Standort-Studie "Die Probleme sind bekannt"
Berlin - Das Quartett war nicht angetreten, um den Schlagabtausch zu proben. Eine kleine Richtigstellung hier, eine Nachfrage dort - und der Ansatz eines Versuchs, den politischen Gegner für die Misere verantwortlich zu machen. Mehr bekamen die Zuhörer, die heute zur Vorstellung der neuen Deutschlandstudie des Wirtschaftsmagazins "The Economist" in die britische Botschaft in Berlin gekommen waren, nicht geboten.
Dabei wäre mehr Gegenwehr von Fritz Kuhn, Hans Eichel und vielleicht sogar der FDP-Politikerin Cornelia Piper zu erwarten gewesen. Denn der Berlin-Korrespondent des "Economist", Ludwig Siegele, stellt dem Land nicht gerade ein gutes Zeugnis aus. Zwar wiesen die ökonomischen Eckdaten wieder steigende Wachstumsraten aus und auch einige wichtige Reformen seien in den vergangenen Jahren in Gang gesetzt worden, erklärt er. Doch bei genauerem Hinsehen werde deutlich, dass Deutschland seine strukturellen Probleme noch lange nicht gelöst habe. Deshalb hat er seine Studie "Waiting for a Wunder" betitelt.
Besonders das dreigliedrige Schulsystem und die Organisation des Arbeitsmarkts - die einst erheblich zum allgemeinen Wohlstand beigetragen haben - wirkten sich unter den heutigen Rahmenbedingungen wie ein Bremsklotz für das Wachstum aus und trieben einen Keil in die Gesellschaft, sagt er. Wenn Deutschland seine Probleme nicht ernsthaft angehe, drohten dem Land "amerikanische Verhältnisse".
Dass viele der Probleme, die der Autor benennt, hierzulande längst weithin bekannt sind, ließen alle an der Diskussion Beteiligten durchblicken, doch dies ändert nichts daran, dass sie unverändert auf den Nägeln brennen.
Jena oder doch Heidelberg?
Am kritischsten noch ging Grünen-Chef Fritz Kuhn mit der Studie ins Gericht. Anstatt Jena als leuchtendes Beispiel zu präsentieren und damit Ostdeutschland als das einzig moderne Deutschland hinzustellen, hätte Siegele genauso gut aus Heidelberg berichten können, so sein Einwand. Ein wirklich umfassender Blick auf die Situation in Deutschland, könne auf diese Weise nicht entstehen. Gleichwohl gestand auch Kuhn ein, dass die Analyse die wichtigsten Schwierigkeiten aufzeige, mit denen Deutschland zu kämpfen habe. Wichtig sei jetzt, die Thesen als Anregung zu nutzen und nicht zur Abrechnung mit dem politischen Gegner.
Einzig Cornelia Piper nutzte die Gelegenheit, um nach Art einer Gebetsmühle die zentralen Forderungen der FDP zu wiederholen. Aus ihrer Sicht sind Entbürokratisierung und die Entlastung der Unternehmen der Schlüssel zur Lösung fast aller Probleme.
Ansätze, wie man bei der Lösung der Probleme vorankommen könnte, hatten aber auch die Experten nicht zu bieten. Das gilt für die Reform des Gesundheitswesens ebenso, wie für die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes. Beim derzeit diskutierten Kombilohn sehe er erhebliche Probleme, sagte Eichel, räumte aber gleichzeitig ein, dass er auch keine endgültige Antwort wisse.
Kuhn dagegen brachte einen Vorschlag in die Diskussion, der bislang noch nicht in breiter Öffentlichkeit diskutiert wurde. Statt staatlicher Subventionen im Niedriglohnsektor solle besser über eine Progression der Lohnnebenkosten analog zu den Steuern nachgedacht werden. Auf diese Weise ließe sich eine wirksame Entlastung für die Arbeitgeber realisieren.
"Das Lob gilt auch heute noch"
Den scheinbaren Widerspruch zur Titelgeschichte des "Economist" vom vergangenen August - der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder hatte das Blatt in einer Talkshow als Kronzeugen für den Erfolg seiner Wirtschaftspolitik angeführt - löste Siegele am Rande der Veranstaltung übrigens auf.
"Im August habe ich den überraschenden Fortschritt bei den Reformen beschrieben. Das Lob gilt auch heute noch", sagte er zu SPIEGEL ONLINE. Ebenso habe er jedoch schon zu diesem Zeitpunkt die Probleme benannt, denen er jetzt den größten Teil seiner Geschichte gewidmet hat.