolge gewährt Airbus seinen Kunden Preisnachlässe von bis zu 30 Prozent - und das in Zeiten einer boomenden Luftfahrtkonjunktur. Auch der Konkurrent Boeing Produziert längst am Limit, eine schnelle Sättigung der übergroßen Nachfrage ist also nicht in Sicht. "Eigentlich könnte man sich bei Airbus entspannt zurücklehnen und einfach die Preisnachlässe kürzen", sagt Luftfahrtexperte Großbongardt gegenüber manager-magazin.de, "stattdessen verfolgt man eine völlig irrwitzige Strategie, die nur auf eine Steigerung des Marktanteils abzielt."
Sollte Airbus die Preise anheben, würden die Erträge steigen und die Folgen des schwachen Dollars abgefedert. Dafür müsste der Flugzeugbauer wohl an anderer Stelle sparen - bei den Meldungen über Rekordaufträge.
Fotostrecke: Problemflieger und Hoffnungsträger A380