Müllers Welt Dünkelrepublik Deutschland

Die bestmögliche Bildung für die größtmögliche Anzahl von Menschen - das ist die wirksamste Antwort auf Globalisierung und Vergreisung. Leider verharrt unsere Oberschicht in Klassendenken: Lieber die Mehrheit dumm halten, lieber eine kleine Elite heranzüchten - und dann über Fachkräftemangel klagen. Diskutieren Sie mit.

Kürzlich saß ich mit einigen Experten zum freien Gedankenaustausch in der Staatskanzlei eines deutschen Bundeslandes zusammen - leitende Beamte, Wissenschaftler, Vordenker verschiedener Thinktanks. Es ging um die großen Themen: Globalisierung, Wettbewerbsfähigkeit, die wachsende Unterschicht, Deutschlands Zukunft überhaupt.

Irgendwann kamen wir, logisch, auf die Bildungspolitik. Und wie so häufig pflegte man ein entschiedenes Klassenbewusstsein. Tenor: Man müsse verhindern, dass die gymnasiale und die akademische Bildung "verwässert" werde - durch Leute nämlich, die dort nichts zu suchen hätten.

Eine verbreitete Haltung, leider. In der Dünkelrepublik Deutschland verharren die gehobenen Kreise in überkommenem Klassendenken: Lieber die große Mehrheit von höherer Bildung aussperren und eine kleine, feine Elite heranzüchten, als entschlossen akademisch aufzurüsten, wie es die meisten Länder der entwickelten Welt seit 1990 tun.

Auch viele Manager und Unternehmer haben sich eine prämoderne Sicht auf die Gesellschaft bewahrt. Das zeigt eine Umfrage der Personalberatung Egon Zehnder, für die Führungskräfte in Deutschland, Frankreich, Großbritannien und den USA zum Thema Bildung befragt wurden; die Ergebnisse haben wir im Märzheft des manager magazins und bei manager-magazin.de exklusiv veröffentlicht.

Ein Befund der Erhebung: 55 Prozent der deutschen Manager - ein weit größerer Anteil als in den übrigen Nationen - wünschen mehr Eliteförderung. Bildung für alle? Mehr Durchlässigkeit? Ach nein. Nur 5 Prozent sehen "Chancengleichheit" als Reformziel, viel weniger als unter den Wirtschaftsführern anderswo.

Dabei ist längst klar, dass das Bildungssystem unser ökonomisches Problem Nummer eins ist. Die bestmögliche Bildung für die größtmögliche Zahl - das ist die wirksamste Antwort auf Globalisierung und demografische Krise.

Es ist doch so bequem

Das deutsche Bildungssystem hingegen, so belegen alle einschlägigen internationalen Vergleiche, arbeitet hochgradig selektiv; es schließt weite Teile der Bevölkerung von höherer Bildung aus; ja, es tut letztlich so, als ob Intelligenz und Bildungsfähigkeit irgendwie genetisch bedingt wären (wenn dem so wäre, zögen wir alle immer noch als schriftlose, keulenschwingende Jäger und Sammler durch die Wälder).

Andere Länder machen es vor: Beginnend in Kindergärten und Schulen wird dort versucht, möglichst viele Jugendliche zum Hochschulzugang zu befähigen. In Schweden und Finnland etwa fangen mehr als 70 Prozent eines Jahrgangs ein Studium an. Deutschland hinkt weit hinterher. Weil hierzulande auch viele das Studium abbrechen, liegt der Akademikeranteil bei den 25- bis 34-Jährigen heute 20 Prozentpunkte unter dem OECD-Durchschnitt.

Hier liegt die Ursache für den sich nun verschärfenden Fachkräftemangel, nicht im derzeit wieder mal rituell beklagten angeblichen "Lehrstellenmangel": Wo es zu wenig Hochqualifizierte gibt, fallen hochproduktive Investitionen aus, entstehen weniger Jobs für schwächer Qualifizierte. Der Bildungsdünkel wirkt als Wachstumsbremse.

Politökonomisch ist das deutsche Beharrungsvermögen übrigens leicht zu erklären: Das Bildungssystem behindert soziale Mobilität und schützt die gehobenen Schichten vor lästigem Wettbewerb durch hungrige Aufsteiger. Parallel dazu schreckt das restriktive Einwanderungsrecht aufstiegswillige Immigranten ab. So bleiben die Spitzen der Gesellschaft weitgehend unter sich. Es ist doch so bequem.

Nebenbei bemerkt: In dem Staatskanzleigespräch outete ich mich als Anhänger der kompetitiven Gesamtschule und erzählte von meinen Erfahrungen als Austauschschüler auf einer staatlichen US-Highschool (ja, ich weiß, da läuft auch nicht alles super), wo im zwölften Schuljahr von Kursen auf Sonderschulniveau bis zum Collegelevel alles angeboten wurde. Eine wettbewerbsintensive, durchlässige Lernlandschaft. In Deutschland einstweilen chancenlos.

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