Sanierung mit Power 8 "Dilbert" und die Airbus-Manager
Hamburg - Nie war der Flurfunk in Hamburg-Finkenwerder wichtiger als heute. Am größten deutschen Airbus-Standort ist die Verunsicherung groß: Wird dem Werk der Auftrag für bestimmte Bauabschnitte des Prestigemodells A380 entzogen? Bleibt Louis Gallois nach dem abrupten Abgang des Hoffnungsträgers Christian Streiff Airbus-Chef, oder kommt Eurocopter-Präsident Fabrice Brégier als Radikalsanierer? Was wird aus den Arbeitsplätzen?
Seit Dienstag ist es offiziell: Der Flugzeughersteller Airbus trennt sich in Deutschland von 1000 seiner insgesamt 7300 Leiharbeiter. Dass es nicht bei diesem Einschnitt bleiben wird, gilt als sicher. Unter den Beschäftigten, zum Beispiel den konzernweit 2500 Mitarbeitern des Bereichs Qualität, kursieren bereits Informationen darüber, dass nicht nur die bekannten 1000, sondern sämtliche Mitarbeiter, die über Zeitarbeitsfirmen angestellt sind, bis Dezember ihre Airbus-Jobs verlieren.
Geplant sei, ein Drittel aller Beschäftigten freizusetzen, heißt es in der Belegschaft. Und genau dieses Drittel der Belegschaft werde durch die angeblich geplante Trennung von allen Leih- und Fremdarbeitskräften (im Airbus-Jargon LAK'ler und FAK'ler) vergleichsweise problemlos erreicht werden können, weil deren Verträge größtenteils ohnehin bis zum Jahresende befristet seien. Airbus erklärte dazu gegenüber manager-magazin.de, beide Aussagen - die Nicht-Verlängerung der angesprochenen Verträge und die Personalreduzierung um ein Drittel - seien "nicht richtig".
Teure Seilschaften im Management
Auf der Streichliste, die in der Personalabteilung bei Airbus angeblich kursiert und deren Existenz Airbus auf Nachfrage bestritt, sollen sowohl Mitarbeiter aus Toulouse wie auch aus Hamburg genannt sein - darunter auch Festangestellte. Auf viele von ihnen könnte Airbus allerdings bereits in einem Dreivierteljahr wieder dringend angewiesen sein: Wenn der industrielle Hochlauf für den A380 einsetzt - also nachgebesserte Rumpfteile endlich lackiert, überarbeitete Küchenzeilen endlich eingebaut und optimierte Elektronik endlich installiert werden können.
Dann dürfte in bestimmten Abteilungen der Bedarf an qualifiziertem Personal groß sein. Der Airbus-Betriebsrat warnt bereits davor, dass viele dieser wichtigen Arbeitskräfte im entscheidenden Moment nicht mehr verfügbar sein werden. Durch die kurzfristig erreichte finanzielle Entlastung schaffe man ein schwer lösbares Problem für die Zukunft.
Auf der Wunschliste der Arbeitnehmervertreter steht zur Bewältigung der Krise ein anderer Punkt ganz oben: Das Aufbrechen von gewachsenen, aber leistungsfeindlichen Konzernstrukturen. "Durch Seilschaften im Management verlieren wir hier am meisten Geld und Zeit", erklärten Airbus-Mitarbeiter gegenüber manager-magazin.de. Bei vielen Airbusianern hatte sich der Elsässer Christian Streiff (51), der im Juli ihr oberster Chef wurde, Respekt verdient. Bis er Anfang Oktober die Brocken hinschmiss, hatten ihm viele bei Airbus abgenommen, dass er durchgreifen wolle.
"Schmerzhafte Einschnitte"
"Schmerzhafte Einschnitte", fair verteilt
Das EADS-Übel der Länderinteressen in dem von Deutschen und Franzosen geprägten Konzern hat Konzern-Co-Chef Thomas Enders kürzlich noch einmal deutlich adressiert, als er den immer wahrscheinlicher werdenden Einstieg des deutschen Staates ausdrücklich ablehnte. Die Entscheidungen bei Airbus werden bereits jetzt unter den Argusaugen der Politik getroffen. Wenn verschiedene Staaten als Mitbesitzer des Konzerns obendrein auch noch hineinregieren könnten, würde der Wettbewerbsnachteil umso schwerer wiegen.
Der neue Airbus-Chef Gallois folgte so auch schlicht der EADS-eigenen Mechanik, als er direkt im Anschluss an seine angekündigten "schmerzhaften Einschnitte" erklärte, dass die Sparmaßnahmen "nicht unter rein betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten" erfolgten: Auch die Interessen der Nationen spielten eine Rolle, die Schläge mit der Sparkeule würden regional ausgewogen angesetzt.
