Reformmarathon
Der Kampf geht in die nächste Runde
Der Kanzler kann vorerst aufatmen. Mit rot-grüner Mehrheit hat der Bundestag unter anderem das Vorziehen der Steuerreform, die Erhöhung der Tabaksteuer und die Halbierung der Pendler-Pauschale beschlossen. Ob die Beschlüsse tatsächlich wirksam werden, darüber entscheidet jetzt die Opposition im Bundesrat.
Berlin - Die Entscheidung über das Vorziehen der Steuerreform von 2005 auf 2004 liegt jetzt allein in den Händen der Union. Der Bundestag machte am Freitag den Weg frei. Er beschloss mit rot-grüner Mehrheit, Bürger und Mittelstand kommendes Jahr um insgesamt 22 Milliarden Euro zu entlasten.
Allerdings enthält das verabschiedete Gesetz auch Milliarden-Belastungen für Bürger und Wirtschaft. Das letzte Wort hat der von der Union beherrschte Bundesrat, der am 7. November entscheiden soll. Im Bundestag votierte die Opposition geschlossen gegen die Vorschläge von Finanzminister Hans Eichel (SPD) zum Stopfen der Haushaltslöcher, allein über vier Milliarden Euro im kommenden Jahr.
Die Pendlerpauschale wird nach dem Mehrheitswillen des Parlaments halbiert, die Eigenheimzulage abgeschafft, Bundesbediensteten das Urlaubsgeld gestrichen und das Weihnachtsgeld gekürzt. Zudem werden zwei Milliarden Euro beim Bundeszuschuss an die Rentenkasse gespart, was schmerzhafte Einschnitte für Ruheständler bedeuten wird.
Tabaksteuer drastisch erhöht
Das Rauchen wird deutlich teurer. Die Tabaksteuer steigt von Januar 2004 bis Juli 2005 in drei Stufen um je 1,5 Cent pro Zigarette. Da die Einnahmen allein dem Bund zustehen, kann der Bundesrat den Parlamentsbeschluss nicht kippen. Das Geld soll in die Gesundheitsreform fließen.
Ebenfalls allein mit den Stimmen von SPD und Grünen verabschiedete der Bundestag die bislang großzügigste Amnestie für Steuersünder in Deutschland sowie die - weiterhin heftig umstrittene - Gemeindefinanzreform nach Plänen Eichels.
Beide Projekte müssen durch den Bundesrat. Von der "Brücke zur Steuerehrlichkeit" erhofft sich Eichel, dass Bürger Schwarzgeld offen legen. Sie gehen straffrei aus, dafür wird das Geld nachträglich versteuert. Eichel rechnet mit fünf Milliarden Euro Einnahmen.
Hartz III und IV angenommen
Auch die umstrittenen Arbeitsmarktgesetze Hartz III und IV sind im Bundestag mit der Stimmenmehrheit von SPD und Grünen angenommen worden. Mit dem so genannten Hartz-III-Gesetz wurde der Umbau der Bundesanstalt für Arbeit (BA) beschlossen. Neben einer Vereinfachung des Leistungsrechts geht es insbesondere um die Verstärkung der Arbeitsvermittlung.
Für das Hartz IV genannte Gesetz stimmten 306 Abgeordnete, 291 votierten dagegen. Es gab eine Enthaltung. Damit wurde die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zum künftigen Arbeitslosengeld II beschlossen. Außerdem wird die Zumutbarkeit zur Annahme einer Beschäftigung verschärft. Bundeskanzler Gerhard Schröder hatte sein politisches Schicksal mit der Durchsetzung der rot-grünen Reformagenda verknüpft.
Steuersenkung: Feilschen im Bundesrat erwartet
In namentlicher Abstimmung votierten 305 Abgeordnete für das Vorziehen der Steuerreformstufe 2005 auf kommendes Jahr, 297 waren dagegen. Wenn der Bundesrat zustimmt, tritt der Entlastungsschritt, der allein 15,6 Milliarden Euro bringt, gemeinsam mit der zweiten Stufe in Kraft, die sieben Milliarden Euro Entlastung bedeutet und
auf jeden Fall wirksam werden wird.
Das Vorziehen der Steuerreformstufe 2005 wird dagegen sicherlich im Vermittlungsausschuss landen, in dem ein heftiges Feilschen erwartet wird. Union und FDP sind zwar für die Steuersenkungen, halten aber Eichels Konzept zur Gegenfinanzierung für unseriös. Bundeskanzler Gerhard Schröder und Eichel appellierten an die Opposition, die rot-grünen Pläne für Steuersenkungen und die Sanierung der Staatsfinanzen im Bundesrat nicht zu blockieren. Zur Auflösung des Reformstaus sei ein Kraftakt aller Parteien nötig, sagten sie.
Der stellvertretende CDU/CSU-Fraktionschef Friedrich Merz forderte Eichel zum Rücktritt auf. Eichels Gemeindefinanzreform soll den Kommunen 2004 insgesamt 4,5 Milliarden und ab 2005 jährlich 5,5 Milliarden Euro bringen. Die Opposition kritisierte, dass Freiberufler künftig Gewerbesteuer zahlen sollen. Im Mittelpunkt der Reform steht die Modernisierung der Gewerbesteuer. Konzerne sollen künftig auch auf Mieten, Pachten und Leasingraten Gewerbesteuer zahlen. Bund und Länder treten künftig mehr Einnahmen aus dieser Steuer an die Kommunen ab.