Ein Jahr Große Koalition "Steht Deutschland heute besser da?"
Berlin - "Steht Deutschland heute besser da als vor einem Jahr?", fragte Merkel rhetorisch in der Bundestagsdebatte über ihren Etat am Mittwoch. Als Antwort verwies sie auf das stärkste Wirtschaftswachstum seit dem Jahr 2000, den Rückgang der Arbeitslosenzahl um eine halbe Million, die Schaffung neuer Stellen, steigende Steuereinnahmen und eine historisch niedrige Neuverschuldung.
Die Kanzlerin sagte mit Blick auf ihre Wahl vor genau einem Jahr: "Um ein Land auf die Zukunft vorzubereiten, ist das eine sehr kurze Zeit."
Zuvor hatte FDP-Fraktionsvize Rainer Brüderle der Kanzlerin und der Koalition nach einem Amtsjahr ein miserables Zeugnis ausgestellt.
Die Aussprache über den Etat des Bundeskanzleramts wird von der Opposition traditionell zu einer Generalabrechnung mit der Regierungsarbeit genutzt.
Gewinnbeteiligung über "Investivlöhne"
Merkel setzt sich unterdessen für wietereweitere Reformen ein. Die Löhne in Deutschland sollen nach dem Willen der Bundeskanzlerin zum Beispiel an die Entwicklung der Einkommen aus Kapitalvermögen gebunden werden. Die Einkommenssituation der Arbeitnehmer muss stärker an die Entwicklung der Kapitaleinkünfte gekoppelt werden, sagte die CDU-Chefin der "Bild"-Zeitung.
"Die Löhne haben sich in den letzten Jahren sehr moderat entwickelt, während die Gewinne aus Kapitaleinnahmen deutlich stärker gestiegen sind", erklärte die Kanzlerin. Beim CDU-Parteitag werde ein Vorschlag für so genannte Investivlöhne gemacht werden. "Die Arbeitnehmer könnten dann als Teil ihres Einkommens an der Entwicklung des Kapitals ihres Unternehmens teilhaben."
Union und SPD jeweils unter 30 Prozent
Ein Jahr nach Antritt der großen Koalition verharren Union und SPD im Umfrage-Tief. In der wöchentlichen Forsa-Erhebung für das Magazin "Stern" und den Sender RTL kommen CDU/CSU und SPD wie in der Vorwoche jeweils auf 29 Prozent. Besser sieht es in der am Mittwoch veröffentlichten Sonntagsfrage nach den Vorlieben bei einer Bundestagswahl für die FDP aus, die mit 15 Prozent ihr Jahreshoch halten kann. Die Grünen konnten sich um einen Punkt auf elf Prozent verbessern, die Linkspartei sank um einen Punkt auf zehn Prozent.
Bundeskanzlerin Angela Merkel erhielt in der Umfrage von den Bundesbürgern im Schnitt die Note 3,4 bei einem Notenspektrum von 1 (sehr gut) bis 6 (ungenügend). Für die Sonntagsfrage würden über 2500 Bundesbürger vom 13. bis 17. November befragt. An der Benotung Merkels wurden über tausend Wahlberechtigte beteiligt.
Struck: Konflikte zwischen Fachpolitikern
SPD-Fraktionschef Peter Struck hat unterdessen eingeräumt, dass es nach einem Jahr großer Koalition weiter Konflikte zwischen den Fachpolitikern von Union und SPD gibt. In der Generalaussprache hob Struck am Mittwoch jedoch das Vertrauensverhältnis zu seinem Unionskollegen Volker Kauder hervor. "Das gleiche Vertrauen prägt auch die Zusammenarbeit von Bundeskanzlerin Merkel zu ihrem Vizekanzler Franz Müntefering", sagte er.
Struck verteidigte zentrale Vorhaben der Koalition gegen Kritik der Opposition und von Verbänden, unter anderem die umstrittene Gesundheitsreform und die Föderalismusreform. Er warnte die Koalitionsparteien davor, sich vor Wahlen auf Kosten des Partners zu profilieren.
Union und SPD würden Erfolg haben, wenn die Koalition Erfolg habe.
Kritik von Gewerkschaften und Arbeitgebern
Außenpolitisch ein schwieriges Jahr
"Außenpolitisch war es ein schwieriges Jahr", sagte Struck mit Blick auf den Bundeswehr-Einsatz zur Stabilisierung des Libanon. Er verteidigte die Entscheidung, die Bundeswehr nicht dauerhaft in den Süden Afghanistans zu entsenden, sondern die erzielten Stabilisierungserfolge im Norden zu sichern.
Er gehe davon aus, dass dies auch beim Nato-Gipfel Ende des Monats bestätigt werde. Er stellte sich ausdrücklich hinter Überlegungen Jungs, die Zahl der in Bosnien eingesetzten deutschen Soldaten künftig zu reduzieren.
Kritik von Gewerkschaften und Arbeitgebern
Die Gewerkschaften forderten die Regierung zum Jahrestag zu einem Kurswechsel in der Sozialpolitik auf. Dagegen verlangten die Arbeitgeber ein höheres Reformtempo vor allem in der Arbeitsmarktpolitik.
DGB-Chef Michael Sommer sagte der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Mittwoch), Union und SPD hätten ihr Ziel verfehlt und den Wählerauftrag "geradezu ins Gegenteil verkehrt". Die Wähler hätten bei der Bundestagswahl die "Agenda 2010" der SPD als auch die Leipziger Beschlüsse der CDU "abgestraft" und soziale Gerechtigkeit eingefordert. Sommer warnte die Union davor, sich bei ihrem Parteitag in einer Woche für eine Lockerung des Kündigungsschutzes auszusprechen.
Hingegen sagte Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt der "Passauer Neuen Presse" (Mittwoch): "Wir brauchen eine neue Arbeitsmarktverfassung mit einem vereinfachten und deregulierten Arbeitsrecht." Mit der jetzigen Koalition bewege sich auf diesem Gebiet nichts. Darüber hinaus seien die Zielsetzungen des Koalitionsvertrages "bei weitem noch nicht erreicht". Hundt warnte vor Kursänderungen bei der geplanten Unternehmensteuerreform.
manager-magazin.de mit Material von dpa/reuters/vwd