Anderseits ist nach einem Newsletter des Airbus-Betriebsrats vom 9. Oktober aktuelle Beschlusslage im Konzern, für die jeweils ersten A380 der vier in vorderster Front wartenden Kunden, "die Elektrik nicht in Hamburg, sondern auf einem neu zu installierenden Plateau in Toulouse zu entwickeln". Ein Airbus-Sprecher erklärte dazu gegenüber manager-magazin.de lediglich: "Die Bauaufteilung für das A380-Programm ist unverändert." Die Spezialisten aus Hamburg-Finkenwerder und anderen Airbus-Standorten, die dafür nötig sind, werden derzeit für die Endproduktion der vier so genannten "Head of Versions" in Frankreich zusammengezogen. Diese jeweils ersten fertigen Maschinen werden anschließend an die Kunden Singapore Airlines, Emirates und Quantas ausgeliefert.
Kernproblem Kabel schon 2003 erkannt
Gallois, der Airbus Deutschland neben seinem Posten als Co-Chef bei EADS leitet, hat angekündigt, die Sparmaßnahmen seines Vorgängers Streiff weiter zu verfolgen. Unverändert will er an dem Sanierungskurs, manifestiert im aus acht Themenbereichen bestehenden Power-8-Programm, festhalten. Doch viele aus der Belegschaft in Hamburg, die diese Ankündigung aus einem per Intranet verbreiteten Brief an die Mitarbeiter gelesen haben, misstrauen der Ausgewogenheit, die Gallois öffentlich permanent beteuert. "Das Werk Hamburg ist eine tragende Säule des Konzerns, ebenso wie das Werk in Toulouse", betont Gallois. Skeptiker befürchten jedoch, dass die Toulouser Säule unter dem neuen Chef mehr tragen soll als die hanseatische.
Die Befürchtung gründet bei vielen Mitarbeitern auf Erfahrungen der Vergangenheit. So wunderten sich betroffene Designer und Softwarespezialisten bereits vor Monaten, dass in Hamburg und Toulouse mit unterschiedlichen, teilweise nicht-kompatiblen Computer-Aided-Design-Programmen (CAD) für den A380 konstruiert wurde.
Da 530 Kilometer Kabel nach hochkomplexen Sicherheitsvorschriften in jedem Flugzeug verlegt und verlötet werden, ist dies ein zerstörerisches Manko. Die ersten Klagen gab es intern im Bereich Elektronik nach Informationen von manager-magazin.de bereits im Jahr 2003. Nachgefragt bei Airbus erklärte ein Sprecher dazu: "Das kann ich nicht kommentieren." Als sich trotz Kritik an der Software-Zweigleisigkeit nichts änderte und im Abstimmungsprozess zwischen den länderübergreifenden Abteilungen folgerichtig Probleme auftraten, nahmen es die Beteiligten kopfschüttelnd hin.
"Man reported sich zu Tode"
"Wichtige Dinge versanden"
Ähnliches gelte auch für die angeblich nicht ausgereiften Notfallrutschen, die der US-Konzern Goodrich nach Hamburg liefert. Weil es noch nie ein Flugzeug gab, dessen obere Ausstiegstüren knapp 15 Meter hoch über dem Boden angebracht waren wie beim A380, betraten die Entwickler Neuland. Bei den längsten aufblasbaren Rutschen der Fluggeschichte ist eine konstante Qualität dem Vernehmen nach noch nicht gewährleistet. Der Konzern beruft sich darauf, dass die Rutschen beim Evakuierungstest im März "bestens funktioniert" und zudem von den Zulassungsbehörden EASA und FAA "ihren Segen bekommen" hätten.
"Es kommt vor, dass wichtige Dinge signalisiert werden und doch versanden", erklärte jedoch ein Airbus-Insider gegenüber manager-magazin.de. Es habe auch auf die Kabelprobleme Reaktionen seitens des Managements gegeben, nur hätten diese nicht gefruchtet.
"Um Fehler zu analysieren, darzustellen und Lösungsversuche zu erarbeiten, wurden wie so häufig bei Airbus auch bei der A380-Entwicklung massenhaft Mitarbeiter für das Reporting eingestellt", heißt es bei Mitarbeitern. In der Folge seien die E-Mail-Fächer von Team- und Abteilungsleitern auf "50 und mehr Powerpoint-Dateien pro Woche angeschwollen".
"Man reported sich zu Tode"
Um aus dieser Flut von Informationen die wichtigen auszusieben, wurden vom mittleren Management dann, so kritisierten Mitarbeiter gegenüber manager-magazin.de, neue Reportingteams gebildet, welche die gesammelten Informationen verdichten sollten. Leider seien dabei aber häufig Übertragungsfehler und Logik-Patzer passiert - "so reported man sich zu Tode".
