Josef Ackermann "China und USA warten nicht auf Europa"
Hannover - Die Projekte Airbus, Ariane und Galileo zeigten eindrucksvoll, wozu Europa in der Lage sei, wenn es gemeinsam agiere, sagte Ackermann in seinem Vortrag zum Neujahrsempfang der IHK in der Expostadt Hannover. Mit einem Anteil am Welt-Bruttoinlandsprodukt von 30 Prozent sei Europa die größte Wirtschafts- und Handelsregion sowie eine "leise Supermacht".
Doch Europa sei aktuell an einem kritischen Punkt, so Ackermann. Politisch sei man in der Sackgasse, und wirtschaftlich mache sich ebenfalls Ernüchterung breit. Von dem in der "Lissabon Agenda" des Jahres 2000 formulierten Ziel, die dynamischste Region der Welt zu werden, sei die EU weit entfernt: Sie wachse nicht nur deutlich langsamer als das Kraftzentrum China, sondern mit durchschnittlich zwei Prozent während der vergangenen Dekade auch langsamer als die USA mit drei Prozent.
Die EU-Erweiterung habe zudem die innere Balance verändert und den Veränderungsdruck noch einmal erhöht, sagte der Vorstandssprecher der Deutschen Bank. Der Abschluss der Finanzverhandlungen unter "wesentlicher Mitwirkung der deutschen Bundeskanzlerin" sei ein "wichtiger und guter Impuls" gewesen, lobte Ackermann.
Forschung: Mehr Investitionen nötig
Von derlei Signalen brauche Europa künftig mehr, denn die Welt warte nicht auf Europa: China und Indien bestimmten zusammen mit den USA das Tempo des wirtschaftlichen und technologischen Wandels. Während Europa nur zwei Prozent seines BIP für Forschung aufwende, seien es in den USA schon 2,8 Prozent. China steigere seine Forschungsausgaben jährlich um 20 Prozent und werde bis 2010 mit Europa gleichziehen. Eine Auszeit könne sich Europa daher nicht erlauben.
Die EU sei der weltweit einzige Versuch, nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine politische Antwort auf die Globalisierung zu finden, so Ackermann. Europa bringe den Nationalstaaten Einflussmöglichkeiten zurück, die sie im Zuge der Globalisierung verloren haben: Die Währungsunion sei das beste Beispiel für die Formel "Souveränitätsgewinn durch Souveränitätsverzicht". Man sei durch den Euro weniger anfällig gegenüber Wechselkursschwankungen des US-Dollar. Die meisten Länder hätten über die EZB ihren geldpolitischen Einfluss sogar erhöht.
"Europäische Sozialpolitik nicht sinnvoll"
"Europäische Sozialpolitik nicht sinnvoll"
Europas Image leide darunter, dass es als Sündenbock der verschiedenen nationalen Probleme herhalten müsse, sagte Ackermann. Dabei sei Europa eben nicht vorrangig für Beschäftigung verantwortlich. Auch eine europäische Sozialpolitik sei weder in Sicht noch wäre sie sinnvoll.
Während die USA 15 Prozent ihrer öffentlichen Ausgaben für Sozialleistungen aufwenden, seien es in der EU durchschnittlich 27 Prozent. "Diese Relation sollte uns zu denken geben", sagte Ackermann. Wo staatliche Fürsorge statt Eigenverantwortung und Marktabschottung statt Wettbewerb dominierten, sei es an der Zeit, für alte Probleme neue Lösungsvorschläge zu entwickeln.
"Sozialstaat stellt sein eigenes Fundament in Frage"
"Wir brauchen eine Kehrtwende. Wir müssen akzeptieren, dass der Staat in der globalisierten Welt nicht mehr alles regeln kann", sagte Ackermann. Der Staat sei "vielfach die Ursache des Problems mangelnder wirtschaftlicher Dynamik". Wenn die Kosten des Sozialmodells die gesamtwirtschaftliche Leistungsfähigkeit übersteigen, stelle der Sozialstaat sein eigenes Fundament in Frage.
