Alexander Falk, unter anderem des schweren Betrugs angeklagt, wirkt müde, als er den Saal betritt. Sein Anwalt Gerhard Strate greift frontal an und fordert die Aussetzung des Verfahrens. Als Strate die Ankläger in die Nähe von Diktatoren rückt, kommt es fast zum Eklat. manager-magazin.de war vor Ort.
Hamburg - Angespannt, müde und verkniffen lächelnd präsentierte sich Alexander Falk am Beginn des ersten Verhandlungstages vor dem Hamburger Landgericht. Als der Vorsitzende Richter Nikolaus Berger die Verhandlung um 15.30 Uhr beendet, wirkt Falk wie in seinen besten Tagen: Siegessicher, optimistisch - und ausgestattet mit der ihm typischen "Zack bumm"-Gestik, steht er am Fenster des Plenarsaals und lacht mit seinen Verteidigern.
Was war geschehen? Eigentlich nicht viel - zumindest in der Sache. Falks Verteidiger stellten Befangenheitsanträge und Anträge zur Aussetzung des Verfahrens. Der Beschluss des Vorsitzenden Richters dazu lautete am Ende: "Am kommenden Mittwoch wird über die gestellten Anträge verhandelt, die Staatsanwaltschaft wird dann Stellung nehmen." Die Anklageschrift wurde nicht verlesen.
Und doch hat dieser Tag einiges Bemerkenswertes zu Tage gefördert. Da wären zum einen die Verteidiger, die eloquent auftretend, den ersten Tag dominierten. Allein Gerhard Strate, einer von Falks Anwälten, redete drei Stunden und verhaspelte sich dabei nur ein einziges Mal. In geschliffener Sprache wettert er gegen die angeblich nachlässige Vorbereitung des Verfahrens. Seine Eingangsrede spickt er mit Zitaten der klassischen Freigeister Heine und Goethe. An der Justiz ließ er kein gutes Haar und zeichnete das Bild einer dilettantisch agierenden Behörde. "Die Hamburger Strafjustiz hat sich von ihrer kläglichsten Seite gezeigt", mokierte sich Strate. Das Verfahren sei "geprägt von einer Vielzahl von Rechtsverstößen".
Angeklagter: Alexander Falk im Sitzungssaal des Hamburger Landgerichts
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Ankläger:Nikolaus Berger, Vorsitzender Richter im Strafverfahren
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Drei für die Freiheit: Alexander Falk, Rechtsanwälte Thomas Bliwier (l.) und Gerhard Strate (r.) im Hamburger Landgericht
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Abgespannt: Alexander Falk vor dem Hamburger Landgericht
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Mit Rechtsbeistand: Alexander Falk neben seinem Rechtsanwalt Thomas Bliwier
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Auf Gedeih' und Verderb: Alexander Falk begrüßt seinen Rechtsanwalt Gerhard Strate
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Alexander Falk vor Gericht Bitte klicken Sie einfach auf ein Bild, um zur Großansicht zu gelangen.
Nach Ansicht des Verteidigers hat die Kammer zudem über mehrere Monate hin wichtige Beweismittel zurückgehalten. Außerdem habe sie das Verfahren eröffnet, ohne Falk zum Vorwurf der Steuerhinterziehung angehört zu haben. Es sei zu diesem Vorwurf nie ermittelt worden, sagte Strate. Die Staatsanwaltschaft habe die Unterlagen seit Monaten in ihrem Besitz gehabt, ohne die Verteidigung darüber zu informieren. Dies seien genau jene Dokumente gewesen, deren Einbringung die Anklagebehörde stets abgelehnt habe.
Strates Provokation, Bergers Rüffel
Außerdem beruhe die Anklageschrift auf einer Betrugstheorie, die mit der langjährigen Geschichte des Bundesgerichtshofes (BGH) bräche. Als Strate seinen fünften Punkt nennt und die Hamburger Justiz dabei in die Nähe von Diktatoren rückt, kommt es fast zum Eklat. "Zuletzt wurde Angeklagten das rechtliche Gehör von der Militärgerichtsbarkeit Ende des Zweiten Weltkriegs verweigert", sagt Strate provozierend und handelt sich dafür einen Rüffel des Vorsitzenden Richters ein.
"Sie haben eine ganze Menge von Fehlleistungen gegenüber der Hamburger Justiz genannt. Ihre größte Fehlleistung war ihr letztes Zitat", sagt Berger. Berger appellierte zudem: "Alle Verfahrensbeteiligten sollten künftig "auf angemessene Weise" miteinander umgehen.
