Mannesmann, 5. Prozesstag Moralische Bedenken eines Aktienrechtlers
Aktueller Stand: 12.15 Uhr, Verhandlungsende
9.00 - 9.20 Uhr: Der Vorsitzende Richter Stefan Drees eröffnet den Verhandlungstag vor rund 65 Personen im Saal L 111. Der renommierte Aktienrechtler Gerd Krieger tritt auf. Er hatte Mannesmann bei den umstrittenen Millionenprämien rechtlich beraten. Der Gutachter von der Kanzlei Hengeler Mueller hatte damals die rechtliche Unbedenklichkeit der Beschlüsse attestiert, nachdem Bedenken beim Mannesmann-Wirtschaftsprüfer KPMG aufgekommen waren. KPMG-Prüfer hatten nach der Übernahme durch den Konkurrenten Vodafone für knapp 400 Millionen Mark rechtliche Mängel bei den Schriftsätzen zu den Abfindungen moniert.
Die Aussage des 56-jährigen Professors soll klären, ob die Angeklagten davon ausgehen konnten, dass die Prämien rechtlich zulässig seien. Davon war das Düsseldorfer Landgericht im ersten Prozess ausgegangen und hatte alle Angeklagten aufgrund eines "unvermeidbaren Verbotsirrtums" freigesprochen.
Am 3. März 2004 hatte Krieger bereits der damaligen Richterin Brigitte Koppenhöfer seine Sicht der Dinge zum Fall Mannesmann geschildert.
Krieger: Beschluss über Funks Prämie "unwirksam"
Krieger wurde damals wie heute vor allem zum sogenannten Bedenken- oder auch Rechtsgespräch befragt, in dem es um die Kritik an den Abfindungsregelungen für Topmanager und Pensionäre ging. Rund 120 Millionen Mark sollten in Form von Prämien an das amtierende Führungspersonal und Pensionäre ausgeschüttet werden.
Neben Krieger und zwei KPMG-Vertretern nahmen auch Mannesmann-Chef Klaus Esser, Dietmar Droste aus der Personalabteilung und Götz Müller, Experte für Gesellschaftsrecht bei Mannesmann, an dieser Besprechung am 7. März 2000 teil. Müller hatte am vergangenen Prozesstag bereits ausgesagt und keinen Hehl daraus gemacht, dass er die Zahlungen als bedenklich einstufte.
Krieger sagte 2004 aus, er habe die Prämien der Topmanager damals für zulässig gehalten, nicht aber den Beschluss über die Zuwendungen für Joachim Funk. Als AR-Chef hatte Funk den von Krieger kritisierten Beschluss mit unterschrieben, der ihm persönlich eine Prämie in Höhe von drei Millionen Pfund zusicherte. Die Höhe der Prämie für Vorstandschef Esser (zehn Millionen Pfund) sei zwar "ohne Beispiel" gewesen, sagte Krieger damals. Es habe sich aber um eine Ermessensfrage des Aufsichtsrats gehandelt.
10.20 Uhr / Kriegers Vorschlag
9.20 - 10.20 Uhr: Heute sagt Krieger über das Gespräch unter Rechtsexperten zunächst, dass Esser eindeutig erklärt habe, wenn ihm eine Prämie zukomme, dann müsse es auch Zahlungen an sein Team geben.
Die Bedenken der KPMG-Prüfer, die zu dem klärenden Gespräch führten, fußten laut Krieger auf zwei Argumenten, auf die zuletzt auch vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe eingegangen wurde: Zum einen habe eine Vertragsgrundlage gefehlt. In den Konditionen ihrer Anstellungspapiere sei bei den Mannesmann-Managern die Zahlung von Sonderprämien nicht vorgesehen gewesen. Zum Zweiten gebe es eine unklare Beschlusslage zu den geplanten Prämienzahlungen.
Die Einwände von KPMG seien aber "eher formaler Natur" gewesen. Am Ende des Rechtsgesprächs waren die Bedenken der Prüfer zur Beschlussfassung nach Kriegers Schilderung "ausgeräumt". Wie das geschah, bleibt zunächst unklar. Und die Staatsanwälte hakten später genau bei diesem Punkt nach.
Vorschlag: Das AR-Präsidium neu besetzen
Krieger erklärt weiter, dass in den Prämienpapieren, die von den juristischen Experten analysiert wurden, keine Verstöße gegen einschlägige Paragrafen des Aktienrechts erkennbar gewesen seien. Bis auf die vorgesehene Zahlung von neun Millionen Mark an Mannesmann-Aufsichtsratschef Joachim Funk. Weil dieser über die eigene Prämie mit entschieden hatte, sei dieser Beschluss nach seiner Rechtsauffassung "nichtig" gewesen.
Krieger schlug zur Lösung dieses Problems vor, das Präsidium des Aufsichtsrats neu zu besetzen, und den Beschluss dann von anderen Mandatsträgern neu fällen zu lassen. Damit wäre Funk juristisch aus der Schusslinie gekommen. Kriegers Vorschlag wurde aber nicht umgesetzt. Auch ein Beratervertrag von Funk bei Vodafone sei als Alternative diskutiert worden. Nur habe man nicht eruieren können, "wobei Herr Funk wen beraten solle".
