McKinsey-Studie Schöne neue Retailwelt
Frankfurt am Main - Otto Normalverbraucher gilt wieder etwas als Kunde bei den deutschen Finanzinstituten. Entsprechend heftig wird er umworben - zuweilen sogar mit befremdlich anmutenden Prämien wie einer Körperfettwaage oder einem Herzfrequenzmessgerät bei der DaimlerChrysler Bank. Die in Deutschland traditionellen Finanzhäuser halten sich dagegen bei ihren Werbeaktionen derzeit vor allem an kostenlose Girokonten, oder es werden wie im Falle der Deutschen Bankmehrere hundert Millionen Euro für den Zukauf einer Bank auf den Tisch geblättert.
Das Privatkundengeschäft erlebt in Deutschland eine Renaissance. In den vergangenen fünf Jahren hat sich der Gewinn im Geschäft mit den Retailkunden immerhin auf 15,5 Milliarden Euro verdoppelt. Doch bringt die Wiederentdeckung auch nachhaltig hohes Gewinnwachstum für die deutschen Institute?
Die Bankenexperten der Beratungsgesellschaft McKinsey haben da ihre Zweifel. "Die Wachstumseuphorie der letzten Zeit ist nicht gerechtfertigt", meint Markus Habbel bei der Vorstellung einer Studie in Frankfurt. Seine Begründung: Die massiv gestiegenen Gewinne der vergangenen Jahre sind vor allem auf Kostensenkungen, geringere Kreditausfälle und steigende Aktienkurse und nicht auf nachhaltig solides Wachstum zurückzuführen. "Der radikale Turnaround im Privatkundengeschäft der Universalbanken ist in erster Linie eine Kostenmanagement-Story", urteilt Habbels Kollege Eckart Windhagen.
Die beiden Berater knüpfen die Zweifel an der Nachhaltigkeit zum einen an den Preiswettbewerb und die Investitionen in neue Kundenbeziehungen, die das Wachstum der Gewinne deutlich beeinträchtigen. Zum anderen könnten die traditionellen Banken die Strategien der sie attackierenden Häuser wie zum Beispiel die Direktbank ING Diba nicht so einfach kopieren.
Vor allem ausländische Konkurrenten gewinnen mit neuartigen Produkten, standardisierten Prozessen und innovativem Marketing im Neukundengeschäft im Gegensatz zu Deutsche Bank & Co. kräftig Marktanteile. "Wenn die Großbanken beispielsweise das ING-Modell übernähmen, würden sie sich ihr eigenes Geschäft kannibalisieren", erklärt Habbel.
"Enormer Handlungsbedarf"
"Enormer Handlungsbedarf"
Allein im ersten Halbjahr 2005, so Habbel, hätten 12 Prozent der Kunden der sogenannten etablierten privaten Banken wie Deutsche Bank oder Postbank bei Produktneuabschlüssen lieber Spezial- und Direktbanken wie ING Diba oder die ehemalige Norisbank (jetzt Teambank) gewählt. Nur 4 Prozent der Spezial- und Direktbankkunden hätten sich umgekehrt für Produkte der etablierten Häuser entschieden. Bei den in der McKinsey-Terminologie sogenannten regionalen Kreditinstituten (Sparkassen und Volksbanken) ist der Abfluss sogar noch stärker gewesen. 20 Prozent der Abschlüsse hätten die Kunden der öffentlich-rechtlichen und genossenschaftlichen Häuser bei Norisbank & Co. getätigt und 18 Prozent bei den privaten Großbanken.
Umgekehrt hatten laut den Berechungen der Unternehmensberater die regionalen Institute nur 4 Prozent der Neuabschlüsse von den Spezialisten und immerhin 11 Prozent von den privaten Banken abziehen können. "Auch in 2006 hat sich an diesem Trend nichts Grundsätzliches geändert, was den enormen Handlungsbedarf zeigt", stellt der McKinsey-Berater fest.
Für Windhagen steht fest, dass die traditionellen Banken in Deutschland die neuen Regeln im Privatkundengeschäft noch nicht vollständig umgesetzt haben. Noch immer bestehe das Verständnis, dass das Bankgeschäft eines mit bestehenden Kunden sei. "Das Bestandsgeschäft ist aber vom Kampf um Marktanteile abgelöst worden", hält Windhagen dem entgegen. Der Wandel setzt seiner Ansicht nach eine Vorgehensweise wie im Mobilfunkgeschäft voraus. Dort werden beispielsweise die Handys für nur einen Euro verkauft, aber der Gewinn mit lang laufenden Verträgen über andere Dienstleistungen gemacht. Marketing und Branding seien wie im Handel zentrale Erfolgsfaktoren, woran sich die Finanzhäuser orientieren müssten. Zudem sollten sich die Institute in der "neuen Welt" enger Margen wie Investmentbanken verhalten, also durch Kapitalmarkttransaktionen die Einlagen effizienter bewirtschaften.
Eine Antwort auf die Frage, wer von den deutschen Banken mit seinem Geschäftsmodell bereits am besten für diesen Umbruch im Retailbanking positioniert ist, vermeiden die beiden McKinsey-Berater. Sie verweisen lieber auf das Ausland, etwa auf die britische Royal Bank of Scotland. Sie kombiniere das traditionelle Bestandskundengeschäft mit dem der attackierenden Spezial- und Direktbanken. "Das ist das Geschäftsmodell der Zukunft im Retailbanking", meint Habbel.