Firmenjäger wie Eon, Linde oder BASF riskieren mit Übernahmen Milliarden. Als Alternative rücken strategische Allianzen in den Blick: DaimlerChrysler, BMW, Intel, Microsoft und Google schließen Zweckbündnisse, um mit weniger Risiko zu wachsen. Ein Überblick zeigt, welche Lebensabschnittspartnerschaften sinnvoll sind.
Hamburg - Der deutsche Energiekonzern Eon bietet 29 Milliarden Euro für den spanischen Versorger Endesa. Der Industriegase-Hersteller Linde hat für knapp 12 Milliarden Euro den Wettbewerber BOC übernommen. Der Chemiekonzern BASF droht derweil mit seinem Gebot von 5 Milliarden Euro beim US-Konzern Engelhard abzublitzen. Übernahmen sind wieder angesagt, und Geld spielt scheinbar keine Rolle. Wer durch Fusionen und Übernahmen (M&A) wachsen will, muss tief in die Tasche greifen.
Doch was, wenn sich die Firmenhochzeit zum Milliardengrab entwickelt? Der Ehe von Daimler Benz und Chrysler folgten bittere Jahre für Aktionäre, und viele Anteilseigner wünschten sich, das Bündnis wäre schnell wieder geschieden worden. Es geht auch anders, mit deutlich weniger Risiko. Wachstum ist nicht nur durch teure Fusionen und Übernahmen möglich.
Statt der Firmenehe wählen immer mehr Unternehmen eine flexible Lebensabschnittspartnerschaft: Google zum Beispiel kooperiert mit AOL, BMW und Intel entwickeln gemeinsam neue Technologien, Microsoft und Nokia bauen zusammen eine Konkurrenz zu Apples ipod auf. Die Zahl der Unternehmen, die durch strategische Allianzen wachsen, nimmt täglich zu (siehe Bildübersicht).
Google: Der weltweit führende Suchmaschinenbetreiber baut seine Werbepartnerschaft mit AOL aus. AOL-Mutter Time Warner eröffnet Google weitere Möglichkeiten ...
Foto: DPA
... zum Beispiel kann Google durch die Allianz mit AOL nicht nur das Geschäft mit Internetanzeigen ausbauen, sondern auch an Inhalten von Time Warner mitverdienen. AOL gewinnt im Gegenzug an Reichweite.
BMW - Intel inside: Der weltgrößte Chiphersteller ist seit 2006 nicht nur Sponsor beim BMW-Sauber Rennstall ...
... Intel soll künftig auch im gesamten BMW-Konzern an der Entwicklung von Computertechnologie in den BMW-Fahrzeugen beteiligt sein. Beim Einsatz von Laptops, MP3-Playern und Telefonen im Auto wollen Intel und BMW einen gemeinsamen Industriestandard erreichen.
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Porsche Cayenne: Der Geländewagen aus Zuffenhausen entsteht auf derselben Plattform wie der VW Touareg. Auch bei der geplanten vierten Porsche-Baureihe (Panamera) deutet sich eine Kooperation an ...
VW Touareg: ... zumal die gemeinsame Entwicklungsarbeit Kosten spart und die Kooperation erst kürzlich durch die Beteiligung von Porsche an VW vertieft wurde. Die Cayenne-Karosserie wird bereits von VW geliefert.
Bayer: Die Antikörper-Partnerschaft mit dem Biotech-Unternehmen Morphosys wurde kürzlich um fünf Jahre verlängert. Bayer ist für Morphosys einer der wichtigsten Kunden ...
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Antikörperbibliothek von Morphosys: ... denn für jedes therapeutische Antikörperprojekt und erreichte Forschungsziel erhält Morphosys Geld aus Leverkusen. Morphosys arbeitet auf ähnlicher Basis auch mit Novartis und Merck zusammen.
Foto: [M] MorphoSys AG , mm.de
Platzhirsch auf Partnersuche: Der Handy-Hersteller Nokia wird den Windows Media Player von Microsoft in seine Geräte integrieren. Die Allianz richtet sich gegen Apples ipod ...
Nokia-Handy: ... denn über den Media Player kann Musik sowohl vom heimischen PC als auch über die Mobilfunknetze auf das Handy geladen werden. Das Zweckbündnis soll Apple Marktanteile abjagen, die das Geschäft mit digitaler Musik bislang dominieren.
Wer mit wem wachsen will: Klicken Sie auf ein Bild, um zur Übersicht zu gelangen.