Der Aktienrechtler gibt weiter zu Protokoll, dass die Frage, ob die Prämien einen Zukunftscharakter aufwiesen, in den Gesprächen mit Mannesmann keine Rolle gespielt hätte. Seine Aussage lässt sich sogar so weit interpretieren, dass die Verantwortlichen diese Frage ignorierten. Gestellt hatte sie aber schon damals "einer meiner jüngeren Mitarbeiter", der mit einer Recherche zum Fall und einer juristischen Beurteilung beauftragt war. Der Zukunftsaspekt sei bei der Diskussion über das heikle Thema intern in der Kanzlei zur Sprache gebracht worden. Krieger erklärt, dass er diesen Aspekt als "abseitig" angesehen habe. Ob die Frage nach dem Zukunftsaspekt dennoch bei Verantwortlichen von Mannesmann angekommen sein könnte, bleibt unklar.
12.15 Uhr / Die Geschenkefrage
10.20 - 11.30 Uhr: Deutsche-Bank-Chef Ackermann hatte in seinem Eingangsstatement erklärt, er habe den Sinn der von ihm mit genehmigten Prämien unter anderem darin gesehen, die Zukunft des Konzerns abzusichern. Der Karlsruher Bundesrichter Klaus Tolksdorf erklärte dagegen, es habe sich bei den Prämien um "Geschenke" gehandelt, für die keine Gegenleistung erwartet wurde.
Statt über den Zukunftscharakter der Zahlungen zu reden, sei in dem Kreis der Beteiligten und Berater kontrovers über die Höhe diskutiert worden. Esser erhielt schließlich mehr als 30 Millionen Mark Sonderprämie, Krieger nennt die Summen "extraordinär". Aufgrund der Aktienkursentwicklung bei Mannesmann habe er sie aus juristischer Sicht als "vertretbar" beurteilt. Die KPMG-Prüfer hatten nach Kriegers Erinnerung gegen die Millionensummen keine Einwände, sondern konzentrierten sich auf formale Mängel beim Zustandekommen der Beschlüsse.
Auffällig ist, dass Krieger in seinen Schilderungen der Vorgänge aus dem Jahr 2000 einerseits von Erinnerungen über konkrete Vorgänge berichtet, dann aber häufig von der Zeugen- in eine Gutachterrolle wechselt. Er kommentiert die Vorgänge juristisch auch aus seiner heutigen Sicht.
Einbußen bei den Pensionsansprüchen
Bereits damals habe er gegenüber Mannesmann allerdings eine Einschätzung zur Beurteilung der Prämien für die Pensionäre und die zu erwartende Auswirkung auf die Pensionsansprüche der Vorstandsmitglieder abgegeben. Seine Hinweise dazu seien jedoch vom Konzern ignoriert worden.
Krieger spricht von "Befürchtungen" amtierender Vorstände bezüglich ihrer Pensionen, die ihm zugetragten wurden. Sollten nach der Übernahme durch Vodafone ihre Gehälter sinken, müssesich das auch in der Berechnung ihrer ihrer künftigen Pension niederschlagen - und zwar mit Einbußen, so Kriegers Einschätzung. Bei der versicherungsmathematischen Berechnung der Ansprüche hätte dieser Umstand eine wichtige Rolle spielen müssen, so ein Ergebnis seiner Rechtsberatung.
Erst nachdem er sein Positionspapier zu den Abfindungen abgegeben hatte, habe Krieger erfahren, dass dieser Hinweis bei der Berechnung der Prämien nicht berücksichtigt wurde, sondern im Gegenteil von weiter steigenden Pensionsansprüchen ausgegangen wurde. Dies hatte unmittelbare Auswirkungen auf die Höhe der Sonderprämien, die an die Pensionäre nach der Übernahme gezahlt wurden - und auch auf die Summen, die aktive Manager im Konzern erhielten. Aus Kriegers Sicht müssen sie eindeutig zu hoch ausgefallen sein.
Lichtenberg spricht von Gefälligkeitsgutachten
Auf Nachfragen von Oberstaatsanwalt Peter Lichtenberg erklärt Krieger, dass die Einwände der KPMG-Prüfer am Ende des Gesprächs nicht restlos ausgeräumt gewesen seien. Zudem muss er zugeben, dass er den Dienstvertrag von Esser nicht kannte, als er sein Positionspapier zu der Prämienfrage verfasste. Auch andere wichtige Unterlagen standen Krieger nicht zur Verfügung - das wird aus der Befragung durch Richter Drees deutlich.
