Arbeitsagentur Gerster ist arbeitslos
Berlin - "Kein Land gibt so viel für die Arbeitsverwaltung aus wie Deutschland", gestand Wirtschaftsminister Wolfgang Clement im vergangenen Jahr. "Und kein anderes ist damit so erfolglos wie wir". Wenige Monate später lässt sich die Bilanz ebenso ernüchternd wie deprimierend nach dem gleichen Muster zusammenfassen: Kein Land unternimmt ähnliche Anstrengungen zur Reformierung seiner Bürokratie wie Deutschland. Und kein Land ist dabei so wenig erfolgreich.
Vorläufiger Höhepunkt der Misere ist das Scheitern von Florian Gerster. Nach nicht enden wollenden Vorwürfen über Ausgaben für Luxusumbauten, horrende Beraterhonorare oder üppige Spesenkonten musste der Chef der Bundesagentur für Arbeit am Samstag gehen. Nachdem ihm der Verwaltungsrat mit überwältigender Mehrheit das Vertrauen entzogen hatte, folgte die Entlassung durch Clement.
Die Vorsitzende des Verwaltungsrats, Ursula Engelen-Kefer, brachte seine Leistungen auf folgende Formel: Gerster habe zwar wichtige Schritte im Umbauprozess der Bundesagentur zu einem modernen sozialstaatlichen Dienstleister eingeleitet. Allerdings sei dieser Reformprozess durch eigenes Handeln und Verhalten des Vorsitzenden des Vorstandes erheblich beeinträchtigt worden. Nach dem Misstrauensvotum blieb Arbeitsminister Clement kein Wahl mehr.
Kampagne gegen Gerster
Es waren allerdings nicht die Skandale, die Gerster sein Amt kosteten. Viele der Vorwürfe waren bereits entkräftet, bevor der Verwaltungsrat ihm das Vertrauen entzogen hatte. So kam der millionenschwere Umbau der Vorstandsetage nicht ihm, sondern seinen beiden Vorstandskollegen zugute, die größere Büros hatten als er.
Gerster selbst war in das alte Büro seines Vorgängers eingezogen. Auch die von den Medien hochgepushte "Dienstwagenaffäre" war in Wirklichkeit eine Sparmaßnahme, mit der der Fuhrpark um mehr als 200 Fahrzeuge reduziert werden sollte. Die Öffentlichkeit jedoch registrierte lediglich die Siebener-BMWs des BA-Vorstands.
Auch an den üppigen Honoraren für externe Berater hatten das Präsidium des Verwaltungsrates zunächst nichts auszusetzen. Selbst wenn der Rechnungshof Verstöße gegen das Vergaberecht beanstanden würde, sei Gersters Position nicht gefährdet, hieß es noch im vergangenen Dezember. Der Vertreter der Arbeitgeber, Peter Clever, nannte es sogar "absolut lächerlich", müsste Gerster wegen dieser Verfehlungen gehen. Auch DGB-Vize-Chefin Engelen-Kefer sagte, der Vorgang stehe in keinem Verhältnis zu den schwierigen Reformen, die in der Bundesagentur anstünden.
Feinde zügig gemehrt
Feinde zügig gemehrt
Entscheidend für den Fall des einstigen Hoffungsträgers war die große Zahl von Feinden, die Gerster sich innerhalb kürzester Zeit geschaffen hatte. Seit seinem Amtsantritt hatte der ehemalige Kompanie-Chef der Bundeswehr keine Gelegenheit ausgelassen, Freunde und Gegner gegen sich aufzubringen.
Im eigenen Haus stieß er mit seiner kühlen Arroganz schnell auf Ablehnung. Seine Bemerkung, die Bundesagentur käme im Grunde auch mit der Hälfte der Mitarbeiter aus, sorgte für lähmende Verunsicherung. Dem Kanzler und der Fraktion fuhr der ehemalige rheinland-pfälzische Sozialminister seit längerem immer wieder mit guten Ratschlägen zur Wirtschaftspolitik in die Parade, die Gewerkschaften verprellte er durch seine Plädoyers für härtere Sozialeinschnitte. Vielen SPD-Parlamentariern galt er bereits nach wenigen Monaten als bestgehasster Genosse der Republik.
Dabei hätte die Aufgabe, die Gerster bevorstand, durchaus ein paar Mitstreiter erfordert. Vor knapp zwei Jahren hatte ihn der Kanzler zum Retter der Arbeitsämter ausgerufen, die ihre Vermittlungsstatistiken allzu sehr geschönt hatten - eine Herkulesaufgabe, galt es doch, die verkrustete 90.000-Mann-Behörde in einen schlagkräftigen Dienstleistungskonzern umzuwandeln.
"Als müssten sich die Leichen selbst umbetten"
Dagegen stand das Beharrungsvermögen der Arbeitsamtler, das diese selbst als ungewöhnlich ausgeprägt einschätzen. "Eine Verwaltung, die sich selbst reformiert, das ist so, als müssten sich die Leichen auf dem Friedhof selbst umbetten", zitierte der "Stern" einen Mitarbeiter. Eine im Sommer 2002 verteilte Broschüre, in der Gerster seinen Mitarbeitern die neue Unternehmenskultur nahe bringen wollte, verschwand größtenteils ungelesen in den Schubladen.
