Konjunkturkonzept
Mehrwertsteuer rauf, Soli-Zuschlag weg
Tiefer greifende Veränderungen fordern drei führende Wirtschaftsforscher in einem Appell an die Regierung. Soll die Konjunktur nachhaltig anspringen, müsse an verschiedenen Steuerschrauben gedreht werden. Für verzichtbar hält das Experten-Trio den Kündigungsschutz in Deutschland.
Berlin - Drei führende deutsche Wirtschaftsforschungsinstitute haben ein gemeinsames Konzept für mehr Wachstum erarbeitet. Danach soll die Regierung den Solidaritätszuschlag abschaffen, die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung senken und die Mehrwertsteuer erhöhen.
In einem am Freitag veröffentlichten Konzept wollen die Chefs des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW, Köln), des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW, Berlin) und des Hamburgischen Welt-Wirtschafts-Archivs (HWWA) Regierung und Opposition zu mehr Reformen bewegen.
Durch die kurzfristige Senkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung um einen Prozentpunkt und die Abschaffung des Solis würden die Personalkosten spürbar reduziert und die Einkommen der Privathaushalte um jährlich 18 Milliarden Euro entlastet, heißt es in dem Papier.
Zur Finanzierung schlagen die Chefs der drei Institute, die Wirtschaftsforscher Michael Hüther (IW), Klaus Zimmermann (DIW) und Thomas Straubhaar (HWWA) die Erhöhung der Mehrwertsteuer um zwei Punkte vor. Diese Einnahmen sollen allein dem Bund zufließen.
Kündigungsschutz aufweichen
Um den Niedriglohnsektor zu stärken, sollen Güter und Dienstleistungen, die mit einem hohen Anteil an gering qualifizierter Arbeit erstellt werden, mittelfristig nur mit ermäßigter Mehrwertsteuer belegt werden.
Zudem sollen die Sozialbeiträge für gering qualifizierte Tätigkeiten pauschal und in geringem Umfang erhoben werden. Befristungsregeln und Kündigungsschutz sollten gelockert werden, und auf mittlere Sicht könnte der Kündigungsschutz ganz durch Abfindungsregeln ersetzt werden.
"Die Abfindung erübrigt auch die soziale Notwendigkeit der Arbeitslosenversicherung in der heutigen Form, die Abfindung sollte daher auch gegenüber sonstigen Einkünften steuerlich begünstigt werden", heißt es.
Entlastungen für den Mittelstand
Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und die Vorsitzenden von CDU und CSU, Angela Merkel und Edmund Stoiber, wollen am kommenden Donnerstag über Möglichkeiten für ein gemeinsames Vorgehen gegen die Massenarbeitslosigkeit beraten. Die Union hat dazu einen Zehn-Punkte-Plan vorgelegt, der unter anderem eine Lockerung des Kündigungsschutzes vorsieht. Dies hat Schröder bereits abgelehnt.
Schlechte Aussichten für Deutschland im europäischen Konjunkturvergleich hatten zuletzt das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung und das Kieler Institut IfW gemeldet. Sie reduzierten ihre Wachstumsprognosen für 2005 gestern auf 1,1, beziehungsweise 0,6 Prozent. Damit hätte Deutschland innerhalb Europas die schwächste Wirtschaftsdynamik vorzuweisen.
Kerosinsteuer und Mittelstandsentlastung
Mehr Einnahmen für den Bund verspricht sich Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) von seinem Plan, durch die Einführung einer Flugbenzinsteuer. Wenn ein EU-Beschluss dazu scheitern sollte, will Trittin die Steuer im nationalen Alleingang einführen.
Und auch Hanns-Eberhard Schleyer trägt mit neuen Statements zur Steuer-Diskussion bei: Der Generalsekretär des Zentralverbandes des
Deutschen Handwerks fordert angesichts der
anhaltenden Wirtschaftsflaute Sofortmaßnahmen zur Entlastung des
Mittelstandes. Mittelständische Betriebe müssten von
Unternehmenssteuern entlastet werden, sagte Schleyer am Freitag im
RBB-Inforadio im Vorfeld des Reformgipfels.
Zudem sollte
der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung um einen Prozentpunkt
gesenkt werden. Ein Programm mit finanziellen Erleichterungen über
die Kreditanstalt für Wiederaufbau allein reiche nicht aus, betonte
Schleyer.