Mannesmann-Prozess Entscheidung im kleinen Kreis?
Düsseldorf - Klaus Zwickel erscheint im Mannesmann-Prozess an diesem zehnten Prozesstag unter den Angeklagten als Erster im Saal "L 111" des Düsseldorfer Landgerichts, um 8.45 Uhr haben außerdem die Verteidiger der weiteren Angeklagen bereits Platz genommen.
Später fällt auf, dass unter den Angeklagten Ex-Mannesmann-Vorstandschef Klaus Esser und Ex-Betriebsratschef Jürgen Ladberg die Gerichtsdiener (korrekte Berufsbezeichnung: Wachtmeister) beim Eintreten grüßen. Nach rund 40 Stunden im selben Saal kennt man sich eben.
Als Zeugen werden heute einer der wichtigsten Wirtschaftsanwälte der Republik, Ralph Wollburg, und - von 13 Uhr an - der renommierte Aktienrechtler Gerd Werner Krieger vernommen.
Pünktlich um 9 Uhr beginnt der Verhandlungstag. Staatsanwalt Dirk Negenborn bringt einen Nachtrag zum jüngsten Prozesstag, an dem Mannesmann-Großaktionär Canning Fok ausgesagt hatte. Negenborn zitiert aus einem Schreiben von Klaus Esser an Fok. Aufgrund der hier zusammengetragenen Fakten entstehe der Eindruck, dass die Äußerungen, die Fok kurz nach der Mannesmann-Übernahme gegenüber verschiedenen Medien machte, zuvor minutiös mit Esser abgestimmt worden seien. Zu einem früheren Zeitpunkt hatte die Staatsanwaltschaft bereits einmal behauptet, Esser haben Fok "diktiert", was dieser gegenüber den Medien sagen könne.
Nach dem etwa zehnminütigen Beitrag des Staatsanwalts, über den vorerst nicht diskutiert wird, folgt die Aussage Wollburgs, der seit 1997 einer der wichtigsten beratenden Anwälte für den Mannesmann-Konzern war und damals wie heute im Düsseldorfer Büro der Anwaltskanzlei Freshfield-Bruckhaus-Deringer (beziehungsweise deren Vorgängerkanzlei) tätig ist.
Nach dem ThyssenKrupp-Coup ins Friedland-Team
"Ich war an allen großen Übernahmen in Deutschland beteiligt", gibt der 48-Jährige trocken zu Protokoll. Bei einer davon, nämlich der feindlichen Übernahme von Krupp durch Thyssen, hatte ihn Klaus Esser aufmerksam beobachtet. Nachdem der Coup gelungen war, bot Esser Wollburg 1997 dann an, Mitglied im Friedland-Team zu werden. Wollburg bekleidete in diesem von hochkarätigen Experten besetzten Gremium, dass Strategien gegen feindliche Übernahmen ausklügelte, die leitende Position für alle Fragen des deutschen Aktienrechts.
Wollburg, der selbstsicher, sachlich und verbal präzise auftritt, sagt, dass er in die konkreten Verhandlungen mit Vodafone nie direkt eingeschaltet wurde. Auch den Vertreter des wichtigsten Mannesmann-Großaktionärs - Canning Fok - habe er nie persönlich kennengelernt. So entsteht das Bild eines Mannesmann-Verbündeten, der im Hintergrund wichtige Fäden spinnt - aber, womöglich gewollt, offiziell kaum auftaucht.
Vivendi besiegelte Mannesmanns Ende
Wollburg: Vivendi besiegelte Mannesmanns Ende
Wollburg hat laut seiner Aussage am späten Abend des 2. Februar 2000 von der Einigung zwischen Mannesmann und Vodafone erfahren. Nach einem Anruf sei er in die Mannesmann-Zentrale geeilt, um bis 7.30 Uhr morgens daran mitzuwirken, die Vereinbarung in einen Vertrag zu gießen. Auch über Prämien hätte schon etwas in der Vereinbarung gestanden, so Wollburg. Er haben diesem Teil des Vertrags aber "keine große Bedeutung beigemessen", da alles "recht allgemein gehalten" gewesen wäre.
Gegen 9.40 Uhr fragt Richterin Brigitte Koppenhöfer Wollburg, wie er das Abspringen des "Weißen Ritters" Vivendi, den Esser zur Jahreswende 99/2000 als Verbündeten gegen die Übernahme gewinnen wollte, einschätze. Nachdem Vivendi den Abbruch der Verhandlungen mit Mannesmann bekannt gegeben hatte, kam Vodafone zum Zug: "Es gab einen zeitlichen Zusammenhang - sehen Sie auch einen kausalen?", fragt die Richterin.
