Stabilitätspakt
"Die Bremse ist weg, das ist gefährlich"
Die Lockerung des europäischen
Stabilitätspaktes wird von Ökonomen unterschiedlich bewertet. Während die einen Europa bereits auf dem Weg zur "Schuldenunion" sehen, verweisen andere auf Wachstumschancen. Im Vergleich zu den Defiziten in Japan und USA sei Europa noch immer "Stabilitätsweltmeister".
Hamburg - Der Präsident des Münchner Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, sagte am Montag, eine Politik, die heute Schulden auf die kommenden Generationen verlagere, führe zu nichts. Andere Experten wie Manfred Kurz von der Bayerischen Landesbank wandten ein, es habe sich sowieso kein Land an die Drei-Prozent-Grenze
beim Defizit gehalten.
Die Lockerung des Paktes bedeute mehr Spielraum für eine wachstumsfördernde Wirtschaftspolitik. Devisenexperten rechnen nicht mit einer Schwächung des Euro.
Die Finanzminister der Europäischen Union (EU) hatten sich
am Sonntag darauf geeinigt, dass die EU-Staaten unter bestimmten Umständen mehr Spielraum für neue Schulden erhalten. So will Deutschland die Kosten der Wiedervereinigung anrechnen lassen.
Hüfner: Finanzminister in die Pflicht nehmen
Der Chefvolkswirt der HVB, Martin Hüfner, bedauerte die
Lockerung: "Jetzt kommt es darauf an, dass die öffentliche
Meinung und die Europäische Zentralbank (EZB) die Finanzminister in die Pflicht nehmen." Diese müssten eine verantwortungsvolle Finanzpolitik auch ohne das Korsett des Paktes verfolgen. "Die Bremse ist jetzt weg, das ist sehr gefährlich", warnte er.
Auch Folker Hellmeyer von der Bremer Landesbank sagte, der Pakt sei zwar destabilisiert worden. "Gleichwohl ist es nicht von der Hand zu weisen, dass Regierungen Handlungsspielräume benötigen, um damit zielgerichtete Reformen in die Wege zu leiten."
Deutsche Sonderlasten sind zu berücksichtigen
Der Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle,
Ulrich Blum, sagte, die Idee, Sonderlasten zu
berücksichtigen, sei nicht falsch.
"Das sind die deutsche Einheit und die Lasten, die wir für Europa schultern", sagte Blum. Auch die Idee, dass man in guten Zeiten unter die Drei-Prozent müsse, sei in Ordnung: "Ich habe nur meine Zweifel, dass das so funktioniert." Die Drei-Prozent-Marke sei aber eine politische und keine ökonomische Größe: "Das einzige was zählt ist die Stabilität des Euro-Raums gegenüber den Finanzmärkten."
Verschuldung in USA und Japan deutlich höher
Weg frei für die Schuldenunion?
Der Geldpolitik-Experte Manfred Neumann sagte dagegen, zwar werde die Drei-Prozent-Grenze formal nicht
angetastet. Faktisch würden jetzt aber viele Länder mit allen möglichen Ausreden die finanzpolitischen Zügel schleifen lassen: "Einer Schuldenunion ist jetzt Tür und Tor geöffnet." Für Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) sei das Kalkül wichtig gewesen, einen Freifahrtschein zu haben für das Wahljahr 2006.
Die Europäische Zentralbank (EZB) hatte nachdrücklich vor
einer Aufweichung des Paktes gewarnt. Neumann sagte: "Für die EZB ist das größte Problem, dass es latent einen Druck der Politiker auf niedrigere Zinsen geben wird." Da dürfe die EZB nicht nachgeben, "und das wird sie auch nicht tun."
Europa bleibt Stabilitätsweltmeister
An den Finanzmärkten erwartet Neumann kurzfristig keine Reaktion. Der Euro notierte schwächer bei Kursen um 1,32 Dollar, was Händler aber nicht auf die Reform, sondern den US-Zinsentscheid am Dienstag zurückführten.
Hellmeyer sagte, für den Devisenmarkt seien die Änderungen
am Stabilitätspakt zweitrangig. Dessen Verletzung sei seit
Jahren bekannt und vom Markt einkalkuliert. Im Vergleich bleibe die Euro-Zone Stabilitätsweltmeister. Japan liege bei Defiziten von sieben Prozent, die USA bewegten sich auf acht Prozent zu.
Die Experten der Commerzbank schrieben mit Blick auf die Wirtschaftspolitik: "Für einen bevorstehenden Dammbruch bei der Schuldenaufnahme insbesondere der großen EU-Mitgliedsländer gibt es derzeit keine Anzeichen."
Es habe vielmehr den Anschein, dass sie Aufweichungen der Regeln eher auf Vorrat und für dauernde leichte Zielüberschreitungen durchsetzen wollten.