Mannesmann-Prozess
Die Spin Doctors von Saal L 111
Worum geht es wirklich im spektakulärsten Prozess der deutschen Wirtschaftsgeschichte? Um genau diese Frage wurde am zehnten Verhandlungstag im Düsseldorfer Landgericht gerungen. Das Ziel der Verteidiger ist klar: Die Kontrolle über Sinn und Unsinn.
Düsseldorf - Dreimal hatte Brigitte Koppenhöfer den Angeklagten schon unterbrochen. Diesmal duldete die Vorsitzende Richterin im Mannesmann-Prozess keinen Widerspruch: "Herr Esser, Sie wollten sich zur Aussage Canning Foks äußern, bitte bleiben Sie beim Thema."
Ebenso musste sie Klaus Essers Verteidiger Sven Thomas über den Mund fahren, auch wenn der es schaffte, das Argument listig einzuflechten, das sein Mandant nicht mehr hatte ausführen dürfen: Selbstverständlich sei die Homepage des nordrhein-westfälischen Justizministeriums hier von Belang.
In der siebten Prozesswoche tobt ein Streit um die Deutungsmacht: Wer bestimmt, wie Aussagen eingeordnet und welche Themen verhandelt werden? Nicht nur Esser, oft genug sein eigener Anwalt, sondern auch die Staatsanwaltschaft und gleich mehrere Verteidiger hatten Anmerkungen zur Aussage des Hutchison-Whampoa-Managers Fok aus der vergangenen Woche angekündigt, um dessen Worten ihre Drehrichtung aufzuzwingen.
Bodo Hombach als Vorbild
Esser nun bestätigte Foks Aussage. Was sollte er auch machen, hatte dieser ja Essers frühere Darstellungen untermauert. Essers Methode seit Beginn der Hauptverhandlung Ende Januar: Jede Gelegenheit nutzen, um neue Informationen in den eigenen Kontext einzuordnen. Das ist klassisches "Spin doctoring".
Spin Doctors, da war doch was? Es handelt sich ursprünglich um eine Spezies aus dem politischen Marketing. Berater, die sich darum kümmern, mit welcher Eigendrehung (Spin) die Äußerungen ihrer Auftraggeber auf das Spielfeld öffentlicher Debatten auftreffen. Davon kann, genau wie beim Tennis, abhängen, ob der Gegner die Chance zum Gegenangriff hat oder nicht.
In den neunziger Jahren gelangten einige von ihnen zu Berühmtheit, Bodo Hombach etwa, der sich als Strippenzieher in Gerhard Schröders Wahlkampf effektvoll zu inszenieren wusste. Doch die Gattung ist nicht aufs Politische beschränkt, in allen Lebensbereichen wird am Spin gedoctert. Wer die Kontrolle über Themen, Begriffe und deren Sinn behält, darf sich stolz dazurechnen.
Kontrolle statt Beschleunigung
Im Mannesmann-Verfahren wimmelt es nur so von diesen Sinn-Kontrolleuren. So liest die Staatsanwaltschaft, ebenfalls als Kommentar zur Fok-Aussage, aus einem Schreiben Essers vor, das allen Beteiligten längst vorliegt. Seine Aussage soll mit Nachdruck in einen anderen Zusammenhang gestellt werden.
Die Verteidigung lässt sich kurz darauf ebenfalls nicht lumpen und drängt auf ein Fachgutachten. Lohn der Mühe: Richterin Koppenhöfer stellt ein Rechtsgespräch in Aussicht. In dieser Unterredung aller Prozess-Beteiligten wird es mitnichten nur um das Gutachten gehen, sondern um die Frage, was in diesem Prozess eigentlich verhandelt wird: Ein mutmaßlicher Fall von Bestechung oder die Bewertung einer Managerprämie und ob diese in einen sinnvollen Bezug zu Wohl und Wehe eines Unternehmens gesetzt werden kann. Das klingt zwar nach juristischer Haarspalterei, kann aber über schuldig oder unschuldig entscheiden.
Die Kontrolle über Sinn und Unsinn zu behalten, das ist das Ziel dieses Antrags der Verteidigung, nicht die Beschleunigung des Verfahrens, wie man mutmaßen könnte. Doch dazu hat sie nur die Chance, wenn sie früh das Wort ergreift - wie heute geschehen.