Mannesmann-Prozess "Dafür muss eine alte Frau lange stricken"
Düsseldorf - Heute ist der Tag des Rechtsgesprächs. Anfang März hatte Richterin Koppenhöfer angekündigt, damit die Richtung des Verfahrens klarer zu machen.
Sofort rankten sich viele Legenden um diesen wenig bekannten Begriff der Jurisprudenz. Eberhard Kempf, einer der Verteidiger von Deutsche-Bank-Chef Ackermann wiederholte auf die Frage, ob das Rechtsgespräch den Prozess verkürzen würde, stets seine sybillinische Antwort: "Wir müssen für beides fit sein: Den kurzen Sprint und die Langstrecke."
Amüsiert sprach schließlich die Kammervorsitzende ein Machtwort: "Ein Rechtsgespräch ist nicht gleichbedeutend mit der Verkürzung des Verfahrens." Basta.
Zunächst beginnt der Prozesstag wie die meisten bisherigen auch: Zwei Zeugen sind geladen, die von 9 Uhr an im stündlichen Abstand aussagen sollen. Darunter sind keine Prominenten; alle Zeugen waren bei der alten Mannesmann AG Arbeitnehmervertreter.
Besprechung im kleinen Kreis
"An die Zeugenvernehmung schließt sich eine Vorbesprechung an", so die Ankündigung des Gerichts, "an der ausschließlich die Verfahrensbeteiligten teilnehmen werden." Danach wird die Hauptverhandlung öffentlich mit dem Rechtsgespräch fortgesetzt und der Inhalt der Besprechung bekannt gegeben.
Sicher ist, dass es dabei um die unterschiedlichen Rechtsauffassungen der Verfahrensparteien gehen wird. Strittig war hier bisher vor allem eine Frage: Spielt der Wertzuwachs der Mannesmann-Aktie während des Übernahmekampfes eine Rolle bei der Bewertung der verteilten Managerprämien? Genau in diesem Punkt bewegt sich das Gericht auf juristischem Neuland - oder eben auch nicht, je nach Rechtsauffassung.
Die Mehrzahl der Beobachter geht nicht davon aus, dass es zu einer wesentlichen Verkürzung des Prozesses kommt, auch wenn am vergangenen Wochenende vor allem diese Seite Ackermanns die Hoffnung wecken wollte. Im Umfeld des Gerichts verneint man auch die Möglichkeit, dass einer der sechs Angeklagten gesondert beurteilt werden könnte, um zumindest für ihn das Verfahren abzukürzen.
Ladberg war außer sich
Ladberg war außer sich
Der erste Zeuge des heutigen Tages ist Werner Kleinhenz (62), der als Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat mit dem Angeklagten Jürgen Ladberg zusammenarbeitete. Er erinnert sich daran, wie Ladberg aufgebracht aus einer Präsidiumssitzung zurückkehrte: "So außer sich habe ich ihn noch nie gesehen."
Dabei war es um ein Beschlussprotokoll gegangen, mit dem die umstrittenen Vorstandsprämien abgesegnet werden sollten. Ladberg sei so wütend gewesen, weil ihn alle gedrängt hätten, das Protokoll zu unterschreiben, mit dem die Sonderprämien im Wert von 20 Millionen britischen Pfund genehmigt wurden. Er aber mache das nicht, darauf habe er bestanden, "kurz vorm Ausrasten", sei Ladberg gewesen: "Dafür muss eine alte Frau lange stricken!"
Tatsächlich hat Ladberg nie seine Unterschrift unter den Beschluss gesetzt. Weil jedoch der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende und heutige Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann sowie Gremiumsprimus Joachim Funk dem Prämienbeschluss zustimmten, floss das Geld. IG-Metall-Chef Klaus Zwickel hatte ebenfalls seinen Anteil, weil er sich der Stimme enthielt.
Durch die Presse besser informiert als intern
Kleinhenz selbst schaudert es, wenn er an diese Zeit zurückdenkt: Man habe unter dem Druck der Arbeitnehmer gestanden und dem der Medien. Überhaupt sei man durch die Presse besser informiert worden als firmenintern als Aufsichtsratsmitglied.
Eine der entscheidenden Aufsichtsratssitzungen, die am 3. Februar 2000, habe unter einer "unglaublichen Hektik" stattgefunden. Zeitweise wurden die Arbeitnehmervertreter von den anderen Gremiumsmitgliedern allein im Konferenzraum zurückgelassen, besprachen sich stattdessen auf den Gängen. Klaus Zwickel, ebenfalls im Verfahren angeklagt, habe versucht, alle wieder zusammenzutrommeln, doch ohne Erfolg.
"Die Aktionäre begannen sich abzuwenden"
In dieser Sitzung hielt er die Position Mannesmanns eigentlich für gestärkt, so Kleinhenz. Zwar hatte er vom Abbruch der Verhandlungen mit Vivendi erfahren, aber er setzte durchaus Hoffnungen auf eine Kooperation mit AOL und Bertelsmann, um die Übernahme durch Vodafone zu verhindern. Doch bald musste er erkennen, wie trügerisch diese Hoffnung war: "Aktionäre wie Banken begannen sich von Mannesmann abzuwenden."
Kleinhenz wird auch gefragt, wer seiner Ansicht nach die Managementprämien zu finanzieren hatte. Da die Summen stets in britischen Pfund angegeben wurden, so seine Antwort, fand er es "logisch", dass Vodafone dafür aufkommt.