"Allianzen rücken als Alternative zu M&A immer stärker in den Blick", sagt Alexander Roos, Geschäftsführer bei der Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG). "Einfach gesprochen: Sie halbieren das Risiko und verdoppeln die Ressourcen." Besonders in den Branchen High-Tech, Telekommunikation und Pharma seien Allianzen ein beliebter Weg für gemeinsames Wachstum: Allianzen erfordern in der Regel geringere Investitionen und sind auch schneller auflösbar, wenn ein teurer Misserfolg droht. Unternehmen, die in einem dynamischen Marktumfeld Wachstumschancen nutzen, gleichzeitig aber Kosten und Risiken kontrollieren wollen, wenden sich verstärkt dem Modell Firmenallianz zu.
Allianzen als Testballon in Asien
2005 wurden weltweit mehr als 2200 bedeutende Unternehmens-Partnerschaften registriert, eine Steigerung um 14 Prozent gegenüber dem Vorjahr. BCG hat in der Studie "The Role of Alliances in Corporate Strategy" die Entwicklung von Allianzen zwischen 1988 und 2005 untersucht: "Vor allem in Asien sind Allianzen ein beliebter Weg, um Wachstumsmärkte wie China oder Indien zu erschließen", sagt Studienautor Roos im Gespräch mit manager-magazin.de.
Allianzen als Testballon in Asien
In Asien hat sich die Zahl der Unternehmensbündnisse ohne Kapitalverflechtung in den vergangenen Jahren vervielfacht. Das liegt zum einen an staatlichen Auflagen: Volkswagen zum Beispiel konnte den chinesischen Markt nur durch eine Partnerschaft mit dem lokalen Automobilhersteller SAIC erschließen.
Doch abseits der Zwangsbündnisse wächst bei vielen global agierenden Unternehmen die Einsicht, dass sich die Risiken in einem Markt wie China durch Partnerschaften begrenzen lassen. "Der asiatische Markt ist dynamisch und verlockend, aus der europäischen Warte heraus aber Neuland", sagt Roos. "Mit einem Joint Venture können Unternehmen Märkte wie China oder Indien testen, ehe sie größere Investitionen wagen."
Ein lokaler Partner könne nicht nur bei Produktion und Vertrieb, sondern auch beim Umgang mit den lokalen Behörden hilfreich sein. Häufig schließen sich aber auch westliche Global Player zu einem Bündnis in Asien zusammen, um zunächst gemeinsam den Markt zu testen oder durch gemeinsame Produktion Kostenvorteile zu nutzen. "Das kann zumindest für einige Jahre viele Vorteile für beide bringen", sagt Roos. In einer zweiten Phase können sich die Partner einvernehmlich wieder trennen, um sich dann im erschlossenen Markt wieder stärker voneinander abzugrenzen."
Risiken nicht unterschätzen
Die Risiken einer solchen Partnerschaft seien jedoch keinesfalls zu unterschätzen, denn keiner der selbstständigen Partner habe die Kontrolle allein. "Gerade bei Allianzen mit asiatischen Partnern treten häufig Steuerungskonflikte auf, die durch kulturelle Unterschiede unter Umständen noch verstärkt werden", sagt Roos. Daher seien ein enges Controlling und Risikomanagement besonders wichtig.
Hinzu kommt der gefürchtete Ideenklau in einem Markt wie China. Das Konsortium ThyssenKrupp und Siemens erlebt derzeit, wie nur wenige Jahre nach dem Bau der ersten Transrapid-Teststrecke ein chinesisches Konkurrenz-Modell entsteht. Für einen deutschen Spezialmaschinenbauer scheint es daher wenig ratsam, seine komplette Produktion nach China zu verlagern und sie dort vor Ort gemeinsam mit einem lokalen Partner voranzutreiben. Die Tatsache, dass jetzt erste lokale Unternehmen in China zu Schadenersatzzahlungen verurteilt wurden, nimmt kaum etwas von der Nervosität.
Partnerschaften in Asien bringen auch Risiken. Doch viele Unternehmen nehmen dieses Risiko in Kauf, weil sie auf sich gestellt kaum eine Chance im Zukunftsmarkt sehen: Eine Allianz mit einem vernünftigen Risikomanagement erscheint daher attraktiver, als im Asien-Geschäft außen vor zu bleiben.
