Iran-Kriegsszenario Dramatische Folgen für die Finanzmärkte

Die Spannungen zwischen Iran und der Weltgemeinschaft nehmen nach der Festnahme 15 britischer Marinesoldaten weiter zu. Experten schließen auch einen Militärschlag nicht aus. Die Auswirkungen auf Ölpreis, Konjunktur und Finanzmärkte wären gravierend. Vor allem Hedgefonds könnten in erhebliche Turbulenzen geraten.

Hamburg - Die Supermacht hat am Golf schweres Geschütz aufgefahren. Seit Ende Februar kreuzt in arabischen Gewässern ein zweiter amerikanischer Flugzeugträger, die "USS John C. Stennis", eines der größten und leistungsstärksten Kriegsschiffe der Welt: mehr als 18.000 Quadratmeter Flugdeck, 260.000 PS, insgesamt rund 6000 Mann Besatzung.

Begleitet wird der Stahlkoloss von Zerstörern, Raketenkreuzern, Hilfsschiffen und einem Luftkampfgeschwader. Bis zu 90 Flugzeuge und Hubschrauber gehören zur Ausstattung. "Das Geschwader kann feindliche Flugzeuge, Schiffe, U-Boote und Landziele zerstören", heißt es lapidar in der Internetpräsentation des Kriegsschiffes, "oder kann Minen legen, auch Hunderte Kilometer vom Schiff entfernt".

Nur ein militärisches Muskelspiel der USA? Oder stecken hinter dem Aufgebot konkrete Angriffspläne gegen den Iran, dessen Führung sich im Atomstreit weiter uneinsichtig zeigt? Die Signale aus Washington sind widersprüchlich. Ende Februar erklärte US-Vizepräsident Richard Cheney zum Konflikt mit dem Iran: "Alle Optionen liegen immer noch auf dem Tisch." Beim Irak-Sicherheitsgipfel am 10. März saßen dann US-Diplomaten und Iraner an einem Tisch - es blieb jedoch bei einem kurzen Händeschütteln.

Die Kriegsgefahr wird von Experten unterschiedlich eingeschätzt. "Ich halte die Wahrscheinlichkeit einer militärischen Eskalation für sehr gering", sagt der Berliner Politikprofessor Herfried Münkler. "Das Irak-Abenteuer der USA hat zur Konsequenz, dass sie zu einem Angriff auf den Iran nicht imstande sind". Mehr als 100.000 US-Soldaten sind derzeit im Irak stationiert und wären im Fall eines Iran-Kriegs wohl stark gefährdet. "Der Sicherheitsabstand zum Iran fehlt, dadurch sind die USA Gegenschlägen ausgesetzt". Nicht zuletzt sprächen fatale wirtschaftliche Folgen gegen einen Angriff, so Münkler: "Die Ölmärkte würden explodieren".

Gerade dieser Aspekt alarmiert einige Marktstrategen. Mag das Risiko eines weiteren Kriegs am Golf auch noch so gering erscheinen: Ein Angriff auf den Iran bleibt denkbar - und würde dramatische Folgen für die Finanzmärkte nach sich ziehen. Zu diesem Ergebnis kommen Charles Robertson und Mark Cliffe, Ökonomen des niederländischen Allfinanzkonzerns ING. Die Gefahr: Wenn der unerwartete Krieg nun doch eintritt, könnte er die Märkte eiskalt erwischen.

Die drei Angriffsszenarien

Die drei Angriffsszenarien

Zwar halten die Autoren der Studie "Attacking Iran", die im Januar veröffentlicht wurde, einen bevorstehenden Angriff für unwahrscheinlich. Zu geschwächt seien die Regierungen der Iran-Gegner USA und Israel, zu groß die Hoffnung auf einen friedlichen Regimewechsel. Andererseits sehen Robertson und Cliffe auch Argumente für Militäraktionen gegen den Iran: Die Bedrohung der Existenz Israels durch den Iran beispielsweise. Oder die Furcht, die islamische Republik könnte bald über eigene Atomwaffen verfügen.