Wollburgs Antwort ist tautologisch. "Eine Fusion mit Vivendi war da nicht mehr möglich", antwortet er. Immerhin bezeichnet er den Seitenwechsel von Vivendi als einen "furchtbaren Schlag". Damit ist dieser Punkt abgehakt.
Staatsanwalt Johannes Puls interessiert ein anderer Umstand: Wollburg ist Essers Anwalt in einem anderen Verfahren, das der Ex-Mannesmann-Chef gegen das Land Nordrhein-Westfalen angestrengt hat.
Das Land war im vergangenen Frühjahr in erster Instanz zur Zahlung von 10.000 Euro verurteilt worden, da Esser laut Urteil durch Presseauskünfte der Behörden in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt worden war. Esser sei über die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen ihn erst informiert worden, als schon verschiedene Journalisten davon wussten, lautete der Haupt-Vorwurf. Die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf hat Berufung eingelegt.
"Wollen Sie dazu aussagen? Ja oder nein!"
Staatsanwalt Puls will nun wissen, ob Wollburg in dieser Angelegenheit ebenfalls vor Gericht aussagen will oder von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen möchte. Als Wollburg mit der Antwort zögert, wiederholt Puls: "Wollen Sie dazu aussagen? Ja oder nein!" Und nach einer kurzen Pause noch einmal derselbe Satz, was den Esser-Verteidiger Sven Thomas zu der Bemerkung reizt, das klänge ja "wie eine tibetanische Gebetsmühle".
Dann dreht Thomas den Spieß um und fordert seinerseits, dass zur Beweissicherung für das Verfahren "Esser vs. Land NRW" ein Satz zur Beweissicherung ins Protokoll aufgenommen wird. Thomas will festgeschrieben wissen, dass Staatsanwalt Puls Esser offenbar ein "Nachtatverhalten" unterstellt; also, dass Esser nach einer "Tat" motiviert war, bestimmte Dinge zu unternehmen. Nur, darauf zielt Thomas offenbar ab, ist die Tat gar nicht gerichtsfest.
Gegen 10 Uhr wird der Prozess für eine Viertelstunde unterbrochen, anschließend wird dem Antrag Thomas' stattgegeben. Staatsanwalt Puls äußert sich nicht weiter dazu. Dann jedoch, als der Angeklagte Esser (nicht zum ersten Mal) recht unvermittelt eine Erklärung vor Gericht abgeben will - kritisiert Puls, dass der Ex-Mannesmann-Chef, selbst Volljurist, nun wieder einmal "ein Plädoyer" abgebe.
Esser bekommt Streit mit der Richterin
Esser zur Prämie: Belohnung, aber nicht aus Mitleid
Esser geht es um eine "Nachlese" zur Zeugenaussage von Canning Fok, der in der vergangenen Woche eine Aussage machte, die Esser als "ehrbaren" Geschäftsmann würdigte und ihm ein Handeln im Interesse des Konzerns bescheinigte. Esser bestätigt nun die Bestätigung von Fok zu seiner, Essers, eigener Darstellung der Vorkommnisse. "So war's!", ruft Esser einmal aus, als es um die Vorkommnisse im obersten Stockwerk des Mannesmann-Towers am späten Abend des 2. Februar 2000 geht. Die Kläger hatten durchblicken lassen, dass Fok damals Esser den Schneid abgekauft haben soll, sich weiterhin gegen die Übernahme zu wehren.
Fok dagegen hatte ausgesagt, er sei damals zwar in eine wichtige Besprechung zwischen Vodafone-Chef Chris Gent und Esser geplatzt - habe dann aber kein Wort sagen können, weil Esser ihn mit einer Handbewegung des Raumes verwiesen habe. Des weiteren bezieht sich Essers "So war es!" auf den Umstand, dass Fok die Präme als Belohnung gezahlt habe. "Es war keine Mitleidsprämie", sagt Esser und kritisiert Medienberichte, in denen genau dies behauptet wird. Zur Unterstützung seiner Argumentation nennt er die Zahl 14. Vierzehn mal habe Canning Fok in seiner Zeugenaussage vor Gericht gesagt, dass die Prämie für Esser als Belohnung, "nicht als Mitleids-Preis" gedacht war.
Von Mitleid sei keine Rede gewesen. Auf der Homepage des Justizministeriums sei aber während der Aussage von Fok vor dem Landgericht ein Bericht erschienen, der das Wort "Mitleid" in der Schlagzeile führte und damit einen aus Esser Sicht falschen Eindruck erweckte.
