Kommentar Eine Diskussion, die wir nicht brauchen
Grundsätzlich kann man feststellen, dass Stoiber mit seiner Abwertung der Menschen im Osten der Republik (die "Frustrierten") und seiner Stilisierung der Bayern zu den Überdeutschen eine Diskussion losgetreten hat, die das Land jetzt ganz sicher nicht braucht.
Ob die Bayern die intelligenteren Deutschen sind, ist nicht die Frage. Die Frage ist, wann endlich eine Reform unseres Bildungswesens nicht mehr am Landesmachtdenken scheitert. Dass die Ostdeutschen frustriert sind, ist eine unbewiesene Behauptung. Fakt ist, dass wir dort die höchste Arbeitslosenrate haben und etwas dagegen tun müssen.
Dieses Land hat so brennende Probleme, dass alle Wahlkämpfer gut beraten sind, den Menschen in diesem Land ihre Argumente zu den quälenden Sachfragen zu präsentieren. Denn auf die Fragen nach Arbeitslosigkeitsbekämpfung, Rentensicherung und Wirtschaftsaufschwung wollen sie Antworten. Nicht aber Antworten auf Fragen die keiner gestellt hat.
Entgleisung oder Kalkül?
Hat Stoiber nur einfach "rumgeholzt", oder steckt doch Kalkül dahinter? Nun ist der bayerische Ministerpräsident nicht gerade als rednerisches Energiebündel bekannt. Aber gerade das macht es schwer, an einen Ausrutscher zu denken.
Der CSU-Vorsitzende hat eine Hausmacht, auf die er sich verlassen kann. In Bayern erzielt seine Partei Ergebnisse, die sonst in demokratischen Ländern nur sehr selten vorkommen. Die Bayern stehen hinter ihrer CSU. Und es ist tatsächlich "ihre" CSU, denn außerhalb Bayerns tritt die Partei nicht an. Die satte Mehrheit, die Stoiber hier erzielt, ist bereits festgeschrieben.
Kanzlerkandidatin Angela Merkel nimmt Schaden
So schaden ihm seine Äußerungen wenig bis gar nicht. Aber sie schaden der Kanzlerkandidatin der Union, wie die jüngsten Umfragen zeigen. Zugleich hat Stoiber für Angela Merkel die Messlatte hochgelegt: 45 Prozent der Stimmen müssten für die Union bei der Bundestagswahl schon drin sein. Jede weitere Umfrage unter dieser Marke muss die Kanzlerkandidatin zwangsläufig weiter in Bedrängnis bringen.
Stoiber war selbst Kanzlerkandidat und fühlte sich in der Wahlnacht schon als Kanzler. Jetzt musste er Merkel das Feld überlassen. Dass er nicht gern verzichtet hat, ist bekannt. Kann es da nicht sein, dass er nun versucht, der Kanzlerkandidatin ein Bein zu stellen?
Dass damit ein Regierungswechsel verhindert würde, ist mehr als unwahrscheinlich. Aber für die Zeit nach der Wahl hätte Stoiber seine Position als "außerparlamentarische Opposition" innerhalb der Union gestärkt und könnte sich so bundespolitisch wieder stärker profilieren.
Braucht das Land diese Politiker?
Bleibt die Frage, ob die Deutschen solche Politiker verdienen? Ein beleidigter ehemaliger SPD-Vorsitzender tritt mit einer so genannten Links-Partei an, um es "dem Schröder mal richtig zu zeigen". Ein bayerischer Ministerpräsident zückt die Säge und macht sich am Stuhl der Kanzlerkandidatin zu schaffen. Und hinter den Kulissen gehen die Kämpfe um Macht und Ämter weiter.
Wo aber bleibt da die Lösung der viel zitierten Sachaufgaben?
Wir brauchen keine Politikerinnen und Politiker, die der Macht um der Macht Willen nachlaufen. Wir brauchen kompetente Köpfe, die dieses Land aus einer Krise herausholen und fit machen für die noch kommenden Veränderungen und damit verbundenen Probleme.
Edmund Stoiber könnte Recht haben: Die Frustrierten könnten die Wahl entscheiden - doch die sitzen wahrhaftig nicht nur im Osten der Republik. Bei dem unseligen Gezänk unserer Politiker sind sie über das ganze Land verteilt und werden täglich mehr.