Doch statt der Befindlichkeit seiner Untergebenen mit sensiblem Gespür Rechnung zu tragen, ging der Diplom-Psychologe mit Brachialgewalt zu Werke. Kurzer Hand ließ er beispielsweise 200 Mitarbeiter aus der Nürnberger Zentrale auf Arbeitsämter zwischen Itzehoe und Oberwiesenthal verteilen. Führungspositionen, so sein Ukas, würden nur noch befristet auf fünf Jahre vergeben - mit anschließender Überprüfung der erbrachten Leistung. Im Köln erfuhren die Mitarbeiter des Arbeitsamts gar erst aus der Zeitung, dass sie künftig als Zollbeamte Schwarzarbeitern nachspüren sollten.
Auch außerhalb der Bundesagentur gab es reichlich Verlierer des neuen Kurses: Die Weiterbildungseinrichtungen zum Beispiel. Jahrzehntelang hatten sich viele Institute nach Herzenslust aus einem 22-Milliarden-Topf bedienen können, den die Bundesagentur jedes Jahr bereitstellte - oft mit fragwürdigem Erfolg.
Doch dann zog Gerster Zügel straff: Wer nicht garantieren konnte, dass 70 Prozent seiner Teilnehmer anschließend in eine feste Stelle vermittelt werden konnten, war aus dem Rennen. Experten hatten die Maßnahme als dringend nötige Bereinigung der Fortbildungsindustrie gelobt. Doch diese Experten verfügten nicht über die notwendige politische Macht, um Gerster den Rücken zu decken - im Gegensatz zu den betroffenen Bildungsträgern, den Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden.
Schlecht beraten
Institutionelle Fehler
Der Chor der vorgeblich besorgten Stimmen wurden denn auch immer lauter, die Gerster unverzeihliche Fehler vorwarfen. Und Gerster hatte dem wenig entgegenzusetzen, zumal sich die forschen Parolen vom kundenorientierten Servicebetrieb nicht selten als Luftblasen erwiesen. Statt eines Abbaus der Bürokratie wurden die Arbeitsvermittler mit neuen Vorschriften, Weisungen und Kontrollen überflutet. Die angekündigte "Beschleunigung der Vermittlung" erwies sich als Konzentration auf die problemlosen Fälle. Schwer Vermittelbare und Bedürftige wurden hintangestellt.
Zusätzlich wurden Vorschriften zur Verhängung von Sperrzeiten für die Auszahlung von Arbeitslosengeld verschärft - für viele Kritiker eine reine Schikane zur Rechtfertigung der gewonnenen Einsparungen. "Wenn Gerster nur noch eine Rennpferdvermittlung betreibt, stellt das Hartz geradezu auf den Kopf", schimpfte der nordrhein-westfälische IG-Metall-Bezirksleiter Peter Gasse, ehemaliges Mitglied der Reformkommission des VW-Managers.
Auf der anderen Seite verpufften Initiativen, mit denen Gerster für mehr Schwung auf dem Arbeitmarkt sorgen wollte. Von 210.000 zur Verfügung gestellten Vermittlungsgutscheinen wurden ganze 13.000 eingelöst. Die so genannte Jobrotation, bei der Unternehmen gegen Zuschüsse vorübergehend unbesetzte Stellen an Arbeitslose vergeben, brachte lediglich 630 Erwerbslosen eine Stelle. Auch das Mainzer Modell, das Finanzhilfen im Niedriglohnsektor beinhaltet, bot nicht den richtigen Anreiz: Gerade einmal 10.000 Arbeitsplätze wurden auf diese Weise geschaffen.
Professionelle Hilfe zum unprofessionellen Ende
Hinzu kommt - aber das wird ab jetzt wohl eher ein Problem seines Nachfolgers sein -, dass auch die für 2004 geplanten Investitionen aus dem Ruder laufen: Das neue Internet-Angebot der Behörde, der virtuelle Arbeitsmarkt, am 1. Dezember gestartet, sollte ursprünglich 63 Millionen Euro kosten. Im Etatplan 2004 sind inzwischen Zahlungen in Höhe von 77 Millionen eingeplant - eine Steigerung von fast 20 Prozent.
Auch die Verträge mit McKinsey, Roland Berger und Co. sprengen den ursprünglich vorgesehenen Etat. Statt 55 Millionen Euro für die Jahre 2003 und 2004 werden die Unternehmensberater wohl 62,5 Millionen Euro in Rechnung stellen - ein Plus von 12 Prozent. Gegen die Kostenexplosion für Informationstechnik ist das noch gar nichts: Von rund 235 Millionen Euro soll der Etat 2004 auf 435 Millionen Euro anwachsen.
Aber auch die Union agitierte am Ende nach Kräften gegen Gerster, obwohl dieser vieles umsetzen wollte, was auch sie befürwortet. Das Kalkül: Stürzt Gerster, wäre auch der Kanzler beschädigt, die rot-grüne Position im anstehenden Vermittlungsverfahren geschwächt und die Aussicht für die Arbeitsmarktreformen deutlich getrübt. CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer begrüßte die Entscheidung. Der "Welt am Sonntag" sagte er : "Endlich wird unter den Skandal Gerster bei der Bundesagentur ein Schlussstrich gezogen". Möglich, dass der CDU-General damit auch den Schlussstrich unter den gesamten Reformprozess in der Mammutbehörde meint.