Übernahmen Rotes Geld - böses Geld?
Hamburg - Deutschland misstraut seinem Erfolgsrezept. Jahrzehntelang hat der Exportweltmeister von Offenheit und freiem Handel gut gelebt. Dax-Konzerne und zahllose Mittelständler rühmen sich damit, dass sie in der Welt zu Hause und auf fremden Märkten gut verankert sind. Die Übernahme von Mannesmann durch die britische Vodafone hat der Welt gezeigt, dass die Deutschland AG keine Trutzburg mehr ist und jemand, der freien Handel fordert, die Macht des Geldes auch im eigenen Lande gelten lässt.
Doch nun schwappt viel Geld nach Deutschland, sehr viel Geld. Es kommt von weit her, und den liberalen Deutschen wird ein wenig bange.
1,2 Billionen Dollar hat die boomende Volksrepublik China inzwischen gehortet, den größten Devisenschatz der Welt. 200 Milliarden Dollar davon wird das kommunistische Regime jetzt in einen Investitionsfonds stecken, um damit weltweit auf Einkaufstour zu gehen. Die Herrscher in Peking haben bereits drei Milliarden Dollar in die Beteiligungsgesellschaft Blackstone gesteckt. Um an Blackstones urkapitalistischem Geschäft künftig kräftig mitzuverdienen, musste die Volksrepublik gerade einmal 0,25 Prozent der eigenen Reserven lockermachen. Schon mit 1,3 oder 5 Prozent ließen sich in Deutschland viele Unternehmen kaufen. Sehr viele.
Oder Russland. Der steigende Ölpreis spült Moskau ebenso wie zahlreichen arabischen Ölstaaten gewaltige Mengen Petrodollars in die Tasche. Geld, mit dem sich die eigenen, staatlich gelenkten Schlüsselindustrien aus der Öl- oder Gasbranche bestens stärken lassen. Warum nicht mit Energieversorgern aus Deutschland, denn mit denen ist man schon lange gut im Geschäft.
Es fließt so viel Geld zurück, dass man sich im Wirtschaftsministerium ängstlich fragt, wie viel Liberalismus sich Deutschland noch erlauben kann.
"Neuer Staatskapitalismus"
"Neuer Staatskapitalismus"
Befeuert wird diese Angst durch Topbanker wie Josef Ackermann. Der Vorstandschef der Deutschen Bank, die am weltweiten M&A-Boom selbst glänzend verdient, warnte jüngst vor einem "neuen Staatskapitalismus" in Ländern wie Russland, China, Kuwait oder Dubai. Diese vor Liquidität strotzenden Länder hätten deutsche Übernahmeziele im Blick: Deutschland müsse "überlegen, wie es politisch darauf reagiert."
Bislang hat Deutschland agiert, und zwar in die andere Richtung. Als eine der wenigen europäischen Staaten hat die Bundesrepublik die Übernahmerichtlinie der EU-Kommission bereits umgesetzt - Länder wie Italien, Spanien oder Frankreich sind noch weit davon entfernt. Während sich die Deutschland AG auflöst, bestehen Frankreich SA, Großbritannien plc oder USA Inc. weiter und werden vielfach in der Abwehr unerwünschter Investoren noch gestärkt.
Länder wie Frankreich, wegen protektionistischer Tendenzen häufig in der Kritik, werden plötzlich zum Vorbild. Deutschland sei mit Abwehrmechanismen "noch nicht so ausgestattet wie etwa die USA oder Frankreich", sagte Regierungssprecher Ulrich Wilhelm. In Berlin prüft die Koalition, nachzuziehen und nicht nur die Rüstungsindustrie, sondern auch weitere Schlüsselindustrien wie Telekommunikation, Post, Eisenbahn, Häfen oder Flughäfen unter besonderen Schutz zu stellen.
Frankreich und USA als Vorbild?
Wie man sich unerwünschte ausländische Investoren effektiv vom Leib halten kann, demonstrieren Frankreich und die USA. In den Vereinigten Staaten prüft das "Committee on Foreign Investment" (CFIUS), ob bei einer Übernahme die nationale Sicherheit gefährdet ist. Die CFIUS-Vertreter aus Washington können sogar bereits vollzogene Übernahmen annulieren. Sie schmetterten etwa Dubai Ports ab, als diese sich für US-Hafenbetreiber interessierten. Die US-Ölgesellschaft Unocal, von der chinesischen Conoco heftig umworben, wurde kurzerhand dem heimischen Ölriesen Chevron zugesprochen.