Esser bekommt Streit mit der Richterin
Aus Sicht von Richterin Koppenhöfer nutzt Esser zu Unrecht die Gelegenheit zur Medienschelte. Die Richterin unterbricht den Vortrag des Ex-Mannesmann-Chefs drei Mal kurz hintereinander. "Der Prozess findet nicht in der Presse statt, sondern in Saal L 111", sagt sie. Bei dem von Esser kritisierten Bericht habe es sich um eine Agenturmeldung gehandelt. Esser möge sich auf die Aussage Foks konzentrieren statt abzuschweifen. Als Anwalt Thomas anhebt, um seinen Mandanten zu unterstützen, wird er von der Richterin ebenfalls postwendend unterbrochen.
Esser gibt nun noch zu Protokoll, dass die Aussagen der Investmentbanker Becker und Roy sowie jene von Fok über die entscheidende Nacht der Übernahmeschlacht "in Nuancen unterscheiden". "Einig sind sich aber alle drei gewesen, dass Fok nie eine Gelegenheit hatte, in das Gespräch [zwischen ihm und Gent] einzugreifen", sagt Esser. Die Staatsanwaltschaft hatte die Zeugenaussagen nicht so eindeutig in diese Richtung interpretiert.
Pakt der Staatsanwälte mit dem WDR?
Staatsanwälte sollen den WDR falsch informiert haben
Bei seiner Medienkritik erwähnt Esser auch einen "Filmbeitrag des WDR", in dem die Mannesmann-Übernahme dokumentiert wird. Hier gebe es eine Filmszene, in der der Darsteller Foks tatsächlich durch das Ausloben einer Millionen-Prämie Esser davon abbringt, weiter für die Unabhängigkeit von Mannesmann zu kämpfen. Diese Szene sei "von der Staatsanwaltschaft in den Film gebracht" worden, behauptet Esser.
Empört weisen die Staatsanwälte den Vorwurf zurück, wieder mal gibt es ein Wortgefecht und wieder einmal muss die Richterin ermahnen. Esser-Verteidiger Thomas soll "nicht Stimmung machen durch verbale und körperliche Zeichen", sagt sie. Der Hüne hatte zuvor vernehmlich in Richtung der Staatsanwälte gelacht und dabei übertrieben auffällig genickt.
Die Verteidiger fordern ein neues Fachgutachten
Gegen 11 Uhr stellt der Anwalt des Deutsche-Bank-Chefs Josef Ackermann, Klaus Volk, den Antrag, dass das Gericht ein Fachgutachten über die Angemessenheit der Prämien erstellen lassen sollte, die nach der Mannesmann-Übernahme gezahlt wurden. Der Jurist betont, das Gericht dürfe "nicht losgelöst von der Entwicklung des Mannesmann-Aktienkurses entscheiden". Er selbst, so Volk, habe ein solches Gutachten bereits in den Prozess einbringen wollen, "aber dieses wurde ja nicht akzeptiert". Eine solche Experten-Beurteilung des Vorgangs sei aber notwendig, um zu einem tragfähigen Urteil zu kommen. Die anderen Verteidiger stimmen dem Antrag zu.
Richterin Koppenhöfer antwortet, dass sie nach der Zeugenaussage des Ex-Vodafone-CEOs Chris Gent, die für den 25. März angesetzt ist, ein "Rechtsgespräch" zu dem Thema plant. Damit wäre ein vorzeitiges Ende des Mannesmann-Prozesses möglich. Bei einem Rechtsgespräch könnten außerhalb der Hauptverhandlung wichtige Fragen geklärt und das Verfahren unter Umständen verkürzt werden. Um 11.50 Uhr wird der Prozess zunächst aber lediglich für eine gut einstündige Mittagspause unterbrochen.
In der Prozesspause bestätigt Ackermanns Anwalt Kempf, dass ein vorzeitiges Ende des Prozesses möglich sei: "Wir können sehr rasch sprinten, wenn es sein muss", so der Anwalt, "aber wir haben auch den Atem für einen Marathon."
Um 13.00 Uhr geht es in Saal L 111 mit der Zeugenaussage des Aktienrechtlers Gerd Werner Krieger weiter.
Kein anderer Zeuge hat sich bisher während seiner Aussage so viel bewegt, wie Krieger es in den beiden kommenden Stunden tun wird. Unermüdlich schreitet der gedrungene Mann die Wege zwischen der Bank der Staatsanwälte und jener der Verteidiger ab, befördert die Papiere, zu denen gerade gesprochen wird. Die Gerichtsdiener haben Pause, und in ihrem Namen dankt Richterin Koppenhöfer als Krieger ihr eine Unterlage überreicht: "Vielen Dank - auch für den Hol- und Bringe-Service."
