Mercedes-Streit Flächenbrand bei DaimlerChrysler
Stuttgart - Mehr als 60.000 DaimlerChrysler-Beschäftigte haben am Donnerstag wegen der Sparpläne des Autokonzerns die Produktion in Deutschland vorübergehend lahm gelegt. Für etwa zwei Stunden standen während der Frühschicht in allen großen Pkw- und Nutzfahrzeugwerken die Bänder still.
In Sindelfingen verließen am Morgen fast 20.000 Arbeiter die Bänder, laut Betriebsrat wurden etwa 800 Mercedes-Limousinen nicht montiert. In Stuttgart-Untertürkheim protestierten etwa 10.000 Beschäftigte, in Mannheim 8000, in Wörth (Rheinland-Pfalz) und Bremen jeweils 5000. Auch in Hamburg, Berlin, Kassel, Gaggenau und Rastatt gab es Proteste. Bereits in der Nacht zum Donnerstag hatten die Beschäftigten im Werk Düsseldorf bereits vorübergehend die Arbeit niedergelegt und damit ihre Proteste gegen die Sparpläne des Unternehmens begonnen.
Die Arbeitnehmer ließen ihrer Wut freien Lauf. "Es ist Krieg", "Ihr nehmt uns die Pausen, wir nehmen euch die Ruhe" oder "Millionen sind stärker als Millionäre" - so lauteten Slogans, die auf Plakaten der Protestler zu lesen waren. Viele trugen schwarze T-Shirts mit der Aufschrift "DaimlerChrysler-Erpresswerk".
Umstrittene Sparpläne
Den Unmut der Beschäftigten zog sich die Konzernleitung von DaimlerChrysler durch Sparpläne zu. Demnach verlangt das Management von den Arbeitnehmern in Süddeutschland Kosteneinsparungen von 500 Millionen Euro pro Jahr.
Wenn der Betriebsrat die Einsparungen nicht mit größeren Zugeständnissen ermögliche, könnte die Produktion der neuen C-Klasse von Sindelfingen nach Bremen verlagert werden, hatte das Unternehmen gedroht. Damit könnten im Südwesten rund 6000 Arbeitsplätze verloren gehen.
Verhandlungen gehen weiter
Ungeachtet der scharfen Attacken auf den Kundgebungen gegen das Konzernmanagement, betonten Gesamtbetriebsrat und Vorstand ihre Kompromissbereitschaft. "Wir wollen die Arbeitsplätze in Deutschland sichern und einen Abschluss im Dialog", sagte ein DaimlerChrysler-Sprecher. Gesamtbetriebsratschef Erich Klemm betonte, es müsse eine faire Einigung geben.
Klemm, der auch Vize-Aufsichtsratschef des Autokonzerns ist, sagte, der Betriebsrat habe in den Verhandlungen bereits den Verzicht auf Lohnzuwächse von mehr als 200 Millionen Euro angeboten. Eine halbe Milliarde Euro sei jedoch völlig abwegig. Zwischen diesen Zahlen müsse ein Kompromiss gefunden werden. "Ich halte es für ausgeschlossen, dass es zu keinem Ergebnis kommt", betonte Klemm. Die Verhandlungen werden am 20. und 21. Juli fortgesetzt.
Dem Vorstand sind vor allem die im Vergleich zu Bremen höheren Arbeitskosten in Sindelfingen ein Dorn im Auge. (siehe: "Warum Bremen besser als Stuttgart ist"). Diese von Mercedes-Chef Jürgen Hubbert angestoßene Diskussion "kotzt mich an", meinte Klemm.
Jürgen Schrempp - "Mehr Flexibilität"
Jürgen Schrempp: "Mehr Flexibilität"
DaimlerChrysler-Chef Jürgen Schrempp dringt weiter auf Kostensenkungen im Konzern zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit. Schrempp sagte am Donnerstag in Stuttgart, das Kostenproblem sei im Zuge des verschärften Wettbewerbs eine "Tatsache".
Er sprach sich für mehr Möglichkeiten zur Flexibilisierung aus. "Wir müssen flexibel sein, um auf Konjunkturzyklen und den neuen Wettbewerb zu reagieren", betonte der Konzernchef. Zum weiteren Verlauf der Gespräche zwischen Betriebsrat und Vorstand über Einsparungen äußerte sich Schrempp nicht. Er sprach lediglich von "schwierigen Verhandlungen".
"Abstoßende Ultimaten"
Unterdessen kritisierten führende SPD-Politiker das Vorgehen von DaimlerChrysler scharf. Die Unternehmensführung habe damit "ein Klima der Angst befördert", sagte der stellvertretende SPD-Vorsitzende und Bundestagspräsident Wolfgang Thierse dem "Tagesspiegel" vom Donnerstag. Es sei "abstoßend, die Arbeitnehmer mit Ultimaten zu traktieren, die sich die Vorstände selbst nie gefallen lassen würden." Die stellvertretende SPD-Vorsitzende Ute Vogt sprach von "Erpressungen und Drohungen".
Verdi-Chef Frank Bsirske wertet den Streit um Einsparungen bei DaimlerChrysler als entscheidend für die Zukunft des Flächentarifvertrags. "DaimlerChrysler ist dafür sicher eine Schlüsselauseinandersetzung", sagte der Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft am Donnerstag in Berlin.
Der Flächentarifvertrag sei ein Schutz vor einer deflationären Entwicklung, die zu einer wirtschaftlichen Krise wie in den 30er Jahren führen könne. "Er ist der wesentliche Anker, der uns im Moment wirtschaftlich vor dem Marsch in die Deflation schützt", sagte Bsirske.