Auch Frankreich pflegt "ökonomischen Patriotismus" und hat schützenswerte Sektoren definiert, an denen sich die staatliche Bank CDC strategisch beteiligt. Französische Spezialitäten wie etwa wandelbare Anleihen, die von einer Übernahme bedrohte Unternehmen ausgeben können, sollen Angreifern den Appetit verderben. Dass die eigenen "nationalen Champions" nach innen wie auch bei ihrer Expansion politisch unterstützt werden, ist für die Grande Nation kein Widerspruch. EU-Musterschüler Deutschland könnte von dieser speziellen Interpretation freien Handels viel lernen.
Doch kann es funktionieren, sich im Einzelfall vor unerwünschten Investoren abzuschotten, andererseits aber freien Welthandel zu fordern?
"Das ist ein Drahtseilakt", sagt Finanzexperte Wolfgang Gerke, Präsident des Bayerischen Finanzzentrums, gegenüber manager-magazin.de. Deutschland sei als liberale, offene Exportnation bislang sehr erfolgreich gewesen. Dieses Prinzip werde infrage gestellt, wenn man nach dem Vorbild Frankreichs schützende Mauern errichte.
"Investoren anderer Natur"
"Investoren anderer Natur"
Dennoch: "Es ist ein Unterschied, ob in einem fairen internationalen Wettbewerb verschiedene Investoren gegeneinander bieten, oder ob Investoren im staatlichen Auftrag unterwegs sind", betont Gerke. Staatsfonds sowie vom Staat finanzierte Unternehmen seien "Investoren anderer Natur": Sie verfolgten nicht nur ökonomische, sondern auch politische Interessen.
"Sensible Bereiche" vor ausländischen staatlichen Investoren zu schützen, ist daher für Gerke ein berechtigtes Anliegen. Zu diesen Bereichen gehöre nicht nur Militärtechnik, sondern auch Energie, Telekommunikation und Verkehrsinfrastruktur. "Die Gefahr, dass deutsche Schlüsselindustrien in den Blick staatlicher Großinvestoren geraten, ist da", sagt Gerke.
Schwarze Liste führt nicht weit
Bestimmte Staaten auf eine Liste der unerwünschten Investoren zu setzen, ist für Gerke jedoch keine Option. Die Prüfung, ob ein Investor nur von wirtschaftlichen oder auch von politischen Interessen getrieben sei, müsse für jeden Interessenten unabhängig seiner Herkunft gelten. Deutschland begebe sich damit auf schwieriges Terrain. Doch alles andere als eine Einzelfallprüfung sei nicht zu rechtfertigen.
Dabei spielen Länder wie China oder Russland selbst nach eigenen Regeln. In China gestattet der Volkskongress keine Mehrheitsübernahmen heimischer Unternehmen, ausländische Investoren sind allenfalls als Minderheitsgesellschafter geduldet.
Russland kontrolliert und schützt als strategisch wichtig eingestufte Branchen auf ähnliche Weise. Wer sich selbst abschotte, so die Argumentation, könne im Ausland nicht auf das Spiel freier Märkte pochen. Ein Staat, der daheim den Markt reguliere, müsse mit Gegenwehr rechnen, wenn milliardenschwere eigene Staatsfonds weltweit auf Einkaufstour gehen.
Globale Geldströme kaum kontrollierbar
"Staaten verändern ihr Gesicht"
Doch eine Abwehrschlacht produziert Verlierer. Sich gegen nicht genehme Staatsformen und deren Sovereign Wealth Funds mithilfe von Beteiligungsbarrieren abzuschotten, ist nach Ansicht von Werner Suhl der falsche Weg.
"Deutschland profitiert seit Jahrzehnten von offenen Märkten, und deutsche Unternehmen halten selbst viele Beteiligungen im Ausland", sagt der Leiter des M&A-Bereichs bei der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC). Deutschland treibe regen Handel mit Ländern wie Russland oder China - diese Handelsbeziehungen auch mit Beteiligungen zu unterlegen, sei ein weiterer logischer Schritt.
Suhl hält es für schwierig, einzelne Staaten in "erwünschte" und "unerwünschte" Investoren zu klassifizieren. Nach welchen Kriterien sollten zum Beispiel staatliche Investmentgesellschaften aus China oder Russland nicht genehm sein, Fonds aus wohlhabenden Ölstaaten wie Dubai oder den Arabischen Emiraten aber doch? "Staaten verändern zudem rasch ihr Gesicht", ergänzt Suhl. Ein Regelwerk, das Beteiligungen erschweren soll, müsste je nach politischer Entwicklung laufend überprüft werden.
