Gestern noch bezichtigte Wirtschaftsminister Clement die Kommunen, bei Hartz IV Foul zu spielen. Nun gerät er selbst unter Manipulationsverdacht: Hat er die Kosten der Hartz-Reform im Vorfeld schöngerechnet, damit der Etat der Bundesregierung verfassungskonform bleibt?
Düsseldorf - Schwere Vorwürfe gegen Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD): Die Kostenexplosion bei der Arbeitsmarktreform Hartz IV soll auch auf gezielte Manipulationen durch den Minister zurückgehen. Das schreibt die "Rheinische Post" in ihrer heutigen Ausgabe. Demnach habe Clement die Zahl der Empfänger bewusst zu niedrig kalkuliert, um die Kostenschätzung niedrig zu halten.
Clement (SPD) habe damit verschleiern wollen, dass der Bundesetat 2005 schon bei seiner Vorlage verfassungswidrig gewesen sei. Eine korrekte Schätzung der Arbeitslosengeld-II-Kosten (ALG II) hätte zur Überschreitung der erlaubten Schuldengrenze nach Artikel 115 des Grundgesetzes geführt.
Die Zeitung beruft sich auf Protokolle aus Verhandlungen Clements mit dem Präsidium des Deutschen Städtetages vom 15. Mai 2004. Demnach rechnete der Städtetag damals mit insgesamt 2,4 Millionen Empfängern von Arbeitslosenhilfe, die ab Januar 2005 in das neue ALG II übergehen. Clement habe aber nur 2,1 Millionen eingeplant. Auch die Zahl der Personen, die zusätzlich aus der bisherigen Sozialhilfe zum ALG II wechseln, habe Clement um 200.000 Fälle niedriger eingeschätzt als die Kommunen.
Clement habe dazu gesagt: "Selbst wenn eure Zahlen richtig sind - ich kann nicht mehr Geld bereitstellen, weil dann der Etat verfassungswidrig wird", zitiert die Zeitung einen Teilnehmer der Verhandlungen vom 15. Mai 2004 in Köln.
Rückendeckung für Clement
Im Streit mit den Kommunen um arbeitsunfähige Sozialhilfeempfänger hat Clement inzwischen Rückendeckung von Krankenkassen erhalten. Mehrere AOK warfen Städten und Gemeinden vor, hunderte Sozialhilfeempfänger möglicherweise zu Unrecht als arbeitsfähig eingestuft zu haben und so Krankenkosten abzuschieben. In der Frage, ob dahinter System steckt oder ob es sich schlicht um Pannen handelt, gingen die Meinungen der Krankenkassen auseinander. Die Kommunalverbände weisen die Vorwürfe zurück und sprechen von Einzelfällen.
Bund und Kommunen streiten um die Einstufung beim neuen Arbeitslosengeld II und drohende Mehrkosten. Im Zuge der Hartz-IV-Reform erhalten bisherige Sozialhilfeempfänger ALG II, wenn sie als erwerbsfähig gelten, also zwischen 15 und 65 Jahre alt sind und mindestens drei Stunden am Tag arbeiten können. Mit dem ALG II ist auch eine Versicherung bei Krankenkassen verbunden, so dass sie Behandlungen bezahlen müssen. Nach Ansicht der Kassen wollen Kommunen so Sozialhilfeleistungen und Behandlungskosten abwälzen.
Die AOK Baden-Württemberg hatte von hunderten Fällen berichtet, darunter Menschen mit beidseitiger Beinamputation. In Niedersachsen und Bremen wurden laut AOK mehrere hundert Sozialhilfeempfänger als arbeitsfähig eingestuft, obwohl sie aus Gesundheitsgründen wahrscheinlich nicht arbeiten können.
Arbeitsfähige im stationären Entzug
Es gehe um Patienten, die sich im stationären Entzug befänden oder wegen eines Schlaganfalls seit Wochen im Krankenhaus lägen. Zu den Bremer Fällen zählen laut AOK ein Koma-Patient, Drogensüchtige in Rehabilitation, Menschen in ambulant-psychiatrischer Behandlung und zu 80 Prozent Schwerbehinderte.
Bei der AOK Hessen hieß es: "Verdachtsmomente sind allein wegen des Alters gegeben." So seien von Kommunen unter anderem ein 14- und ein 68-Jähriger als erwerbsfähig angegeben worden. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen, die fälschlicherweise als erwerbsfähig gemeldet wurden, könnte in einer "dreistelligen" Höhe liegen. In Sachsen-Anhalt prüft die AOK rund 500 Fälle, für die eigentlich nicht die Bundesagentur für Arbeit, sondern die Kommunen zuständig wären. Ebenfalls 500 zweifelhafte Fälle meldete die AOK Bayern. Unter den jetzt eingehend zu prüfenden Fällen seien Schwerkranke, hochgradig abhängige Suchtpatienten und ein Querschnittgelähmter, hieß es.