Mehr Nachfrage - weniger Angebot. Allein im Südwesten sind so fast ein Drittel mehr junge Menschen auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz als vor einem Jahr. Bittere Konsequenz aus Insolvenzen, Auftragsmangel und Perspektivlosigkeit bei den Unternehmen.
Stuttgart - Zu Beginn des Ausbildungsjahres sind im
Südwesten noch 20.000 Jugendliche auf der Suche nach einem
Ausbildungsplatz - das sind 28,8 Prozent mehr als im Vorjahr. Offen
sind allerdings nach Angaben der Regionaldirektion der Arbeitsagentur
nur 6740 Ausbildungsplätze. Im vergangenen Jahr standen 15.700
Jugendlichen noch 7500 Lehrstellen gegenüber.
Die Gesamtzahl der für
dieses Jahr gemeldeten Lehrstellen lag Ende August um 7,2 Prozent
unter dem Vorjahreswert. Dagegen lag die Gesamtzahl der Bewerber um
5,8 Prozent über dem Vorjahreswert - ein der steigenden
Schulabgängerzahl und den leer ausgegangenen Bewerbern aus dem
Vorjahr geschuldeter Zuwachs.
Ob der Ausbildungspakt, den Landesregierung, Wirtschaft und
Arbeitsverwaltung im Juni geschlossen haben, gegriffen hat ist noch
umstritten, weil nicht alle Ausbildungsplätze der Verwaltung gemeldet
werden. In dem Bündnis hat sich die Wirtschaft verpflichtet, in den
kommenden drei Jahren im Jahresschnitt jeweils 3800 neue
Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen.
Bäcker-, Maurer- und Glaser-Azubis gesucht
"Die Lage ist angespannt wegen Firmeninsolvenzen, Auftragsmangel
und Perspektivlosigkeit bei Unternehmen", erläutert der Experte der
Regionaldirektion, Wilfried Hüntelmann. Hinzu komme, dass manche
Branchen Nachwuchs suchten, aber keine geeigneten Kandidaten fänden.
Das gelte für Bäcker, Konditoren, Metzger, Maurer, Stukkateure,
Glaser und Gastronomen. Auch Lebensmittelfachverkäufer werden
gesucht.
So schätzt etwa der Sprecher der Handwerkskammer Region Stuttgart,
Gerd Kistenfeger, die Zahl der offenen Stellen in Stuttgart und
Umgebung auf mehrere hundert. Gefragt sind unter anderem Schreiner,
Maler, Lackierer und Anlagenmechaniker (ehemals Gas- und
Wasserinstallateur). Die beruflichen Perspektiven seien im Handwerk
sehr gut, meint Kistenfeger. "Mancher ist schon mit 27 Chef eines
Unternehmens mit mehreren Mitarbeitern, während andere im gleichen
Alter noch im Hörsaal sitzen." Das Handwerk habe den Ausbildungspakt
sehr ernst genommen, versichert Kistenfeger. Bis Ende August wurden
landesweit 14.857 Ausbildungsverträge abgeschlossen, das sind 316
mehr als im Vorjahr.
Warum "neue" Stellen keine "zusätzlichen" sind
Warum "neue" Stellen keine "zusätzlichen" sind
Ob das Versprechen der Wirtschaft tatsächlich mehr Ausbildungsplätze im Land bringt, ist fraglich. Hüntelmann macht
darauf aufmerksam, dass der Begriff "neue Ausbildungsplätze" nicht zu
verwechseln ist mit "zusätzlichen". "Da können Betriebe zur
Ausbildung oder zur Aufnahme von mehr Lehrlingen als bisher
animiert werden, aber auf der anderen Seite fallen ja auch wieder
Lehrstellen weg", sagt er.
Als vielversprechend bezeichnet Hüntelmann die Initiative der
Wirtschaft für Praktika. Beginnend in diesem Oktober sollen für drei
Jahre jeweils 3200 Stellen für die so genannte
Einstiegsqualifizierung für Jugendliche vermittelt werden. Die
Arbeitsverwaltung steuert 192 Euro im Monat für ein Taschengeld für
die Praktikanten sowie den kompletten Sozialversicherungsbeitrag von
102 Euro im Monat bei.
"Das ist eine gute Möglichkeit, Schulmüde in
betriebliche Abläufe zu integrieren und möglicherweise später in eine
reguläre Ausbildungsstelle zu vermitteln, zumal das Praktikum dafür
anrechenbar ist", erläuterte Hüntelmann. Weiterer Vorteil: Sowohl für
den Arbeitgeber als auch für den jungen Menschen ist die
Einstiegsschwelle gering.
Effekt von Nachvermittlungsaktionen steht noch aus
Im Ausbildungspakt wurde vereinbart, dass jedem Jugendlichen eine
Ausbildung angeboten wird. Es ist davon auszugehen, dass von den
vielen tausenden jungen Menschen auf der Suche nach einer Lehrstelle
am Ende nur sehr wenige auf der Straße stehen.
Im vergangenen Jahr
blieben von den 15.700 nur 1266 unversorgt. Ein Drittel kam in den
Nachvermittlungsaktionen der 24 Arbeitsagenturen noch zum Zuge, jeder
vierte landete im Berufsvorbereitungsjahr oder in einer
berufsvorbereitenden Maßnahme der Arbeitsverwaltung. Andere gingen
auf eine weiterführende berufliche Schule oder fanden eine
Arbeitsstelle.
Wie es den jungen Leuten in diesem Ausbildungsjahr tatsächlich
ergangenen ist, darüber werden Vertreter von Landesregierung,
Wirtschaft und Arbeitsverwaltung am 27. Oktober eine erste Bilanz
ziehen.