Globale Geldströme kaum zu kontrollieren
Das entscheidende Hindernis sieht der Experte von PwC darin, dass Geldströme und Beteiligungen in der Praxis nur noch schwer nachzuvollziehen, geschweige denn zu lenken sind. "China hat sich an der Beteiligungsgesellschaft Blackstone beteiligt und ist damit bereits mittelbar an diversen Unternehmen beteiligt. Diese indirekten Kapitalströme lassen sich nur mit sehr hohem Aufwand kontrollieren", sagt Suhl. Ähnlich sehe es aus, wenn ein Staatsfonds mehrere Personen oder Gesellschaften als Anteilseigner vorschalte und seinen Einfluss über mehrere Stufen aus dem Hintergrund ausübe.
"Beteiligungsverhältnisse können sehr komplex werden, sodass sie in der Praxis kaum mehr zu überwachen sind", meint Suhl. Ein Kontrollreglement, das mit dieser Entwicklung Schritt halten und sämtliche möglichen Umgehungstatbestände mit berücksichtigen solle, dürfte über das Ziel hinausschießen. Deutschland liefe Gefahr, einen Schutz- und Kontrollapparat zu errichten, der die eigenen wirtschaftlichen Interessen beschränke. "Das Thema Abschottung bekommt man dann nicht mehr in den Griff."
Der Beteiligungsexperte von PwC setzt dagegen auf den umgekehrten Weg: Statt Ländern wie Frankreich oder Spanien nachzueifern, solle Deutschland besser darauf drängen, dass die EU beim Thema Beteiligungen und Übernahmen eine gemeinsame Linie findet. Dann könne die EU auch konsequent gegenüber anderen Staaten auftreten und den Abbau von Handelshemmnissen fordern.
Annäherung durch Öffnung
Annäherung durch Öffnung
Eine gegenseitige Öffnung ist nach Suhls Einschätzung die bessere Wahl, als in nationalen Alleingängen Abschottungs- und Schutzmechanismen zu ersinnen. Er setzt dabei auf das Prinzip von Annäherung durch Öffnung: Wenn ein chinesisches oder russisches Staatsunternehmen eine Beteiligung in Deutschland halte, müsse es sich auch mit dem dort geltenden Recht und der dortigen Unternehmenskultur auseinandersetzen.
Dahinter steht die Hoffnung, dass wirtschaftliche Vernetzung langfristig auch die Demokratie in Staaten wie China stärkt. "Solch ein Prozess führt Partner langfristig näher zueinander", meint Suhl.
Auch Private Equity bewegt Milliarden
Die starke Einkaufsmacht, milliardenschwere Devisenreserven sowie die Einkaufslust von aufstrebenden Ländern wie China und Russland ließen sich zwar unter dem Stichwort "neuer Staatskapitalismus" beschreiben. Jedoch werde ein Staatsfonds nicht bereits dadurch gefährlich, dass er Milliarden einsetzen und ohne Probleme einen Dax-Konzern übernehmen könnte. "Das können große Private-Equity-Fonds auch", sagt Suhl. Finanzielle Stärke allein könne also kein Kriterium sein.
"Wir haben jahrelang in Form von Direktinvestitionen, Beteiligungen und Aktienkäufe den Aufschwung in Schwellenländern genährt und deren Produkte gekauft", sagt Suhl. "Dann sollten wir uns nicht wundern, wenn auch diese Staaten wirtschaftliche Stärke entwickeln und ihrerseits in attraktive Kapitalbeteiligungen investieren wollen."
Die Bestrebungen Chinas, die milliardenschweren Devisenreserven nicht mehr nur überwiegend in US-Staatsanleihen anzulegen, sondern auch in Form von Unternehmensbeteiligungen breiter zu streuen, seien nachzuvollziehen.
Partnerschaftliche Gespräche darüber, wie dieses Geld am besten anzulegen sei, dürften langfristig sinnvoller sein als der Versuch, sich vor den erwachenden Wirtschaftsriesen abzuschotten.
Es wäre ein anderer, optimistischerer Umgang mit dieser neuen Stufe der Globalisierung.
China, Russland, Dubai: Die neuen Staatskapitalisten