Arbeitsmarktreform
Mehrheitsvotum für Hartz-Gesetze
Rot-Grün hat beide Abstimmungen über die Arbeitsmarktreformen im Bundestag überstanden. Die Hartz-Gesetze III und IV bekamen im Parlament die Mehrheit. Vorher war es zu einer peinlichen Panne im Plenum gekommen.
Berlin - Die umstrittenen Arbeitsmarktgesetze Hartz III und IV sind im Bundestag am Freitag mit der Stimmenmehrheit von SPD und Grünen angenommen worden. Für das rot-grüne Reformvorhaben Hartz III votierten in namentlicher Abstimmung 304 Abgeordnete, 294 stimmten dagegen. Es gab eine Enthaltung. Mit dem so genannten Hartz-III-Gesetz wurde der Umbau der Bundesanstalt für Arbeit (BA) beschlossen. Neben einer Vereinfachung des Leistungsrechts geht es insbesondere um die Verstärkung der Arbeitsvermittlung.
Für das Hartz IV genannte Gesetz stimmten 306 Abgeordnete, 291 votierten dagegen. Es gab eine Enthaltung. Damit wurde die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zum künftigen Arbeitslosengeld II beschlossen. Außerdem wird die Zumutbarkeit zur Annahme einer Beschäftigung verschärft.
Bundeskanzler Gerhard Schröder hatte sein politisches Schicksal mit der Durchsetzung der rot-grünen Reformagenda verknüpft. Nach Zugeständnissen der Koalitionsspitzen an interne Reformkritiker steht einer rot-grünen Mehrheit aber nichts mehr im Wege.
Nur der ostdeutsche Grünen-Abgeordnete Werner Schulz hatte angekündigt, dass er sich der Stimme enthalten will. Seine Fraktionskollegin, Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer, warb im Berliner "Tagesspiegel" dafür um Verständnis. Die Mehrheit sei gesichert. "Deshalb ist absolute Geschlossenheit weder notwendig, noch wäre sie unter Demokratiegesichtspunkten eine Auszeichnung für Rot-Grün."
"Wundersame Vermehrung von Stimmkarten"
Bei der ersten Auszählung der Urnen mit den Stimmkarten waren die Stimmkarten der getrennten Abstimmungen über die Hartz-Gesetze III und IV zusammengeschüttet worden, sagte Bundestagsvizepräsident Norbert Lammert (CDU). Das habe zu einer "wundersamen Vermehrung" der Mitglieder des Deutschen Bundestages geführt. "Das sei ein menschliches Unglück", kommentierte Thierse den Vorgang. Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) sagte, die Auszählungspanne erhöhe die Spannung im Parlament.
Wie aus dem Bundestag weiter verlautete, kam die Panne dadurch zustande, dass ein neuer Mitarbeiter der Parlamentsverwaltung mit der Auszählung der Stimmen befasst war.
In der Debatte forderte Unions-Fraktionsvize Friedrich Merz (CDU) wegen der hohen Neuverschuldung den Rücktritt von Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD). Der Minister sei "das größte finanzpolitische Risiko, das den Vordereingang des Bundesfinanzministeriums jemals betreten hat. Es wird Zeit, dass Sie gehen", sagte Merz am Freitag in der Bundestagsdebatte. Der CDU-Politiker warf dem Minister vor, "grandiose Fehleinschätzungen" über die wirtschaftliche Situation des Landes "zum System" erhoben und mehrfach falsche Zahlen vorgelegt zu haben.
Ein BA-Mitarbeiter für 75 Arbeitslose
Ein BA-Mitarbeiter für 75 Arbeitslose
Merz zeigte sich überzeugt, dass ein Vorziehen der Steuerreform auf Anfang 2004 die wirtschaftlichen Probleme nicht lösen wird. Mit Ausnahme der "Sonderkonjunktur Deutsche Einheit" habe es hier zu Lande "noch nie einen Aufschwung gegeben, der über die Nachfrageseite ausgelöst worden ist".
Zuvor hatte Clement an die Union appelliert, im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit zusammenzuarbeiten. Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe müsse gemeinsam Vorangetrieben werden, forderte Clement. Es gebe in dieser Frage zwischen Regierung und Union zwei Kernunterschiede. So müsse nach Meinung von Rot-Grün für Langzeitarbeitslose die Bundesanstalt für Arbeit zuständig sein. Dies sei eine Frage, "die wir sehr rasch und einvernehmlich lösen können müssen", sagte Clement mit Blick auf die Mehrheit der Union im Bundesrat.
Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) bekräftigte dagegen, dass die Union die Zuständigkeit bei den Kommunen ansiedeln wolle, zeigte sich jedoch verhandlungsbereit. "Wir werden uns über die Unterschiede auseinander setzen", sagte Koch, der als Hauptredner von CDU/CSU auf Clement antwortete. Außerdem warb Koch für die Pläne der Union, im Niedriglohnbereich Zuschüsse zu zahlen, um gering bezahlte Beschäftigung attraktiv zu machen.
Koch: "Rot-Grün ist Schuld an der Krise"
Clement forderte ein neues Denken am Arbeitsmarkt. Der Umbau der BA vereinfache das Förderungs- und Leistungsrecht und erlaube, dass 3000 Mitarbeiter aus der Verwaltung in die Vermittlung von Arbeitslosen wechseln könnten. Ein Mitarbeiter solle künftig für 75 Arbeitslose zuständig sein statt bisher für mehrere hundert. Allein durch die intensivere Vermittlung lasse sich die Arbeitslosigkeit um 15 bis 20 Prozent senken.
Frühere Arbeitsmarktreformen wie die Einführung der Ich AG, die Ausweitung der Leiharbeit und die Neuregelung der Mini-Jobs seien bereits erfolgreich. Sie hätten die Wachstumsschwelle, ab der zusätzliche Arbeitsplätze entstünden, bereits von 2,0 auf 1,5 Prozent Wirtschaftswachstum gesenkt. In diesem Jahr würden sich 200.000 Menschen aus der Arbeitslosigkeit selbstständig machen.
Nach dem Willen der Bundesregierung sollen Arbeitslosen- und Sozialhilfe ab Juli 2004 zusammengelegt werden. Rund 2,7 Millionen erwerbsfähige Bezieher von Arbeitslosen- oder Sozialhilfe sollen dann das Arbeitslosengeld II in Höhe der Sozialhilfe erhalten.
Koch warf Rot-Grün vor, für die größte Haushalts- und Beschäftigungskrise in der Geschichte der Bundesrepublik verantwortlich zu sein. Auch er plädierte dafür, die Arbeitslosen- und Sozialhilfe "je schneller desto besser" zusammenzulegen. Allerdings müssten die Kommunen an Stelle der BA für die Langzeitarbeitslosen zuständig sein.