Haushaltsloch
SPD schließt Mehrwertsteuer von 20 Prozent nicht aus
Das Haushaltsloch ist weit größer als angenommen. 70 Milliarden Euro sollen der großen Koalition nach derzeitigem Verhandlungsstand fehlen. Eine Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 20 Prozent sei nicht auszuschließen, erklärte der designierte SPD-Chef Matthias Platzeck.
Berlin - "Ich kann im Moment nichts ausschließen", sagte Platzeck auf die Frage, ob die Verbrauchsteuer möglicherweise auf 20 Prozent angehoben werden müsse. Bisher hatte es aus Verhandlungskreisen stets geheißen, eine Anhebung auf 18 Prozent sei weitgehender Konsens.
Auch der hessische Ministerpräsident Koch schlug angesichts der dramatischen Haushaltslage alarmierende Töne an. "Ich würde es ziemlich schwierig finden, wenn wir erstmal über die Einnahmekasse nachdenken und dann später mal so'n bisschen Alibi-Sparen. Nein, hier wird sehr hart gespart", sagte Koch. Union und SPD wollten zunächst an der Ausgabenseite ansetzen, sagte Koch vor einer weiteren Sitzung der Haushaltsgruppe, der er vorsitzt.
Die Einschnitte würde auch die Bevölkerung merken. "Für den Bürger ist es ziemlich egal, ob er weniger bekommt oder mehr zahlt. Er hat weniger persönlich verfügbar." Entscheidend sei, dass in Deutschland wieder besser verdient werde. Dafür müsse die Politik jetzt die Voraussetzung schaffen. Der Staat habe bisher über seine Verhältnisse gelebt.
70 Milliarden Euro fehlen
Einem Bericht der "Süddeutschen Zeitung" zufolge sollen Union und SPD insgesamt 70 Milliarden Euro fehlen, wenn alle bisher getroffenen Vereinbarungen der Verhandlungsgruppen umgesetzt werden. Eine Mehrwertsteuererhöhung von 16 auf 18 Prozent, wie sie bisher diskutiert worden war, werde angesichts der neuen Etatprobleme nicht mehr ausreichen - es könnten also doch 20 Prozent werden.
In Kreisen von Union und SPD war der Bericht der Nachrichtenagentur Reuters zufolge bestätigt worden. Die designierte Kanzlerin Angela Merkel hatte gestern ebenfalls angedeutet, dass das Haushaltsloch bis 2007 größer sein könne als gedacht. Die bisherige Schätzung von 35 Milliarden sei eine "optimistische Annahme".
"Wir leben von der Substanz"
SPD-Vize Kurt Beck hält eine Mehrwertsteuererhöhung für kaum noch vermeidbar. Allerdings wäre es "völlig falsch", zur Konsolidierung des Haushaltes als Erstes darüber nachzudenken, wie Mehrheiten für Steuererhöhungen zu organisieren seien, sagte Beck.
Bereits gestern hatten Spitzenpolitiker der großen Parteien vor der Handlungsunfähigkeit des Staates gewarnt. "Wir leben in Deutschland in erheblichem Maß auf Pump und von der Substanz", sagte der designierte Vizekanzler und scheidende SPD-Chef Franz Müntefering auf dem Arbeitgebertag in Berlin.
Höhere Steuereinnahmen bringen kaum Erleichterung
188 Milliarden Euro Steuereinnahmen, 160 Milliarden Euro feste Kosten
Die künftige Kanzlerin Merkel beklagte auf demselben Kongress, von den gut 250 Milliarden Euro des Bundeshaushalts seien von vornherein mehr als 160 Milliarden als feste Posten geblockt: knapp 80 Milliarden als Bundeszuschuss für die Rente, weitere 40 Milliarden für den Arbeitsmarkt und über 40 Milliarden Euro für Zinsen.
Angesichts des immensen Finanzbedarfs der kommenden Regierung scheint die heute veröffentlichte optimistische Prognose des Steuerschätzerkreises nur ein Trostpflaster. Demnach werden die Steuereinnahmen die bisherigen Prognosen dieses Jahr und nächstes Jahr um insgesamt 3,8 Milliarden Euro übertreffen.
Die Mehreinnahmen kommen aber in erster Linie den Kommunen zugute, da vor allem mehr Gewerbesteuer gezahlt wird, als bisher angenommen. Der Bund muss nächstes Jahr dagegen sogar mit 800 Millionen Euro weniger auskommen als gedacht, weil die Einnahmen aus den Tabak- und Mineralölsteuern geringer ausfallen als angenommen.