Neugeschäft-Allianzen: Wenn Teilen leichter fällt
Doch Allianz ist nicht gleich Allianz. Die folgenden Beispiele zeigen, auf welche Weise Nichtwettbewerber oder sogar Konkurrenten Bündnisse schließen können, um gemeinsam zu profitieren.
Neugeschäft-Allianzen: Wenn das Teilen leichter fällt
Eine Neugeschäft-Allianz beginnt oft viel versprechend, denn sie erschließt für beide Beteiligten einen Markt, den jeder für sich nicht allein erobern könnte. Die Partner betreten zum Beispiel geografisches Neuland oder stellen gemeinsam ein neues Produkt her, dass die Angebotspalette beider sinnvoll ergänzt.
Der Softwareriese Microsoft und der Handyhersteller Ericsson haben zum Beispiel ein Bündnis vereinbart, um gemeinsam webbasierte Mobiltelefone zu entwickeln und auf diese Weise dem beliebten "Blackberry" Konkurrenz zu machen.
Beide Partner haben in diesem Fall einen interessanten Wachstumsmarkt identifiziert, der sie aber nur zum Teil tangiert und den sie nicht ohne weiteres allein erobern können. Microsoft als führender Softwarehersteller fehlt die entsprechende Handy-Hardware, und Ericsson als Gerätehersteller müsste viel Zeit und Geld in die Entwicklung entsprechender Handy-Software stecken.
Dass man auf diesem Markt Geld verdienen kann, zeigt der Erfolg des Blackberry: "Beide Partner erschließen sich ein neues Geschäftsfeld und vergrößern ihr Portfolio um ein neues Produkt", erläutert Roos.
"Die Gewinne aus diesem Modell teilt man entsprechend leichter, da sie aus echtem Neugeschäft hinzukommen."
Wissensallianzen: Know-how zu weniger Kosten
Damit sei ein Grundstein für ein harmonisches Miteinander gelegt, das aber nicht für die Ewigkeit angelegt sein muss: "Wenn einer der Partner jedoch sein Geschäftsmodell verändert, Microsoft etwa in die Produktion eigener Hardware einsteigt, wäre dies ein Zeitpunkt zur vordefinierten Trennung."
Wissensallianzen: Know-how zu weniger Kosten
Bei Wissensallianzen teilen Nichtwettbewerber ihr Know-how und ihre Fähigkeiten. Dazu zählen Outsourcingprojekte im IT-Bereich ebenso wie Lizenzierungsverträge zwischen Biotech- und Pharmaunternehmen.
Da der Forschungsbereich (Research and Development, R&D) besonders in der Pharmabranche extrem kostenintensiv ist, sind leistungsbezogene Lizenzierungsverträge zwischen großen Pharmaunternehmen und spezialisierten Biotech-Unternehmen beliebt: Ein Pharmakonzern wie zum Beispiel Bayer zahlt an eine Biotech-Firma wie Morphosys bei Erreichen bestimmter "Milestones" Millionenbeträge.
Die Entwicklung bestimmter Substanzen und erfolgreiche Tests auf Wirksamkeit dienen gleichzeitig als Kriterium, um andere Lizenzpartner auszusortieren, wenn sie die vereinbarten Milestones nicht erreichen. "Junge Biotech-Unternehmen bekommen auf diese Weise bei Erfolg weiteres Geld für ihre Forschung, und die geldgebenden Konzerne bekommen viel versprechende Substanzen oder Produkte, ohne den gesamten Forschungsapparat selbst finanzieren zu müssen.
Ist eine Neuentwicklung besonders viel versprechend, seien Übernahmen des Juniorpartners durch den Konzern üblich: "Eine solche Übernahme gibt es dann nicht unbedingt zum Schnäppchenpreis, aber der Konzern weiß eben auch, was er kauft", sagt Roos.
Wie Konkurrenten zueinander finden
Selbst konkurrierende Unternehmen wie Microsoft und Google können bestimmte Forschungsprojekte gemeinsam vorantreiben. Das kann funktionieren, so lange die Partner ihre jeweiligen Alleinstellungsmerkmale behalten und sich im Kerngeschäft nicht in die Quere kommen. "Microsoft lässt sich bei der Entwicklung von Betriebssystemen nicht in die Karten schauen, und Google entwickelt seine Internet-Suche ständig weiter. Daneben gibt es aber Bereiche, in denen sich beide die Forschungskosten teilen können", so der BCG-Experte.
