Siemens-Affäre "Ich trete nicht zurück"
Frankfurt am Main - Im Siemens-Skandal um schwarze Kassen und Schmiergeld hat der Leiter des Rechnungswesens der Kommunikationssparte Com seine Vorgesetzten beschuldigt. Sein Anwalt Steffen Ufer bestätigte nach Angaben des "Tagesspiegels" entsprechende Informationen des Berliner Blatts.
Ufer sagte der Zeitung: "Ab einem gewissen Level wusste jeder, was da läuft." Man habe von seinem Mandanten ausdrücklich gewünscht, beide Augen zuzudrücken. "Es hat keinen Zweifel daran gegeben, dass in diesem Konzern fast jeder - außer vielleicht die Putzfrau - wusste, dass illegale Provisionen gezahlt werden", wird Ufer zitiert.
Siemens habe sich nicht anders verhalten als andere Konzerne, um Großaufträge in Afrika, Asien und Osteuropa zu gewinnen. Der Chefbuchhalter solle in der nächsten Woche nach weiteren Aussagen gegen Auflagen freikommen, sagte der Anwalt
Später betonte Ufer, es wäre ein Missverständnis, daraus zu schließen, dass sein Mandant gegen den früheren Vorstandschef und heutigen Aufsichtsratschefs Heinrich von Pierer ausgesagt habe. Dies hatte der "Tagesspiegel" zunächst berichtet. Die Aussagen richteten sich vor allem gegen den früheren Com-Bereichsvorstand Michael Kutschenreuter. Ufer sagte laut "Tagesspiegel", er selbst habe allerdings den Eindruck, auch der Zentralvorstand habe von den Schmiergeld-Praktiken wissen müssen.
"Wir haben alles getan, was man tun kann"
Pierer wies die Vorwürfe zurück und schloss einen Rücktritt aus. "Ich trete nicht zurück", sagte er der "Welt am Sonntag" laut Vorabmeldung. "Die Frage stellt sich mir nicht. Denn ich habe mir nichts vorzuwerfen." Pierer sieht keine persönliche Versäumnisse: "Wir haben nichts billigend in Kauf genommen. Wir haben viel gegen Korruption getan und unseren Leuten immer klar gesagt: Lasst lieber ein Geschäft sausen", sagte er der Zeitung.
Auch bei der Aufklärung handele der Konzern nun kompromisslos: "Wir haben alles getan, was man tun kann. Eine unabhängige und umfassende Aufklärung ist in die Wege geleitet. Jetzt muss man uns mal Zeit geben", sagte Pierer. Einen Interessenkonflikt verneinte er, obwohl er als Aufsichtsratsvorsitzender nun Vorgänge aus seiner Zeit als Vorstandschef aufklären muss.
Politiker fordern von Pierers Rücktritt
In der Politik sieht man das anders. So schlossen sich die Grünen den Forderungen von SPD-Abgeordneten nach einen Rücktritt von Pierers als Aufsichtsratschef an. "Herr von Pierer muss jetzt die Aufklärung von etwas beaufsichtigen, was während seiner Zeit als Vorstandschef geschah. Effektive Unternehmenskontrolle sieht anders aus", sagte Fraktionschef Fritz Kuhn der "Berliner Zeitung". Auch als Berater der Bundeskanzlerin sei er nicht mehr geeignet.
Die Münchner Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass ein Dutzend Verdächtige etwa 200 Millionen Euro von Siemens veruntreut und im Ausland als Schmiergeld eingesetzt hat. Überprüfungen bei Siemens ergaben zweifelhafte Zahlungen von 420 Millionen Euro in den vergangenen sieben Jahren. Das Geld muss Finanzvorstand Joe Kaeser zufolge nicht komplett in schwarze Kassen geflossen sein. Es handle sich aber um verdächtige Zahlungen für Beraterverträge, bei denen der weitere Geldfluss untersucht werden müsse.
Rückendeckung von Anti-Korruptionsorganisation
Der mit der Untersuchung der Affäre beauftragte Korruptionsexperte Michael J. Hershman sagte dem "Tagesspiegel am Sonntag", es sei "unwahrscheinlich, dass so viel Geld allein in Bestechung floss, um Aufträge an Land zu ziehen". Dies wolle er aber nur als allgemeine Bemerkung verstanden wissen, nicht als Kommentar zum Fall Siemens.
Erste Hinweise auf dubiose Beraterverträge soll es dem Nachrichtenmagazin "DER SPIEGEL" zufolge bereits vom Frühjahr 2001 an im Rahmen eines Kostensparprogramms in der Netztechnik (ICN)- und der Mobilfunksparte (ICM) gegeben haben. Kaeser, damals im Vorstand des ICM-Bereichs, habe dem Magazin gesagt, ihm hätten damals keine Hinweise auf fragwürdige Beraterverträge vorgelegen.
Rückendeckung erhielt Pierer von der Anti-Korruptionsorganisation Transparency International Deutschland. Der Vorsitzende, Hansjörg Elshorst, hält es für unwahrscheinlich, dass Pierer von den Korruptionszahlungen wusste. Er könne sich vorstellen, dass Pierer von Informationen über Schmiergeldzahlungen abgeschirmt worden sei, sagte Elshorst der "Netzeitung".
manager-magazin.de mit Material von ap, dpa und ddp