US-Botschafter Timken Deutsche zu wenig integrationsbereit
mm.de: Herr Timken, für einen Botschafter engagieren Sie sich auf ungewöhnlichem Gebiet. Sie und Ihre Frau kümmern sich um muslimische Migranten in Deutschland.
Timken: Unser Engagement ist Teil einer Politik, die der amerikanische Präsident nach den Attentaten vom 11. September 2001 ins Leben gerufen hat. Er hielt es für wichtig, dass die USA weltweit mit der islamischen Gemeinschaft ins Gespräch kommen. Für uns ist der Islam eine der großen Religionen der Welt und wir wollen damit klar machen, dass der 11. September ein Anschlag von Kriminellen und keinesfalls ein Angriff des Islams auf die USA ist.
mm.de: Was tun sie hier in Deutschland, um diesem Ziel näher zu kommen?
Timken: Wir sprechen mit den Führern der muslimischen Religionsgemeinschaften. Wir besuchen Schulen mit einem hohen Anteil muslimischer Jugendlichen. Wir haben auch ein spezielles Austauschprogramm mit den USA namens "Windows on America" speziell für muslimische Schüler - weil wir herausgefunden haben, dass diese Gruppe bei allen anderen Austauschprogrammen stark unterrepräsentiert ist.
Hier in Berlin besuche ich auch regelmäßig eine Kiezinitiative der Berliner Polizei. Die Initiative kümmert sich um ausländische Mitglieder von Jugendbanden, die in die Kriminalität abzurutschen drohen. Meine Frau und ich haben auch schon Jugendliche aus dieser Initiative in unsere Residenz eingeladen, zusammen mit beruflich erfolgreichen Vertretern der muslimischen Gemeinde. Diese können so den Kindern als positive Rollenvorbilder dienen.
mm.de: Sie bewirten Gangmitglieder bei sich nach Hause? Das klingt, als ginge Ihr Engagement weit über das Maß hinaus, das US-Präsident George Bush von Ihnen erwartet. Was fasziniert Sie so an der Arbeit mit jungen Migranten?
Timken: Die Richtung unseres Engagements entspricht sicher dem, was sich die amerikanische Regierung wünscht. Aber Sie haben schon Recht:
Bei diesem Thema kommen sehr stark die persönlichen Überzeugungen meiner Frau und mir ins Spiel. Wir glauben zutiefst an den Wert kultureller Vielfalt. Und wir glauben daran, dass der beste Weg einander zu verstehen der direkte Dialog ist, das persönliche Gespräch.
"Wir müssen uns besser erklären"
mm.de: Welches Feedback bekommen Sie in diesen persönlichen Gesprächen? Was bräuchten jungen Migranten, um sich besser in die deutsche Gesellschaft integrieren zu können?
Timken: Lassen Sie mich zunächst festhalten, dass es uns nicht darum geht, Deutschland zu raten oder zu sagen, was es zu tun hat, um Zuwanderer zu integrieren. Ausgangspunkt unseres Dialogs ist unsere Erkenntnis: Wir müssen Amerika im Dialog mit der islamischen Welt besser erklären.
Ein Punkt aber, den wir aber zum Beispiel im Gespräch mit den Jugendlichen immer wieder gehört haben: Die deutschen Medien seien Ihnen gegenüber voreingenommen. Junger Muslim schlägt Deutschen zusammen - das gibt eine Meldung auf Seite eins. Junger Muslim hilft deutschem Rentner - keine Meldung. Als es im Herbst letzten Jahres Probleme in Berliner Schulen gab, erzählte mir eine muslimische Schülerin, dass ihr Freund 100 Euro bekommen hätte, wenn er für die Fotografen als Steinewerfer posiert hätte.
mm.de: Trotz solcher Auswüchse: Für die mangelnde Integration muslimischer Jugendlicher lassen sich wohl kaum allein die Medien verantwortlich machen.
Timken: Sicher nicht, und natürlich darf man Integration nicht nur als Bringschuld des Gastlandes sehen. Die deutlichsten Worte kamen da interessanterweise von den muslimischen Erwachsenen, die wir als Rollenvorbilder eingeladen hatten. Sinngemäß sagten sie den Jugendlichen: Hört auf zu jammern und nehmt Euer Leben endlich selbst in die Hand. Wer sich zum Beispiel keine Mühe gibt, die Sprache seines Gastlandes zu lernen, der muss sich nicht wundern, wenn er keinen Erfolg hat.
mm.de: Auch in den USA gibt es einen großen Anteil an muslimischen Bürgern, etwa sechs Millionen. Sie scheinen deutlich besser in die US-Gesellschaft integriert zu sein als die deutschen Muslime. Woran liegt das?
Timken: Die USA sind eine Nation von Immigranten. Bei uns gibt es keine Trennung zwischen in den USA geborenen Amerikanern und zugewanderten Amerikanern - das erleichtert den Migranten die Identifikation mit ihrer neuen Heimat. In Deutschland gab es in den vergangenen 60 Jahren ein anderes Konzept. Einwanderer kamen als Arbeitskräfte auf Zeit, die einen vorübergehenden Personalengpass in der deutschen Industrie überbrücken sollten. Aber dieses Konzept funktioniert nicht. Die Gastarbeiter gehen nicht einfach wieder nach Hause, wenn sie nicht mehr gebraucht werden.
"Keine Einladung für Immigranten"
mm.de: Werden sich die restriktiven deutschen Einwanderungsgesetze in Zukunft aufrechterhalten lassen?