Als der Staatsanwalt mit einigen Blättern Papier auf dem Weg zu Krieger ist, so dass der seinerseits auch mal einen ähnlichen Service erhält, vereitelt Krieger das Ansinnen. Der Zeuge springt auf, geht auf den Staatsanwalt zu - und fängt ihn noch in dessen Hälfte des Weges ab. Advantage Krieger? Nicht ganz. Denn Krieger spricht mit dem Staatsanwalt - an einer Stelle, wo ihn nur wenige hören können. "Bitte sprechen Sie nicht ohne Mikrofon", sagt die Richterin. Krieger pariert. Allerdings spricht er nicht in das Mikro an seinem Platz sondern einfach ins nächstgelegene - das geht schließlich schneller.
Bedenken eines Aktienrechtlers
Krieger: Abfindungen rechtlich ok - bis auf eine
Neben dem Mikrofon-Problem - beileibe nicht das erste in diesem Prozess - haben Krieger und Anwalt Thomas später auch noch ihre liebe Mühe bei der Entzifferung eines handschriftlichen Protokolls, das offenbar nicht aus der Feder von Krieger selbst stammt: "Es könnte ein 'a' sein - dann würde es Sinn machen", meint Thomas über ein unleserliches Wort. Darauf Krieger: "Ebenso wäre möglich, dass es ein 'm' ist, dann würde es allerdings gar keinen Sinn ergeben." Der Verfasser der Zeilen ist offenbar nicht vor Ort.
Krieger wird vor allem zum so genannten Bedenken-Gespräch befragt. Angeregt worden war die Diskussionsrunde von KPMG-Wirtschaftsprüfern, die eben "Bedenken" zu den Abfindungsregeln geäußert hatten. Neben Krieger und zwei KPMG-Vertretern nahmen auch Klaus Esser, Dietmar Droste und Mannesmann-Hausjurist Götz Müller an dieser Besprechung am 7. März 2000 teil.
Krieger sagt aus, er habe die Prämien der Top-Manager damals für zulässig gehalten, nicht aber den Beschluss über die Zuwendungen für Joachim Funk. Als AR-Chef hatte Funk den von Krieger kritisierten Beschluss mit unterschrieben, der ihm persönlich eine Prämie in Höhe von drei Millionen Pfund zusicherte.
Funks Prämie "von der Optik her nicht so gut"
Die Höhe der Prämie für Vorstandschef Esser (zehn Millionen Pfund) sei zwar "ohne Beispiel" gewesen, sagte Krieger. Es habe sich aber um eine Ermessensfrage des Aufsichtsrats gehandelt.
Krieger, aus dessen Handschrift-Protokoll des Bedenken-Gesprächs immer wieder zitiert wird, stellt zum Fall Funk klar: Dass der Beschluss zu dieser Prämie unwirksam sein müsse, darüber könne "man kaum geteilter Meinung sein". Vom rechtlichen Standpunkt sei aber nach dem Ausscheiden Funks aus dem Mannesmann-Aufsichtsrat der Weg frei gewesen, Funk eine Sonderprämie zu gewähren.
Wenngleich die Zahlung "von der Optik her nicht so gut" ankomme, vor allem was die Höhe angehe, fügte Krieger aber kritisch hinzu. Der Aktienrechtler, der wiederholt darauf hinweist, dass ihm die Rolle des Prüfers, nicht aber die des Moralisten in dem Gespräch zugekommen sei, macht allerdings auch keinen Hehl daraus, dass er die Prämien persönlich für überhöht hielt. Mit dieser Meinung habe er auch damals nicht hinterm Berg gehalten und daher "müsste sie eigentlich" auch bei allen Beteiligten des Bedenken-Gesprächs "so angekommen sein".
Ein interessantes Detail zur Abfindung von Ex-Mannesmann-Chef Funk (,zur Zeit der Übernahme AR-Chef), war laut Krieger die Alternative Berater-Vertrag. Man habe "laut darüber nachgedacht", ob Funk einen Beratervertrag bei Vodafone bekommen könne - die Idee aber schnell wieder verworfen. Und zwar, weil Funk "von Telekommunikation keine Ahnung hat", so Krieger, der dann noch einschränkt, dies sei ihm jedenfalls von anderer Stelle so berichtet worden.
Gegen 15.10 Uhr endet der Prozesstag, kurz vorher hatte die Richterin Krieger für seine Aussage gedankt. Der antwortet lächelnd und zweideutig: "Unter normalen Umständen würde ich sagen, 'War mir ein Vergnügen'. War es aber nicht."