Berlin Polit-Keilerei um Gesundheitsreform
Berlin - Nach der Flut von Änderungsforderungen der unionsregierten Länder an der Gesundheitsreform droht der Koalition bei dem zentralen Reformprojekt ein neues schweres Zerwürfnis.
Notwendige Reformen ließen sich nicht realisieren, "wenn jeder gefundene Kompromiss im Nachhinein von der unionsinternen Opposition in den Ländern wieder sabotiert wird", kritisierte SPD-Generalsekretär Hubertus Heil am Sonnabend in der "Berliner Zeitung". CSU-Generalsekretär Markus Söder sagte, die Gesundheitsreform stehe vor einer schweren Belastungsprobe. Wie andere Unionsvertreter warf er Gesundheitsministerin Ulla Schmidt schwere Versäumnisse vor.
Heil bemängelte, der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber habe zuerst in den Verhandlungen die notwendige stärkere Steuerfinanzierung der Krankenversicherung abgelehnt - jetzt fordere er immense Mehrausgaben, ohne zu verraten, woher das Geld kommen solle. Der CSU-Chef habe sich von Lobbyisten vor den Karren spannen lassen. Wenn sich die Unions-Ministerpräsidenten wieder vom Acker machten, gefährdeten sie die Zukunftsfähigkeit des Gesundheitssystems.
Die unionsregierten Länder hatten am Freitag im Bundesrat auf umfangreiche Änderungen an der Reform gedrängt. Sie fordern etwa, auf den Sparbeitrag der Krankenhäuser in Höhe von 500 Millionen Euro und die Kürzungen beim Rettungsdienst zu verzichten. Die Lasten für Apotheker wollen sie abmildern. Auch bei den Plänen für die Privatkassen pochen sie auf Korrekturen. Bei der Festsetzung des einheitlichen Beitragssatzes verlangen sie eine Mitbestimmung.
Bundeskanzlerin Angela Merkel signalisierte Kompromissbereitschaft für die Länderforderungen. "Die Bundesregierung hat den festen Willen, die im Zusammenhang mit einem neuen Gutachten aufgetretenen Probleme zu lösen", sagte sie der "Bild am Sonntag".
CSU-Generalsekretär spricht von Bankrotterklärung
Stoiber hatte vom Bundesgesundheitsministerium konkrete Zahlen über die Belastungen der Länder durch den Kassen-Finanzausgleich und den Gesundheitsfonds angemahnt, ohne die die CSU nicht zustimmen werde. Eine neues Gutachten belege, dass die Kosten etwa für Bayern und Baden-Württemberg höher seien als von der Regierung behauptet. Auch Unions-Fraktionschef Volker Kauder sagte in der "B.Z. am Sonntag" zu den finanziellen Lasten gebe es unterschiedliche Zahlen. Schmidt müsse Klarheit schaffen.
"Entweder kann sie's ned oder sie wills ned"
CSU-Generalsekretär Söder warf der SPD-Politikerin in der "Süddeutschen Zeitung" (SZ) vor, mit der Reform eine "totale Bankrotterklärung" abgeliefert zu haben. "Frau Schmidt fügt der großen Koalition mit ihrem Vorgehen schweren Schaden zu." In der "Tagesschau" ergänzte der Mann fürs Grobe bei der CSU: "Entweder kann sie's ned oder sie wills ned." Heil sagte dagegen dem Blatt, die CSU müsse sich entscheiden, ob sie regieren oder nur rumpöbeln wolle.
SPD-Politiker erhoben schwere Vorwürfe gegen die CDU-Vorsitzende. Entweder brüskierten die Unions-Ministerpräsidenten die Kanzlerin erneut, "oder aber es wird kaltschnäuzig mit geteilten Rollen gespielt", sagte SPD-Vorstandsmitglied Niels Annen der "Welt am Sonntag". Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sagte: "Die Kanzlerin lässt uns komplett hängen." Die SPD-Fraktion stehe in einem Zweifrontenkrieg zwischen den Unions-Ministerpräsidenten auf der einen und der Unions-Bundestagsfraktion auf der anderen Seite.
Auch innerhalb der SPD rumort es
Kritik an Reform innerhalb der SPD nimmt zu
Doch auch innerhalb der SPD droht beim Thema Gesundheitsreform erneut Ärger. Andrea Nahles, Wortführerin der Parlamentarischen SPD-Linken und Präsidiumsmitglied, sagte der "Leipziger Volkszeitung", die Zustimmung zur vorgelegten Reform sei von "deutlichen Verbesserungen im Interesse der übergroßen Versichertenmehrheit in den gesetzlichen Krankenversicherungen" abhängig.
Bei dem von Ulla Schmidt vorgelegten Gesetzentwurf sei eines schon jetzt klar: "Der derzeit vorgesehene Gesundheitsfonds sollte nicht kommen, weil er mehr Probleme aufwirft als Lösungen bringt." Ihre "äußerst kritische Position" werde in der SPD "von vielen geteilt", sagte Nahles. Der SPD-Gesundheitsexperte Lauterbach schlug vor, die Einführung des Fonds bis 2010 zu verschieben. "Eine Finanzreform, die galoppierende Beitragssätze mit sich bringt, brauchen wir nicht", sagte er den Dortmunder "Ruhr Nachrichten". Niemand glaube, dass die Reform die Beitragsprobleme der kommenden zehn Jahre lösen könne.
CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla rief die Koalitionsparteien zur Mäßigung auf. "Jeder soll sich mäßigen, auch der Generalsekretär der SPD", sagte er der "Bild am Sonntag". Die Koalition habe die Aufgabe, bei der Gesundheitsreform ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Kauder blieb trotz der angedrohten Ablehnung durch die Länder bei der Zielsetzung, wonach die Reform am 1. April in Kraft treten soll.
manager-magazin.de mit Material von dpa und reuters