Lichtenberg greift in seiner Befragung des Zeugen schließlich auf eine These aus dem ersten Prozess zurück: War Kriegers Positionspapier nur ein Gefälligkeitsgutachten? Aus der Fragestellung des Juristen wird deutlich, dass er für möglich hält, Krieger habe gewusst, dass er nur zur Entlastung der Konzernführung engagiert wurde und keine objektive Beurteilung des Themas gefordert war. Wenn dies auch unausgesprochen blieb, habe Krieger dies doch als einen Auftrag verstehen können.
Lichtenberg zieht als einen Kritikpunkt zur Rolle Kriegers - nämlich, ob er tatsächlich objektiv beurteilt habe - dessen Ignoranz gegenüber der Ausarbeitung seines Mitarbeiters heran. Exakt so, wie fünf Jahre später die Richter in Karlsruhe hatte dieser Mitarbeiter zu bedenken gegeben, dass die Prämien möglicherweise nicht zukunftsgerichtet seien - und damit auch nicht statthaft.
Warum Bedenken nicht weitergegeben wurden
Warum dieser Punkt nicht weiter erörtert wurde, will Lichtenberg wissen. Und: "Wurde das Gutachten eigentlich von Ihnen oder von jemand anderem verfasst?" Krieger antwortet, er habe die Ausführungen des Kollegen lediglich als Material für seinen eigenen Ausführungen genutzt.
Mehrmals ermahnt Lichtenberg, der im scharfen Ton seine Fragen setzt, den Zeugen: "Bedenken Sie, dass Sie hier die Wahrheit sagen müssen." Bis Krieger schließlich kontert: "Ich sage hier schon die Wahrheit - auch, wenn sie Ihnen nicht gefällt." In dem Dialog geht es weiter darum, ob sich Kriegers Rolle nicht binnen kurzer Zeit von der eines Gutachters zu der eines Beraters gewandelt hat. Informierte er seinen Auftraggeber Mannesmann so umfassend, wie die juristische Literatur es zu dem Thema hergab? Oder suchte er schlicht eine Argumentation, die Mannesmann zupass kam? Eine eindeutige Antwort gibt Krieger nicht.
11.00 - 11.50 Uhr: Auch wenn alle Beteiligten im Saal sich um Sachlichkeit bemühen ist doch spürbar, dass die Frage nach der Integrität von Kriegers Gutachten zentrale Bedeutung für die Urteilsfindung bekommen könnte.
So fragt Esser Verteidiger Daniel Krause noch einmal nach, ob die Verantwortlichen aus dem Hause Mannesmann, also Dietmar Droste und Götz Müller, nach dem Rechtsgespräch zu der Erkenntnis kommen mussten, dass die Millionenprämien zur Auszahlung gebracht werden konnten. Krieger stimmt dem zu.
Krause erläutert weiter, dass Krieger sich bei den Recherchen zu der Abfindungsfrage auch auf Berichte in US-Medien gestützt habe. In ausländischen und deutschen Fachartikeln, die von vergleichbaren Situationen handelten, habe Krieger eine Einschätzung erhalten, die für die Rechtmäßigkeit der Zahlungen sprach. Dass Krieger Essers Dienstvertrag nicht kannte, thematisiert Krause nicht.
"Hol- und Bringe-Service" im Gericht
"Hol- und Bringe-Service" im Gericht
Krieger, der ein handschriftliches Protokoll des Rechtsgesprächs erstellt hatte, sagte im ersten Prozess zum Fall Funk: Dass der Beschluss zu dieser Prämie "unwirksam" sein müsse, darüber könne "man kaum geteilter Meinung sein".
Alternativ habe man in dem kleinen Kreis auch erwogen, Funk möglicherweise einen Beratervertrag bei Vodafone zukommen zu lassen, die Idee aber aufgrund mangelnder Fachkenntnis von Funk verworfen.
Vom rechtlichen Standpunkt sei nach dem Ausscheiden Funks aus dem Mannesmann-Aufsichtsrat der Weg frei gewesen, Funk eine Sonderprämie zu gewähren. Persönlich habe er aber sämtliche Prämien für überhöht gehalten. Dies "müsste eigentlich" bei allen Beteiligten des Bedenkengesprächs "so angekommen sein".
Kein anderer Zeuge hatte sich im ersten Prozess so viel bewegt wie Krieger während seiner Aussage. Er wanderte von der Bank der Staatsanwälte zu den Verteidigern und legte ihnen unermüdlich Papiere vor, zu denen gerade gesprochen wurde. Das war auch der Richterin aufgefallen: "Vielen Dank - auch für den Hol- und Bringe-Service", entließ sie den Zeugen.
Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe hatte die Freisprüche für die sechs Angeklagten im vergangenen Jahr aufgehoben und den Fall an das Landgericht zurückverwiesen. Bei der Neuauflage des Prozesses verhandelt das Landgericht nun erneut gegen Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann und fünf weitere Angeklagte wegen des Vorwurfs der schweren Untreue oder der Beihilfe dazu. Dabei geht es um die Ausschüttung von 57 Millionen Euro Prämien im Zuge der Übernahme von Mannesmann durch den britischen Mobilfunker Vodafone im Jahr 2000.