Keine Zustimmung der Arbeitnehmer
Keine Zustimmung der Arbeitnehmer
Mit Klaus Zwickel sei später beschlossen worden, dass man eine Erklärung vorbereitet. Inhalt: Der Mannesmann-Aufsichtsrat, paritätisch mit Arbeitnehmervertretern bestückt, stimmt den Prämienzahlungen nicht zu. Die volle Verantwortung für die Prämien war damit dem vierköpfigen AR-Gremium für Vorstandsangelegenheiten zugewiesen. Das entsprechende Schreiben sei dann dem zuständigen Mannesmann-Mitarbeiter "Dr. Koch" zugestellt worden.
Gegen 9.45 Uhr ist seine Vernehmung beendet und der zweite Zeuge wird aufgerufen, Rainer Schmidt (54). Schmidt, 54 Jahre, lichte Frisur und Vollbart, war 2000 gemeinsam mit Kleinhenz im Mannesmann-Aufsichtsrat.
Der Zeuge windet sich
Vom Übernahmeversuch durch Vodafone habe er erstmals im November 1999 im Rahmen einer Aufsichtsratssitzung gehört, sagt Schmidt. Allerdings sei man damals im Gremium einhellig der Meinung gewesen, dass Mannesmann in dem Angebot "derart unterbewertet war", dass man "selbstverständlich" von einem Eingehen auf die Offerte abriet. Diese Haltung habe "bis zum ersten oder zweiten Februar" Bestand gehabt. Doch dann erklärte der französische Vivendi-Konzern, dass er für die Abwehr des Vodafone-Einstiegs nicht wie erhofft in die Bresche springen werde - und das habe die Wende gebracht.
Am 17. Februar habe dann Ackermann im Aufsichtsrat eine Erklärung zu den Prämien-Millionen gemacht, die "drei Kernpunkte" enthalten habe. "Erstens hieß es, dass weder die Mannesmann AG noch Esser um solche Prämien nachgesucht haben." Vielmehr habe zweitens Hutchison-Whampoa die Prämien vorgeschlagen, die dann drittens mit dem Board of Directors bei Vodafone abgestimmt worden sei.
Aus seinen handschriftlichen Aufzeichnungen zu dieser Erklärung hält Richterin Koppenhöfer ebenso wie später die Staatsanwaltschaft Schmidt einen kurzen Passus vor: "finanz. Vodafone UK" sei da zu lesen. Finanziert durch Vodafone wäre eine schlüssige Übersetzung, findet die Richterin. Doch Schmidt dementiert. Die Abkürzung "finanz." habe er wahrscheinlich als Abkürzung für ein "Finance Board" bei Vodafone genutzt - so werde das Board of Directors auch genannt. Warum er dann aber ein kleines "f" statt eines großen für seine Notiz genutzt habe, will Koppenhöfer wissen. Schmidt beharrt auf seiner Interpretation der Notizen.
Später erklärt er, dass er sehr wohl während der AR-Sitzung den Eindruck gehabt habe, dass Vodafone zahlen werde. Das Ackermann-Zitat erwähnt er allerdings nicht noch einmal. Nach der Sitzung, im Protokoll sei dann allerdings unmissverständlich zu lesen gewesen, dass die Prämien nur "in Abstimmung mit dem Board of Directors von Vodafone geleistet" werden. Dies sei ein eindeutiger Beweis, dass er, Schmidt, in der Sitzung Ackermann nur falsch verstanden haben.
Die Showeinlage des Verteidigers
Die Showeinlage des Verteidigers
Zwickel-Verteidiger Rainer Hamm stützt diese Erklärung. Wenn man nach dem Wort "Directors" im entscheidenden Passus eine Pause mache, bekäme das Wörtchen "von" eine andere Bedeutung - schriftlich sei die Aussage aber eindeutig: Die Zahlung war mit Vodafone abgestimmt, aber nicht von Vodafone zu leisten.
Kurzweilig wird es dann vor der Pause in dem Prozess, als Esser-Verteidiger Sven Thomas in seinen Akten ein wichtiges Dokument nicht findet - das er aber noch im Kopf hat. Auf seine Nachfrage erklärt Richterin Koppenhöfer: "Bittesehr, unsere Ordner stehen Ihnen zur Verfügung." Thomas schreitet zu dem Regal hinter der Richterbank, in dem die etwa 30 Prozessordner stehen und sucht anschließend mit Esser und dem zweiten Anwalt Klaus Volk nach dem Schriftstück.
Lästiges Piepen in den vorderen Reihen
Das dauert etwas länger und Thomas nutzt die Zeit für die Bemerkung, dass doch die Anwaltskollegen mit ihren Notebooks und schnellen Suchfunktionen vielleicht helfen könnten. Er bedauert, dass dies nicht geschieht und merkt an, dass die Computer bisher im Prozess ja hauptsächlich dadurch aufgefallen seien, "dass sie andauernd lästig piepen". In der Tat fiel das selbst in den Sitzreihen hinter den Anwälten heute unangenehm auf.
Um 11.30 Uhr wird Schmidt aus dem Zeugenstand entlassen und Richterin Koppenhöfer verkündet den weiteren Zeitplan. Nach einer kurzen Mittagspause findet das Rechtsgespräch um 12 Uhr statt, um 15 Uhr soll die Hauptverhandlung fortgesetzt werden.
Fortsetzung des Prozesstages: Das Rechtsgespräch