Die Wahl von Angela Merkel zur ersten deutschen Kanzlerin ist nur noch eine Formsache. Wenigstens 308 von 614 Stimmen muss sie erreichen - Union und SPD verfügen im Bundestag über eine satte Mehrheit von 448 Mandaten. Dennoch bleibt offen, ob alle SPD-Abgeordneten für Merkel stimmen.
Berlin - Vor der Wahl gingen führende SPD-Politiker von einer breiten Zustimmung aus. Der neue SPD-Generalsekretär Hubertus Heil sagte im Nachrichtenfernsehen N24 zu Berichten, wonach nicht alle Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion Merkel ihre Stimme geben werden: "Bei mir hat sich noch keiner gemeldet. Mir ist auch kein SPD-Abgeordneter bekannt, der das vorhat."
Der künftige Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) warnte im "Offenburger Tageblatt", es wäre "für alle, nicht nur für Angela Merkel, kein guter Start, wenn ein schlechtes Wahlergebnis herauskäme". Aber natürlich wisse man auch, "dass noch nie ein Bundeskanzler alle theoretisch denkbaren Stimmen erhalten hat". Der "Frankfurter Rundschau" sagte Schäuble, er "hoffe, dass sich alle Mitglieder der beiden Koalitionsfraktionen im Klaren sind, dass eine hohe Geschlossenheit beim Start eines Unternehmens besser ist".
FDP-Chef Guido Westerwelle sagte in N24, er rechne "nur mit einer Hand voll Abgeordneter" aus den Reihen von Union und SPD, die Merkel nicht wählen werden. Die Freien Demokraten wollen gegen Merkel stimmen. Westerwelle hält es nicht für entscheidend, dass Deutschland künftig von einer Frau regiert wird. Er bezweifle, dass die CDU-Chefin im Kanzleramt ihre "holde Weiblichkeit" ausleben könne.
DGB-Chef Michael Sommer sagte der "Westfälischen Rundschau", die Wahl Merkels zur Kanzlerin einer Großen Koalition sei für die Gewerkschaften kein "schwarzer Tag". Merkel agiere sehr konsequent und meistere Konflikte mit großem Geschick. "Dieser Frau sollte man eine ganze Menge zutrauen."
Deutschland muss nach Einschätzung des Hamburger Bürgermeisters Ole von Beust (CDU) unter der neuen Regierung endlich wieder zum Wirtschaftsmotor Europas werden. In einem Beitrag für die "Lübecker Nachrichten" lobte er Merkel und SPD-Chef Matthias Platzeck: "Was mich zuversichtlich stimmt, sind die Persönlichkeiten, die jetzt Regierungsverantwortung übernehmen. Das gilt für beide Seiten."
Wenn am Vormittag - voraussichtlich - alles glatt geht, erhält Merkel nach ihrer Wahl im Bundestag von Bundespräsident Köhler im Berliner Schloss Charlottenburg ihre Ernennungsurkunde. Anschließend will sie vor dem Bundestag ihren Amtseid leisten.
Am Nachmittag werden den neuen Bundesministern die Ernennungsurkunden ausgehändigt. Dem künftigen Kabinett gehören mit Merkel acht Unions-Politiker und acht Sozialdemokraten an, jeweils drei von ihnen sind Frauen.
Am Abend übergibt der scheidende Regierungschef Schröder seiner Nachfolgerin im Kanzleramt die Amtsgeschäfte. Danach tritt die neue Regierung zu ihrer ersten Kabinettssitzung zusammen.