Hauptversammlung "VW hat Werte vernichtet"

Bernd Pischetsrieder stand ein Canossa-Gang bevor: Auf der Hauptversammlung musste er dramatische Verluste und den Hang des Unternehmens zum Luxus erklären. Die Aktionäre tobten sich aus. Dabei überhörten sie fast die wichtigste Meldung.

Hamburg - Wer zur Hauptversammlung von Volkswagen  kommt, kann sich schon vor der Eingangspforte ins Gedächtnis rufen, worum es geht. In einem weißen Zelt hat der Konzern die Prachtstücke all seiner Marken aufgestellt, einen langen Phaeton in schwarzem Understatement, ein keckes Sondermodell vom VW Polo, einen schwungvollen Seat Altea, einen rasend gelben Lamborghini.

Kämen die Vorstände durch den gleichen Eingang, könnten sie sich in dem Zelt aber auch ins Gedächtnis rufen, worum es vielen Kunden geht - und einem Großteil der Aktionäre. Da steht der Bentley Continental GT - Neupreis knapp 160.000 Euro - direkt neben dem neuen Skoda Octavia, einem Schnäppchen im Vergleich zum Golf. Doch nicht an dem rassigen Luxussportwagen bilden sich Menschentrauben. Die Aktionäre wollen wissen, wie das tschechische Schnäppchen gelungen ist.

Für Bernd Pischetsrieder ist es keine leichte Aufgabe, heute vor die Hauptversammlung zu treten. Der Konzern hat schlechte Zahlen, schlechte Presse und schlechte Aussichten auf baldige Besserung.

Der große, backsteingemauerte Saal im Congress Centrum Hamburg ist gerappelt voll. Die Aktionäre wollen wissen, wie es um den Patienten Volkswagen steht. "Letzthin bei Daimler ging's ja richtig rund", freut sich ein silberhäuptiger Mindener im lindgrünen Blouson. Aber so wild werde es heute wohl nicht werden. Sein Sitznachbar, ein Mittsechziger im grauen Anzug, ringt mit dem Schlaf.

Dann tritt Bernd Pischetsrieder ans Pult und beginnt, diplomatisch von einem "Jahr der Gegensätze" zu sprechen. Die Arbeitsleistung sei beachtlich gewesen, es habe konzernweit 16 neue Modelle mit 39 Produktionsanläufen gegeben, die wohl nicht immer reibungslos funktionierten. Aber es gebe ja auch Erfolge: "In China haben wir 700.000 Fahrzeuge verkauft." In der Mitte des Parketts hebt kurzer, frenetischer Applaus eines Einzelnen an.

Pischetsrieder lässt nicht unerwähnt, dass der Golf weiter an der Spitze der Zulassungen in Deutschland steht, betont, dass der Produktionsbeginn des Modells "Maßstäbe in Volumen und Qualität" gesetzt habe und dass die Konjunktur, der verschärfte Wettbewerb und die Wechselkurse Volkswagen das Leben schwer machten. Dem Mittsechziger nebenan sinkt sein Kinn auf den Brustkorb.

Keine Selbstkritik? Doch, Pischetsrieder weiß um seine schwache Position. Die enttäuschenden Ergebnisse des vergangenen Jahres nennt er beim Namen, die nicht annähernd erreichten Prognosen, den Kursverfall und die Absatzschwierigkeiten. Dabei spricht er langsamer als sonst, als wolle er zeigen, dass er auch vor schlechten Nachrichten nicht zurückschreckt.

"Mut, die Dinge beim Namen zu nennen"

"Mut, die Dinge beim Namen zu nennen"

Schließlich wiederholt er den Kotau der Bilanzpressekonferenz, nennt das erste Quartal 2004 "miserabel". Das bringt ihm Sympathien, wie sich später bei der Fragestunde der Aktionäre zeigt. Verschiedene Redner danken ihm für den "Mut, die Dinge beim Namen zu nennen" - bevor auch sie in den Wunden des Konzerns rühren.

Exemplarisch dafür ist Ulrich Hocker, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW). Er fragt, wann VWs Oberklasseflaggschiff endlich ein lohnendes Geschäft werden könne, "oder steht der Phaeton für Quersubvention ad infinitum?" Aggressiver noch tritt Michael Schneider als Vertreter der Fondsgesellschaft Deka auf: "Es sind Werte vernichtet worden", donnert er los, fragt, ob VW immer "am Markt vorbei" plane und wie es sein kann, dass der Konzern nur dann Geld verdiene, "wenn der Dollar sehr stark ist".

