China kauft ein "Sie betreten gerade die weltweite M&A-Bühne"
mm.de: Während China in den vergangenen Jahrzehnten als günstiger Produktionsstandort für die Industrienationen diente, wandelt sich die Situation derzeit deutlich. Steigende Zahlen bei den asiatisch-europäischen Firmenkäufen zeugen vom neuen Selbstbewusstsein der fernöstlichen Unternehmer. Gibt es dennoch Anfängerfehler?
Roos: Während der Übernahme gibt es meist nichts zu bemängeln das Verhandeln über Preise und Konditionen wird in China ebenso gut beherrscht wie in anderen Industrienationen. Diffiziler wird die Aufgabe aber, wenn es darum geht, die westlichen Unternehmensteile und vor allem die Führungsteams zu integrieren.
mm.de: Weil die Mentalitäten zu unterschiedlich sind?
Roos: Nun, zumindest die Managementstile. In China wird die überwiegende Mehrheit der Unternehmen stark zentralistisch geführt. Im Westen bevorzugt man flache Hierarchien aber das überzeugt viele chinesische Unternehmer nicht. Ihre Erfahrung aus den vergangenen Jahren ist, dass man mit einer streng hierarchischen Managementstruktur erfolgreich sein kann. Dass dieser Erfolg zu großen Teilen den besonderen Rahmenbedingungen in der Heimat zu verdanken ist, wird oftmals nicht realisiert.
mm.de: Wenn chinesische Manager westliche Unternehmen kaufen, stülpen sie ihnen also stur ihre veraltete Führungsstrategie über und handeln sich damit Probleme ein?
Roos: Da ist zumindest etwas Wahres dran. Aber auch in Europa und den USA haben noch längst nicht alle Manager erkannt, wie wertvoll es ist, die Ideen von Mitarbeitern auch aus niedrigen Abteilungsstufen aufzugreifen. In der Summe haben die Chinesen hier aber den größeren Nachholbedarf.
mm.de: China ist verantwortlich für ein Drittel der Wirtschaftsleistung aller Emerging Markets, der Anteil an den M&A-Aktivitäten dieser Länder liegt aber derzeit nur bei 11 Prozent. Sie gehen von einem Anstieg aus?
Roos: Ja. Das Land wandelt sich gerade vom Lohnfertiger zum Deal-Maker, hat aber die weltweite M&A-Bühne gerade erst betreten. Die jüngsten Aktivitäten in dieser Richtung in Europa sind dabei kein Strohfeuer, sondern markieren eine Trendwende. Das hat übrigens nicht nur bedrohliche Effekte.
Insbesondere für viele deutsche Unternehmen sind chinesische Firmen willkommene Käufer für Geschäftsbereiche, die nicht mehr zum Kerngeschäft passen. Die Käufer aus China dagegen profitieren von Vertriebsnetzen, Marken, Patenten und lokalen Mitarbeitern. Ein System, das sich aus eigener Kraft nicht auf die Schnelle aufbauen lässt.
"Intellectual Property" wird unterschätzt
mm.de: Seit 1986 haben chinesische Unternehmen nach der jüngsten BCG-Studie 30 Milliarden Dollar in nicht-chinesische Firmen investiert, davon 10 Milliarden allein in den vergangenen beiden Jahren. Während bei Minderheitsbeteiligungen ein durchschnittliches Plus von 15 Prozent heraussprang, sank nach Mehrheitsübernahmen häufig der Wert. Welches sind die häufigsten Fehler?
Roos: Es wird zu wenig auf den Erhalt der Unternehmenskultur und des "Intellectual Property" geachtet. Bei befristeten Kooperationen klappte dies dagegen bisher besser. Vorzeigbar ist beispielsweise die Übernahme von Thomson, zu der auch die Marke Grundig gehört, durch den chinesischen Elektronikriesen TCL. Der erwarb für den Anfang die Mehrheit der Anteile, der westliche Verkäufer blieb aber auch am operativen Geschäft beteiligt. Aus dem Joint Venture flossen die Gewinne anteilig an Thomson, TCL minimierte so Reibungsverluste bei der Integration.
mm.de: Wird aus anderen Erwägungen eine sofortige Übernahme favorisiert, geht das häufig schief. Woran liegt das?
Roos: Wenn man einen schwäbischen Mittelständler mit 1000 Mitarbeitern übernimmt, der sich am Markt einen guten Ruf durch sein Know-how erworben hat, dann sollte man als Käufer erst versuchen zu verstehen, wie dieser Erfolg vom Unternehmen erreicht wird. Nach dieser Analyse können dann behutsam Schritte eingeleitet werden, um durch Veränderungen die Ausbeute des Potenzials zu erhöhen. Ohne Fingerspitzengefühl geht da sonst schnell viel kaputt.
mm.de: Und die besten Leute laufen davon
Roos: Das ist eines der größten unter den Risiken bei Übernahmen. Der Zusammenhalts im Team, die kulturellen Eigenarten und der Wert der Mitarbeiter, die mitdenken, die sich auch kritisch bemerkbar machen, muss erkannt werden. Dass sich das lohnt, haben übrigens auch einige chinesische Unternehmen bewiesen.
mm.de: Welche sind das?