Gottfried Heller, Chef der Fiduka Depotverwaltung in München, sieht drei mögliche Varianten eines Angriffs auf den Iran. Szenario 1: Die USA starten gezielte Bombenangriffe von ihren Flugzeugträgern aus - ähnlich wie im Irak-Krieg - und zerstören so die iranischen Atomanlagen.

Szenario 2: Israel, das sich in seiner Existenz bedroht sieht, bombardiert strategische Ziele im Iran und erhält Flankenschutz von den Flugzeugträgern der USA. Ein ähnlicher Angriff erfolgte bereits Anfang der 80er Jahre, als die Israelis im Irak einen Atomreaktor zerstörten.

Szenario 3: Die USA eröffnen neben dem Irak einen zweiten Kriegsschauplatz und marschieren in den Iran ein. "Die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Fall eintritt", so Heller, "ist gleich null." Anders in den ersten beiden Fällen: Zu 30 bis 40 Prozent könne man davon ausgehen, dass Israel oder die USA iranische Anlagen bombardieren.

Die zentralen Risiken eines militärischen Angriffs sind spätestens seit dem Irak-Krieg bekannt: Anstieg des Ölpreises, Absturz der Aktienkurse, Schwäche des Dollars. Doch der dritte Golfkrieg taugt nur bedingt zum Präzedenzfall. Damals hatten Kriegsrhetorik und militärische Bündnispolitik der USA bereits Monate zuvor auf eine baldige Attacke hingedeutet. Finanzinvestoren, Händler und Manager rechneten fest mit einem Angriff und kalkulierten ihn frühzeitig ein. Ergebnis: Als die Vereinigten Staaten im März 2003 die ersten Bomber losschickten, zeigte der Dow-Jones-Kurs schon wieder steil nach oben (siehe Chart). Der Ölpreis sank auf unglaubliche 24 Dollar pro Fass.

"Ein schneller Überraschungsangriff auf die iranischen Nuklearanlagen könnte eine viel stärkere Marktreaktion hervorrufen, als wir sie im Fall des Iraks gesehen haben", heißt es in der ING-Studie. Fraglich ist auch, ob die Händler an den Finanz- und Rohstoffmärkten noch an die Mär vom schnellen Präventivkrieg glauben.

Gift für Heuschrecken

Gift für Heuschrecken

Die ING-Ökonomen rechnen mit einem deutlich stärkeren Anstieg des Ölpreises als vor vier Jahren. Der Iran ist als Erdölexporteur bedeutender als der Irak. Eine Preisexplosion auf bis zu 80 Dollar pro Barrel halten die Forscher für plausibel. Damit wäre der Ölpreis etwa dreimal höher als zu Beginn des Irak-Kriegs (siehe Chart unten). Allerdings könnte die Preissteigerung aufgefangen werden durch üppige Reservekapazitäten der übrigen Opec-Staaten.

Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt Vermögensverwalter Heller. Dass der Iran seine Ölförderung drastisch drosseln könnte, befürchtet er nicht: "Die Iraner werden doch nicht den Ast absägen, auf dem sie sitzen." Eine vorübergehende Zunahme des Ölpreises auf 80 bis 90 Dollar pro Barrel hält Heller jedoch für denkbar - "wegen Angstreaktionen der Spekulanten".

Wenn Händler in Unruhe versetzt werden, kann sich die Flussrichtung der Geldströme schlagartig ändern. Das gilt auch für die Finanzmärkte. "Die Angst vor einer Rezession würde zu drastischen Reaktionen führen", sagt Heller. Zwar stehe infolge eines Iran-Kriegs kein Börsencrash bevor: Dafür seien die meisten Aktien zu niedrig bewertet. Auch die Gefahr einer Inflation hält Heller, dank dem Preisdrücker China, nicht für gegeben. Dafür würde eine "Flucht in Qualität" stattfinden, prognostiziert der Vermögensverwalter - in US-Treasuries oder Devisenanleihen. "Anlageformen mit schlechten Ratings wären dagegen nicht mehr gefragt."