Auch Verteidiger Thomas Bliwier, im Ton etwas leiser als Strate, aber dennoch sprachlich unüberhörbar, greift die Ankläger scharf an. Er bezweifelt die betriebswirtschaftliche Kompetenz des Gerichts. Kernvorwurf der Verteidigung ist, dass kein externer Sachverständiger gehört wurde. Der Verteidiger fordert einen Sachverständigen und zitiert aus einem von ihm in Auftrag gegebenen Gutachten, wonach Grundannahmen des Gerichtes zur Berechnung der Schadenshöhe von mindestens rund 47 Millionen Euro falsch seien.
Schnittig: Falk auf der Flicca II
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Aus dem Ruder gelaufen:Auf seinem Schiff war Falk stets Kapitän
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Gruppenbild mit Skipper:Falk im Kreise seiner Crew
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Mondän: Falks Villa in Hamburg
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Vergangenheit:Ehemalige Distefora-Zentrale in Hamburg
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Einst Teil des Falk-Imperiums: Bankhaus Hornblower Fischer
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Falks unfreiwillige zweite Heimat: Untersuchunsgefängnis in Hamburg
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Nikolaus Berger: Vorsitzender Richter im Strafverfahren gegen Alexander Falk
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Einer von vielen:Falk-Aktenordner
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Verschwunden: Das Börsensegment "Neuer Markt", auf dem auch Falk agierte, gibt es unter diesem Namen nicht mehr
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Grundstein:Der Falk-Verlag, den Alexander verkaufte, brachte das Kapital für seine Börsenaktivitäten
Käufer des Falk-Verlages: Die Bertelsmann-Gruppe aus Gütersloh
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Aktenberge: Eine Justizbeamtin sortiert Falk-Ordner
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Noch stehen für Falk die Ampeln auf Rot: Landgerichtsgebäude in Hamburg
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Gegossen, aber ewig: Alexander Falk Holding
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Noch ein Ordner: Die Aktenlage ist umfangreich
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Angeklagt:Alexander Falk
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Prozessvorbereitung: Ordner in Reih' und Glied
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Bilder aus dem Leben eines Ex-New-Economy-Stars Bitte klicken Sie einfach auf ein Bild, um zur Großansicht zu gelangen.
Bliwier deutet an, dass es dem Gericht nicht um die Wahrheitsfindung gehe, sondern "um einen Prozess um jeden Preis". Er fügt hinzu: "Das ist kein normales Verfahren". Vielmehr habe es zunächst die Erwartung der Behörden gegeben, beim Multimillionär Falk könne eine "große Vermögensabschöpfung" vorgenommen werden. Er spielt damit darauf an, dass die Hamburger Ermittler zunächst das
gesamte Falk-Vermögen eingefroren hatten. Das Bundesverfassungsgericht hatte diesen Beschluss aber gekippt.
Wenn es in diesem Verfahren allein um Rhetorik und Selbstdarstellung gehen würde, der Vorsitzende Richter sowie die Staatsanwälte hätten in diesem Wettbewerb schlechte Karten. So vergaß Richter Berger bei der Vorstellung der Anwesenden Falks Vornamen und seinen Geburtstag zu nennen. Zwischenzeitlich redete er so leise, dass er aufgefordert wurde, seine Stimme zu heben. Der satte Bariton von Falks Verteidiger Strate war dagegen nicht zu überhören. Während der Anträge der Verteidigung schaut Berger sich häufig im Raum um, kaut auf seinem Brillenbügel und schmunzelt ein paar Mal.
Nicht besonders souverän zeigt sich Berger auch, als er eine Mittagspause ins Gespräch bringt. Bergers Motivation, diese auf eine Stunde zu veranschlagen, gründete sich in dem zeitweisen Hüsteln eines Verteidigers. Weil die gesammelte Verteidigerriege Bergers Vorschlag dankend ablehnt, will auch der Richter offenbar alle Zweifel an seiner Unkonzentriertheit gar nicht erst aufkommen lassen. "Meinetwegen muss es auch keine Stunde sein." Dies ist auch der einzige Moment, wo Falk sich selbst äußert: "Mir reichen auch zehn Minuten."
Richter gesteht Versäumnis ein
Blass wirkte Berger auch als er ein Versäumnis eingestehen muss. Strate beklagte sich, dass die Staatsanwaltschaft trotz mehrmaliger Anträge der Verteidigung monatelang Unterlagen zur Unternehmensbewertung der Ision zurückgehalten habe. Als dann im September 2004 "überraschend 186 Blatt in den Akten aufgetaucht" seien, habe die Kammer "überfallartig" das Hauptverfahren eröffnet und die Anklage zugelassen, so der Anwalt. Berger räumte ein: "Das ist ein Versehen gewesen." Die Staatsanwaltschaft kündigte für Mittwoch eine Stellungnahme an.