Wettbewerbskooperationen: Wie Konkurrenten zueinander finden
Wenn Konkurrenten realisieren, dass bestimmte Investitionen nicht alleine zu stemmen sind, entstehen Wettbewerbskooperationen. In der Energiebranche ist es üblich, dass Konkurrenten wie RWE, EnBW oder Steag Kohlekraftwerke der neuen Generation gemeinsam finanzieren: "Ein einzelner Konzern möchte das substantielle Risiko auf mehrere Schultern verteilen", sagt Roos.
Gleiches gilt für die Chemieindustrie: In Asien entstehen milliardenteure Anlagen zur Herstellung von Basisstoffen, aus denen die Partner einer Wettbewerbskooperation dann getrennt ihre jeweiligen Spezialprodukte herstellen. Der Chemiekonzern BASF zum Beispiel hat gemeinsam mit seinem chinesischen Partner Sinopec eine gigantische Verbundanlage in Nanjing errichtet. Die Spezialitäten dürften jedoch in Ludwigshafen bleiben.
DaimlerChrysler, BMW und General Motors kämpfen fast überall auf der Welt um Marktanteile. Die Entwicklung eines marktfähigen Hybridmotors ist jedoch so aufwendig und teuer, dass die Konkurrenten ein solches Modell gemeinsam entwickeln. Ist der Motor entwickelt, treten die Wettbewerber mit ihrem gemeinsamen Baby jeweils wieder gegeneinander an.
Bündnis light: Vorbereitung ist alles
Die Autohersteller Porsche und Volkswagen hatten eine solche Kooperationsform weit gedeihen lassen: Der Porsche Cayenne und der Volkswagen Touareg, die um die gleichen gut betuchten Käufer buhlen, entstehen auf derselben Plattform. Die Karosserie für den Cayenne wird sogar von VW an Porsche geliefert. Heute allerdings hat sich Porsche direkt bei Volkswagen eingekauft, es gibt weitergehende Pläne.
Bündnis light - gute Vorbereitung ist alles
"Allianzen sind jedoch keine Selbstläufer - sie müssen ebenso sorgfältig vorbereitet werden wie eine Fusion oder eine Übernahme", betont Roos. Die Leistungen und Ziele beider Partner müssten im Kooperationsvertrag sehr genau definiert werden: "Es muss klar sein, was jeder Partner einbringen und herausbekommen soll, damit sich niemand zu irgend einem Zeitpunkt übervorteilt fühlt." Außerdem sollte die geplante Dauer des Lebensabschnittbündnisses bereits vor dem Einstieg festgelegt werden, ebenso wie die Regeln für den künftigen Ausstieg.
"Diese Regeln und Ziele sollten laufend überprüft werden. Ein Scheitern ist programmiert, wenn die Partner in ihren strategischen Zielsetzungen nicht mehr übereinstimmen oder sich das Kräfteverhältnis zwischen den beiden ändert", warnt Roos.
Da beide Seiten etwas zu sagen haben und zueinander finden müssen, können auch unterschiedliche Firmenkulturen oder Geschäftsprozesse eine Kooperation zum Scheitern bringen. "Eine Allianz muss in die Wachstumsstrategie der jeweiligen Partner passen. Sie muss außerdem straff geführt sein und darf keinen Raum für Interpretationen oder Missverständnisse lassen", sagt der BCG-Experte.
Vorsicht, wenn es ruppig wird
Im Zauber der Firmenallianz - gleichberechtigtes, gemeinsames Arbeiten bei geteiltem Risiko - liegt gleichzeitig auch die Schwachstelle. "Bei einer Übernahme ist eine Seite rechtlich stillgelegt, der Übernehmer ist Herr im Haus und kann bei Bedarf auch unpopuläre Entscheidungen durchsetzen", sagt Roos.
Wenn es um Kostensenkung, Steigerung der Effizienz oder stärkere Nutzung von Synergien geht, sei eine Fusion oder Übernahme das Mittel der Wahl. In einer Allianz dagegen dürften Maßnahmen, die allein auf Kosten eines Partners gehen, kaum durchzusetzen sein. Eine erfolgreiche Firmenehe hält auch dann, wenn es zeitweise ruppig wird - eine Allianz dagegen dürfte sich in einem solchen Fall rasch wieder lösen. "Allianzen sind für viele Unternehmen attraktiv, weil sie flexibler sind", sagt Roos. "Doch deshalb muss man sie auch sorgsam pflegen."