Eine derartige Entwicklung wäre Gift für die sogenannten Heuschrecken. Allenfalls tollkühne Spekulanten würden noch größere Summen in Hedgefonds investieren, die in einen Abwärtsstrudel aus fallenden Aktien- und steigenden Devisenkursen geraten könnten. Hedgefonds haben sich zuletzt in niedrig verzinslichen Währungen wie dem Yen oder dem Schweizer Franken verschuldet. Jede Wertsteigerung gegenüber dem Dollar ließe die Verbindlichkeiten empfindlich steigen. Die Folge: "Für Hedgefonds könnte es größere Turbulenzen geben", warnt Heller, "auch Pleiten wären nicht auszuschließen". Ebenfalls gefährdet sieht er private Anleger, die auf Kredit Aktien gekauft haben.

Das bedeutet nicht automatisch, dass jeder Aktieninvestor seine Papiere sofort abstoßen muss, sollten die USA oder Israel den Iran angreifen. Im Gegenteil. Denn mittelfristig könnte der Konflikt wieder zu einem Aufschwung am Aktienmarkt führen. "Der Hoffnungsschimmer hinter der Krise bestünde darin, dass die Phase der Zinserhöhungen beendet wäre", analysiert Heller. "Davon würden aber nur diejenigen Anleger profitieren, die beim Absturz nicht sofort verkauft haben".

Die Profiteure eines Kriegs

Die Profiteure eines Kriegs

Jede Krise schafft auch Profiteure. Gewiss, viele Branchen müssten in Folge eines Iran-Kriegs Einbußen hinnehmen: Die Autoindustrie hätte unter dem steigenden Ölpreis zu leiden, ebenso die Flug- und Tourismusbranche. Ein möglicher Konjunktureinbruch würde zudem die Kauflaune der Kunden bremsen, Unternehmen hätten weniger Geld für Investitionsgüter zur Verfügung. Hersteller von Elektrogeräten, Uhren oder Bekleidung müssten genauso Abstriche hinnehmen wie beispielsweise Maschinenbauer oder Verfahrenstechniker.

Andreas Wex, Leiter der globalen Anlagestrategie bei der Dresdner Bank, benennt jedoch auch vier Gruppen potenzieller Krisengewinner:

  • Rüstungsunternehmen
  • Energieversorger wie beispielsweise RWE, die sich am Ölpreis orientieren
  • Anbieter alternativer Energien
  • Grundstoffunternehmen, die mit Ölproduktion zu tun haben.

Aktien von Sektoren, deren Wohlergehen von der Konjunkturentwicklung weitgehend unabhängig ist, werden in Zeiten hoher Ölpreise besonders nachgefragt. Wex nennt sie die "relativen Gewinner". Dazu gehören beispielsweise die Pharmabranche oder die Telekommunikationsindustrie.

Neben den Krisenszenarien ist natürlich auch ein friedlicher Ausgang denkbar: Mittelfristig bestehe die Hoffnung auf eine politische Konfliktlösung, sagt Uniprofessor Münkler - spätestens dann, wenn sowohl Irans Präsident Mahmud Ahmadineschad als auch sein US-Kollege George W. Bush abgelöst würden. Neue Staatsoberhäupter verhießen eine neue Chance für die Diplomatie. "Mit einer stabilisierenden politischen Übereinkunft wäre auch den Europäern gedient", erklärt Münkler. Höhere Energiepreise, Flüchtlingsströme und Terroranschläge blieben ihnen dadurch erspart.

Auch wenn keine Bomben fallen sollten, stellt der Iran ein unkalkulierbares Risiko dar. Die eigentliche Gefahr sieht Münkler darin, dass sich der Staat als Atommacht etablieren könnte: "Dies würde zu einer Kettenreaktion in einer instabilen Region führen", befürchtet der Politologe, "Länder wie Saudi-Arabien oder Ägypten würden dann alles versuchen, um ebenfalls Nuklearwaffen zu bekommen. Das ist das eigentliche Horrorszenario."

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