Timken: Deutschland muss seine eigenen Entscheidungen in diesem Bereich treffen. Aber lassen Sie es mich so formulieren: Die Osterweiterung der EU hat den Staus quo grundlegend verändert und wird zu mehr Aus- und Einwanderern führen. Gesetze, die noch vor zehn oder zwanzig Jahren adäquat gewesen waren, sind heute möglicherweise nicht mehr zeitgemäß. Ich denke, dass Einwanderer sehr viel Positives zu der Entwicklung eines Landes beitragen.
mm.de: Braucht Deutschland in erster Linie veränderte Zuwanderungsgesetze? Oder brauchen wir eine andere gesellschaftliche Einstellung gegenüber Ausländern?
Timken: Die muslimischen Zuwanderern, mit denen ich spreche, wünschen sich vor allem zwei Dinge: Sie möchten eine Chance auf wirtschaftlichen Erfolg, und sie möchten als vollwertige Bürger Deutschlands anerkannt werden. Im Rahmen einer Veranstaltung, organisiert gemeinsam mit dem Verein "Bündnis für Demokratie und Toleranz", hatten wir Vertreter der amerikanischen Muslime nach Berlin eingeladen. An dem Titel einer Diskussionsrunde - "Muslime als Bürger" - nahmen die Gäste Anstoß. Sie fragten mich, ob es morgen vielleicht eine Veranstaltung "Juden als Bürger" oder "Russische Immigranten als Bürger" gäbe. In den USA ist es undenkbar, dass sich ein Muslim als irgendetwas anderes als ein Amerikaner sieht.
mm.de: Was können die Deutschen von den USA lernen, um Integration zu fördern?
Timken: Auch in den USA hatten wir schwerwiegende Probleme mit dem Zusammenleben der verschiedenen ethnischen Gruppen. Erst als wir begriffen, was diese Diskriminierung für andere Menschen bedeutete, wussten wir, dass wir Rassendiskriminierung bekämpfen mussten.
Seit dieser Erkenntnis hat sich im Zusammenleben der verschiedenen Rassen und Kulturen in den USA einiges verbessert - auch wenn noch viel zu tun bleibt. Ich will damit sagen: Integration wird nicht durch Gesetze möglich gemacht, sondern durch Menschen, die aufeinander zugehen. Die ihren Nachbarn zu sich einladen um herauszufinden, wie er wirklich ist.
mm.de: Was meinen Sie damit konkret?
Timken: Deutsche laden normalerweise keine Immigranten zum Abendessen in Ihre Wohnung ein. Würden sie es tun, dann würden sie feststellen, dass auf beiden Seiten reichlich verzerrte Wahrnehmungen zu korrigieren gibt. Hatten Sie schon einmal einen muslimischen Migranten bei sich zuhause zu Gast?
"Nicht auf die Regierung warten"
mm.de: Nein, nur den einen oder anderen amerikanischen Austauschschüler.
Timken: Sehen Sie. Letztlich geht es hier um den grundlegenden Gedanken, dass Menschen für sich und ihr Zusammenleben selbst verantwortlich sind. Amerikaner erwarten nicht die Lösung ihrer Probleme von ihrer Regierung. Sie übernehmen selbst Verantwortung, und das zeigt sich auch in ihrem Umgang mit Menschen aus anderen Kulturen.
Es geht nicht darum, intellektuell darüber zu reflektieren, wie man Menschlichkeit fördert und bewahrt - sondern darum, konkret auf Migranten zuzugehen. Dieser Prozess findet in Deutschland nicht statt. In den USA zeigen wir im Alltag Interesse an jenen Menschen in unserer Nachbarschaft die anders sind - anstatt darauf zu warten, dass die Regierung das Problem mit einem Dialogprogramm löst.
mm.de: Werden nicht auch ihre Dialogprogramme mit deutschen Muslimen von der amerikanischen Regierung finanziert?
Timken: Nicht nur. Bei unserem Austauschprogramm "Windows on America" für muslimische Schüler reichen die Regierungsmittel zum Bespiel bei Weitem nicht aus. Wir suchen deshalb nach neuen Finanzierungsmöglichkeiten und setzen dabei vor allem auf amerikanische und deutsche Unternehmen. Sie sollen nicht nur Geld beisteuern. Wir hoffen darauf, dass sie mit den Jugendlichen auch nach deren USA-Reise in Kontakt bleiben, ihnen vielleicht auf ihrem weiteren Lebensweg helfen können. Die Resonanz der Unternehmen war bisher recht positiv, aber es liegt noch ein weites Stück Weg vor uns.
mm.de: Einige Deutsche würden Ihnen wahrscheinlich entgegnen, dass viele muslimische Einwanderer keinen großen Wert auf Integration zu legen scheinen: Oft wollen sie nicht von ihren deutschen Nachbarn zum Abendessen eingeladen werden, und sie wollen auch nicht dass ihre Töchter vom deutschen Bildungssystem profitieren und hier aufs Gymnasium oder zur Universität gehen.
Timken: Es gibt immer wieder Einzelfälle, mit denen sich solch eine Meinung scheinbar belegen lässt. Aber wenn man seine generelle Meinung über eine Religionsgemeinschaft immer nur an den allerkonservativsten Vertretern dieser Gruppe festmacht, dann könnte man auch bei Christen oder Juden zu sehr pessimistischen Einschätzungen hinsichtlich ihrer Integrationsbereitschaft kommen. Das Gros der Muslime in Deutschland möchte genauso ein Teil der deutschen Gesellschaft und der deutschen Wirtschaft sein, wie sich Zuwanderer überall auf der Welt in ihrer neuen Heimat zuhause fühlen möchten.