Mehrfach muss Schneider für Applaus innehalten, klammert sich derweil nervös am Rednerpult fest. Dann legt er nach. Das Sparprogramm "ForMotion" sei ja ganz gut, aber "ist nicht mehr drin?" Er attakiert ebenfalls die Premiumstrategie: "Wie sollen in Zeiten, in denen Geiz geil ist, bei Phaeton, Bentley und Bugatti Renditen erzielt werden?" Zwischenruf aus dem Plenum: "Nie!" Da erwacht der Mittsechziger mit einem Zucken.

Fast alle freuen sich auf die Dividende

Die Begeisterung des Publikums für Schneider endet abrupt, als er ankündigt, gegen die Dividende zu stimmen, weil er sie zu hoch finde. Nur einer klatscht, penetrant lang, doch niemand mag sich ihm anschließen.

Es gibt auch Lichtblicke für den Vorstand. Das Emirat Abu Dhabi will Großaktionär bei VW werden, verkündet Pischetsrieder stolz. Gewünschte Lesart der Meldung: So schlecht geht es uns eigentlich nicht.

Außerdem ist die Strategie, Volkswagen vom Autohersteller zum "Mobilitätskonzern" unter anderem mit Finanz- und Versicherungsservices auszubauen, just heute einen beträchtlichen Schritt vorangekommen. Am Morgen der Hauptversammlung gab VW den 50-prozentigen Erwerb des weltweit fünftgrößten Flottenmanagers Leaseplan bekannt. Das Geschäft soll mit den Geldern aus dem Orient finanziert werden, Abu Dhabi beteiligt sich auch an dem niederländischen Unternehmen.

Fast könnte man meinen, der Deal sei absichtlich auf den Tag dieser schwierigen Hauptversammlung gelegt worden, als positives Gegenprogramm: Erst am Morgen gab die Pressestelle ihre umfangreiche Meldung heraus. Der Eindruck liegt nahe, lacht ein Mitglied der Geschäftsführung, betont dann aber, dass die Verhandlungen dazu rund zweieinhalb Jahre gedauert hätten. Dass sie ausgerechnet jetzt zum Abschluss kommen, hätte ja keiner wissen können.

"Das ist Größenwahn!"

"Das ist Größenwahn!"

Auch an dem Leaseplan-Geschäft findet Ulrich Hocker einen Makel: "Nur 50 Prozent übernimmt VW und hat damit mal wieder keine Mehrheit, um zu konsolidieren." Das sei eine abwegige Schlussfolgerung, erläutert Konzernsprecher Hans-Gerd Bode auf Nachfrage von manager-magazin.de. Leaseplans Geschäftsmodell sei es, Autos aller Marken zu verleasen, ganz nach Kundenwunsch. Würde VW hier eine Mehrheit erwerben, sähe es so aus, als verkomme die Firma zu einem Vertriebskanal für Volkswagen. "Damit würden wir eine geschäftliche Leiche kaufen", so Bode.

Doch die Aktionäre mögen sich nicht so recht über Leaseplan freuen. Auch der Einstieg der Emirs spielt in den Fragestunden nur eine Nebenrolle. Im Kreuzfeuer der Kritik steht statt dessen die Premiumstrategie: "Phaeton, Lamborghini - das ist Größenwahn!", wettert ein Einzelaktionär. Dabei hat Bernd Pischetsrieder längst klargestellt: VW will auch in Zukunft in allen Modellsegmenten aufgestellt sein - ohne Abstriche beim Status quo.

In ein bis zwei Jahren, prophezeit Gode, werde die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit aber eine ganz andere sein. Die Modellpalette im Premiumbereich sei jetzt fertig aufgebaut, mit Neuerscheinungen bei Klein- und Kompaktwagen werde der Fokus künftig woanders liegen. So soll im nächsten Jahr der Fox, ein Kleinwagen, der bereits in Brasilien mit Erfolg verkauft wird, das Sortiment nach unten komplettieren und spürbar weniger als 10.000 Euro kosten.

Man muss sich also nur gedulden, so die Botschaft des VW-Vorstandes. Zwar werde man auch in diesem Jahr keine umwerfend gute Bilanz vorweisen, kündigt Pischetsrieder vorsorglich an. Aber dank der neuen Modelle und mit dem "Prinzip des sparsamen Wirtschaftens" wird's schon wieder werden.

Einen Anflug bayerischer Selbstironie verkneift er sich dabei nicht: "Ein zugegebenermaßen schlichtes Prinzip." Derweil ist der Mittsechziger im grauen Anzug wieder eingenickt.

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