Und doch fördern selbst die unproduktivsten Reporting-Kräfte einen positiven Nebeneffekt, von dem allerdings lediglich ihre Vorgesetzten profitieren: Je mehr Mitarbeiter eine Führungskraft bei Airbus unter sich habe, umso höher sei angeblich ihr Gehalt. Dass im Airbus-Management viele Absolventen der Nordakademie, einer von der Wirtschaft getragenen privaten Hochschule bei Hamburg, tätig sein sollen, sehen Skeptiker im Konzern ebenfalls kritisch: Man kenne sich, man lasse sich gegenseitig gewähren und sehe über Fehler hinweg - das sei eine menschlich nachvollziehbare, aber unternehmerisch verhängnisvolle Haltung.
Im Ergebnis sollen beim A380 Fehler wie die folgenden aufgetreten sein: Zu klein dimensionierte Kabelschächte. Für Kabel vorgesehene Bohrungen in verschiedenen Rumpfsektionen, die beim Zusammenfügen aber nicht wie geplant aufeinander treffen. Knickwinkel, Festhalte- und Lötpunkte in der Verkabelung können in der Praxis nicht so umgesetzt werden, wie auf dem Papier gezeichnet. Selbst ein zu kurzes Kabel, das jeder Hauselektriker ohne Wimpernzucken per Lüsterklemme verlängern würde, ist im Flugzeugbau ein ernstes Problem.
Jedes Detail muss zur Behörde
Jedes Detail muss zur Behörde
Nicht zuletzt wegen Feuergefahr haben die Aufsichtsbehörden extrem strenge Vorschriften im Bereich Flugzeugelektronik erlassen. Verlängerte ein Mechaniker in der Not ein kleines Kabel um ein paar Zentimeter, zöge dies strafrechtliche Konsequenzen nach sich. Der Weg zur Lösung führt bei jeder noch so kleinen Änderung der ursprünglichen Planzeichnung dazu, das eine abgeänderte Version - beispielsweise von Kabelbäumen - neu bei den Genehmigungsbehörden einzureichen ist. Und zwar nicht nur bei der EU, sondern auch bei der US-amerikanischen Federal Aviation Administration (FAA) und ihrem chinesischen Pendant CAAC, um nur die Wichtigsten zu nennen.
Nicht nur Fehler, auch Änderungswünsche der Kunden muss Airbus genehmigen lassen. Nach deren Prüfung kann es nicht nur neue Auflagen durch die behördlichen Experten geben - in jedem Fall raubt der Vorgang Zeit. Für Monate kann in solchen Phasen am Flugzeug nicht wie vorgesehen weitergearbeitet werden. Das hat angeblich auch schon Zulieferbetriebe in finanzielle Nöte gestürzt, weil Airbus häufig erst dann für deren Produkte zahlt, wenn diese verbaut und getestet sind. Frankreichs Verkehrsminister Dominique Perben kündigte Anfang dieser Woche bereits an, dass die französischen Zulieferer in Nöten staatliche Unterstützung erwarten können.
Von Rot auf Grün - die "Dilbert"-Ampel
Angesichts moderner Inflight-Entertainment-Systeme und elektronisch verstellbarer Klimaanlagen (bisher sind nur manuell bedienbare auf dem Markt) verwundert die Zeitverzögerung bei der Auslieferung des A380 Eingeweihte kaum noch: Statt 14 Flugzeugen soll im kommenden Jahr nur eins an den Käufer übergeben werden. EADS beziffert die zu erwartenden Schadensersatzzahlungen und den Mehraufwand beim A380 bis zum Jahr 2010 auf rund fünf Milliarden Euro.
Noch im vergangenen Dezember hatte Airbus angestrebt, bis Mitte kommenden Jahres 30 A380-Flugzeuge auszuliefern. Die Kosten für die Verzögerung hatte der damalige Airbus-Chef Gustav Humbert auf rund 100 Millionen Euro beziffert.
Schlechte Nachrichten und Fehleinschätzungen in kurzen Abständen zu denen sich eine mangelhafte interne Kommunikation gesellt - ob solcher Erfahrungen kam das Plagiat eines Dilbert-Cartoons bei Airbus in den vergangenen Wochen zu besonderer Ehre. Unter der Hand liefen die sechs Bildchen unter der Zeile "Moderne Firmenkommunikation" durch nahezu sämtliche Büros in Hamburg-Finkenwerder.
Einem Abteilungsleiter wird in der Bilderfolge erklärt, er könne ein Projekt nicht termingerecht abschließen, der Status sei damit "rot". "Rot! Wie soll ich das meinen Chefs erklären? Das ist nicht akzeptabel", schimpft der Abteilungsleiter. Sein Untergebener gibt verschüchtert klein bei, man einigt sich auf den Status "gelb". Der Manager, der als Nächster den Statusbericht bekommt, sagt sich: "So lange eine Chance besteht, ist das Projekt für mich im grünen Bereich" und meldet an den Konzernchef "Alles im Plan!". Das Gegenteil ist zwar der Fall, aber die beiden Bosse wissen das nicht. Oder wollen es gar nicht so genau wissen, so lange es gut geht.