Roos: Beispielsweise inzwischen auf globalen Märkten führende HighTech-Konzerne wie Lenovo (vormals Legend). Sie haben sich bereits Mitte der 90er Jahre für Kooperationen geöffnet Microsoft, Intel und AOL gehörten dazu. Dadurch sammelte der Konzern wichtige Erfahrungen unter anderem in seinem Forschungsinstitut in San Jose, in dem amerikanische und chinesische Ingenieure arbeiten.
Nach der Übernahme der Computersparte von IBM haben sie bisher eine aus Marktsicht fast mustergültige sanfte Integration durchgeführt: Die Verunsicherung der Mitarbeiter hielt sich in engen Grenzen, viele wichtige Manager blieben. Viele Kunden übrigens auch, denn im Marketing wurde nur behutsam am Image gefeilt. So veränderten sich Design und Werbung der bekannten ThinkPad-Notebooks kaum, die Stammkundschaft blieb und wurde zuletzt sogar ausgebaut.
Vorteil China - Konstanz statt Hektik
mm.de: Die Gewinnwarnung vom Monatsbeginn spricht aber nicht gerade für einen durchschlagenden Erfolg des nun weltweit drittgrößten PC-Herstellers.
Roos: Das ist die europäische Sichtweise stimmen mal in einem Quartal die Zahlen nicht, werden Konzerne von Analysten und den Medien oft gnadenlos abgestraft, wodurch das Geschäft einen weiteren Negativschub bekommt. Das Management kommt unter Druck, die Aktionäre fordern schnelle Taten. Traditionell verfolgen chinesische Unternehme ihre langfristigen Strategie wesentlich konstanter und werfen nur selten hektisch das Ruder herum.
mm.de: Mehr Seelenruhe haben die chinesischen Konzerne auch, weil der Staat teilweise sehr großzügig Wirtschaftsbereiche subventioniert.
Roos: In der Tat profitieren Unternehmen derzeit stark von der staatlichen Unterstützung. Während in Europa und den USA das Rating [die Bonitätseinstufung] eine entscheidende Größe für die Geschäftsplanung ist, können viele chinesische Unternehmen diesen Faktor einfach ausblenden. Ein Staatsunternehmen wird dort immer Finanzierungsvorteile haben, gleich, wie die Geschäfte laufen.
mm.de: Für diesen Vorteil müssen viele Manager aber in Kauf nehmen, dass sie von Politikern gegängelt werden.
Roos: Es gibt negative Konsequenzen, ja. Dieses Einmischen der Politik in die Wirtschaft ist im Übrigen auch für die vielen nicht-staatlichen Unternehmen natürlich ein Risiko. Aber auf der anderen Seite kommt man nicht umhin anzuerkennen, dass der staatliche Einfluss auf Schlüsselbranchen ungeheuer schnell zu Ergebnissen geführt hat. Es entstehen dort gerade National Champions durch mehr oder minder erzwungene Fusionen. Der Staat und natürlich begegnen wir hier dem zentralistischen Ansatz erneut will schnell schlagkräftige Einheiten in den als strategisch bedeutsam eingestuften Bereichen Maschinenbau, Telekommunikation, Hightech, Textil, Logistik, Energie und Rohstoffverarbeitung schaffen und unterstützt aktiv und einfallsreich ausgewählte Unternehmen in diesen Branchen.
mm.de: Kritiker bemängeln, dass der Staat die aus europäischer Sicht unverhohlene Kopier-Mentalität der Unternehmen stützt. So stieß der Plan von Airbus, in China bald Flugzeuge zu produzieren, hierzulande auf viel Skepsis. Bauen Chinesen in ein paar Jahren Kopien der Modelle in Eigenregie?
Roos: In der Tat dürften bei Airbus einige Manager ein mulmiges Gefühl bei dem Projekt haben. Aber andererseits können sich die Industrienationen diesem immensen Wachstumsmarkt nicht verschließen. Zudem geht die chinesische Regierung das Problem des Technologieklaus inzwischen an, allerdings hinken Umsetzung und Akzeptanz noch hinterher. Die Situation wird sich grundlegend wohl erst im Zuge der Fortschritte verbessern, die chinesische Unternehmen selbst bei der Forschung und Entwicklung machen. Als westlicher Unternehmer würde ich derzeit sicherlich noch Vorsicht walten lassen.
mm.de: Andererseits hat Europa auch Ambitionen, national Champions aufzubauen. Wo bleibt dafür noch Raum?
Roos: Es gibt Bereiche, in denen die "alten Industrienationen" Know-how-Vorsprünge haben, die von China so schnell nicht aufgeholt werden können. Diese Branchen werden dort auch nicht speziell gefördert zumindest noch nicht. Beispiele sind Healthcare und Biotech sowie die Umwelttechnik.