Für Verwunderung unter den Verteidigern und Zuschauern sorgt Richter Berger auch, als er sich unsicher zeigt, wie mit den Anträgen verfahren werden soll und ob die Anklageschrift noch verlesen werden kann. Sein erster Vorschlag, dass die Hauptverhandlung fortgesetzt wird, bis über die Befangenheitsanträge entschieden wird, nimmt er später zurück. "Für die Verlesung der Anklageschrift ist juristisch kein Raum", schallt wenig später die Stimme vom Falk-Verteidiger Thomas Bliwier durch den Saal. "Das leuchtet mir ein", sagt Richter Berger. Das klingt fast nach einem Armutszeugnis.
Rhetorisch schwach, aber deutlich in der Sache, präsentiert sich Staatsanwalt Heyner Heyen. "Es ist fraglich, ob nach der Beseitigung von Polemiken und Schmähungen in der Rede der Verteidiger noch etwas Substanzielles übrig bleibt." Heyen, sich mehrfach räuspernd, verwahrte sich dann auch gegen die Äußerung Strates, in der dieser die Hamburger Justiz in die Nähe der Militärgerichtsbarkeit am Ende des Zweiten Weltkriegs stellt. "Dieser Vergleich ist so infam, dass ich mich persönlich beleidigt fühle".
Falk, im hellgrauen Anzug, stahlblauer Krawatte und ohne Handschellen erschienen, zeigt während dieser Auseinandersetzung kaum Regungen. Anfangs dreht er sich noch ab und zu um, und nickte seinen Segelfreunden auf den Besucherbänken zu. Wie zum Beispiel Wilfried Beeck, dem ehemaligen Finanzchef des angeschlagenen Softwarehauses Intershop. Beeck ist ein Freund von Falk, beide verbindet die Leidenschaft für alte Segeljachten. Früher sind Beeck und Falk Regatten gegeneinander gesegelt. Das ist lange her. Das Boot von Falk, der elegante 12mR-Kreuzer "Flicca II", liegt seit über zwei Jahren unter einer Plane in einer Halle in der Nähe von Kiel. Auf dem Bug der Flicca klebt der Kuckuck des Gerichtsvollziehers.
Ab und an unterhält sich Falk mit seinen Verteidigern, sonst sitzt er nur da und hört zu. Besondere Vorsichtsmaßnahmen, um eine Flucht des Angeklagten zu verhindern, wurden nicht getroffen. "Es ist nicht anzunehmen, dass Herr Falk vor den Journalisten mit wehenden Haaren fliehen wird", sagte lächelnd Sabine Westphalen, Pressesprecherin des Landgerichts Hamburg, gegenüber manager-magazin.de.
Verfahren sprengt alles bisher da Gewesene
Neben juristischer Beratung wird Falk auch medial gecoacht - von keinem geringen als Hans-Hermann Tiedje, dem ehemaligen "Bild"-Chefredakteur und Vorstand des einflussreichen PR-Unternehmens WMP Eurocom. "Ich berate Alexander Falk seit fünf Jahren mit meiner Firma TV-Media in Kommunikationsfragen", sagte Tiedje gegenüber manager-magazin.de.
Er hat Falk mehrfach im Gefängnis besucht. "Er macht einen sehr stabilen Eindruck, und wer sich in Unternehmensfragen auskennt, muss zu dem Schluss kommen, dass Falk unschuldig ist. Wenn er schuldig gesprochen würde, geht es bis zum Bundesverfassungsgericht, und das dauert wieder ein bis zwei Jahre", schmunzelte er. Auch andere Prozessbeobachter rechnen nicht mit einem schnellen Verfahren. "Das Verfahren ist so komplex wie der Flowtex-Prozess" sagte ein Insider.
Die Strafsache Falk ist zumindest das größte Wirtschaftsverfahren, das der Stadtstaat Hamburg je erlebt hat. Die Akten umfassen 700 Ordner und füllen einen Extraraum im Gericht. Die 283-seitige Anklageschrift nennt 76 Zeugen, 369 Urkunden und 6 Gutachten. Aufgrund der Komplexität des Verfahrens kann das Landgericht gegenwärtig keine Angaben zur Prozessdauer machen. Vorerst sind 38 Verhandlungstage bis Ende Juni kommenden Jahres angesetzt. Beim Betrugsvorwurf könnte sich der Mindestschaden laut Landgericht auf 46,7 Millionen Euro belaufen.
In dem Verfahren betritt das Gericht juristisches Neuland: Zum ersten Mal werden die zivilrechtlichen Ansprüche an Falk und die anderen gleich mitverhandelt. Bisher ist es so, dass etwa Betrugsopfer erst nach einem Strafprozess ihre Ansprüche zivilrechtlich durchsetzen konnten. Nun sitzen die Rechtsanwälte des britischen Ision-Käufers Energis mit im Gericht und können zum Beispiel Zeugen befragen oder Anträge stellen. Energis hat Falk auf 763 Millionen Euro Schadenersatz verklagt. Am heutigen Tag haben die Energis-Anwälte davon nicht Gebrauch gemacht.