Deutschland müsse sich bei dieser Diagnose besonders angesprochen fühlen, so der Chef der Deutschen Bank. Als größte Volkswirtschaft der EU trage Deutschland Verantwortung für Europa im Ganzen. Die neue Bundesregierung stehe deshalb vor mutigen Weichenstellungen. Man dürfe deshalb nicht bei der Grundsatzdebatte über das vermeintlich "eine" europäische Sozialstaatsmodell stehen bleiben.
Den Mut zum Aufbruch Europas müssten die Menschen in Deutschland zunächst einmal im eigenen Land aufbringen. Die Wettbewerbsprobleme Europas seien im Kern die Probleme der Mitgliedsstaaten: Arbeitskosten, steuern, Sozialleistungen und Qualität der Bildung seien wesentliche Standortfaktoren im globalen Wettbewerb.
"Beschäftigungschancen statt Beschäftigungsschutz"
"Beschäftigungschancen statt Beschäftigungsschutz"
Es gebe zwar kein Patentrezept. Doch die neuen Mitgliedsländer zeigten, wie eine Wirtschaftspolitik in einer Welt mit offenen Grenzen und mobilem Kapital erfolgreich gestaltet werden kann, sagte Ackermann. Zum Beispiel zeige die Slowakei, wie man mit niedrigen Steuersätzen ein investitionsfreundliches Umfeld schaffen könne. Daran sollte sich Deutschland orientieren.
"Wir brauchen Beschäftigungschancen mehr als Beschäftigungsschutz", forderte Ackermann. Nur ein flexibler Arbeitsmarkt helfe in Zeiten raschen Wandels weiter: Ein Globalisierungsfonds, wie ihn die EU-Kommission vorschlägt, sei leider nicht die Lösung.
250 Milliarden Euro als Ansporn
Arbeit sowie Investitionen in Bildung und Forschung müsse Vorrang haben, forderte Ackermann. Nur durch hohe Qualifikation könne Europa sein hohes Produktivitäts- und Einkommensniveau sichern. Die Skepsis mancher Mitgliedsländer gegenüber einem freien, offenen Markt widerspreche zudem den positiven Erfahrungen, den die Deutsche Bank Tag für Tag mit dem Binnenmarkt mache.
Die Einbindung Chinas und Indiens in die Weltwirtschaft ließen sich nicht zurückdrehen. Europa müsse im Gegenteil alles daran setzen, am handelsgetriebenen weltweiten Wachstum teilzuhaben. Die Weltbank schätze die globalen Wohlfahrtsgewinne aus einer konsequenten Handelsliberalisierung immerhin auf 250 Milliarden Euro im Jahr 2015. Das sollte Ansporn genug sein, so Ackermann.
Nötig sei jedoch eine "Entrümpelung der Regulierungsdichte": Die EU habe als einzige Wirtschaftsmacht die kritische Masse, der Dominanz der USA beim setzen von Standards eigene Vorschläge gegenüber zu stellen. Diese Trümpfe sollte Europa nutzen und sein Reformtempo beschleunigen.
Europa habe das Potenzial, sich in einer globalisierten Welt erfolgreich zu behaupten, meint Ackermann. Dieser Erfolg brauche jedoch mutige wirtschaftspolitische Weichenstellungen, die mehr Wettbewerb, Offenheit und Flexibilität dienen.
"Bodycheck durch die Medien"
Den Bürgern seien der Vorteile, die ein vereintes, gewichtiges Europa bietet, bewusst, so Ackermann. Auch wenn in den Medien teilweise ein sehr kritisches Bild von der EU gezeichnt werde. Vor einem "rauen Bodycheck" durch die Medien könne heutzutage niemand sicher sein, sagte der Chef der Deutschen Bank - dies wisse er aus eigener Erfahrung. Dies blieb jedoch die einzige Anspielung auf seine eigenen Erfahrungen im Mannesmann-Prozess. Abgesehen von der Bemerkung, "Wir haben noch viel vor". Die Deutsche Bank solle "von Deutschland aus" international in eine Top-Position unter den führenden Banken wachsen.
Klaus Goehrmann, Präsident der IHK Hannover, lobte die Führungsarbeit Ackermanns, und dass er die Deutsche Bank trotz der Turbulenzen rund um Mannesmann ruhig auf Kurs gehalten habe. Er und seine Familie hätten in den vergangenen Wochen großen Zuspruch und viel Unterstützung erfahren, entgegnete der Chef der Deutschen Bank.