Krankenhäuser
"Skandinavische Verhältnisse sind möglich"
Der Europäische Gerichtshof hat den bisherigen Umgang mit Bereitschaftsdiensten an deutschen Krankenhäusern für rechtswidrig erklärt. Ines Gröner, Senior Manager bei Mummert Consulting, erläutert im Gespräch mit manager-magazin.de die Folgen für Ärzte und Patienten.
Frau Gröner, das Urteil des EuGH zum Bereitschaftsdienst in Krankenhäusern hat für reichlich Aufregung gesorgt. Kommt jetzt wirklich eine Kostenwelle auf die Kliniken zu?
Gröner: Die Umsetzung des Urteils wird sicherlich nicht kostenneutral zu machen sein. Sowohl bei den Ärzten als auch beim medizinisch-technischen Personal wird es einen Mehrbedarf geben.
mm.de: Halten Sie die jetzt gemutmaßten Zusatzkosten von bis zu zwei Milliarden Euro für realistisch?
Gröner: Nein, das scheitert schon daran, dass sich niemand finden wird, der diese Summe wird bezahlen können.
mm.de: Gibt es in Deutschland schon Beispiele für einen Schicht- statt Bereitschaftsdienst bei Krankenhäusern?
Gröner: Ja, der Landesbetrieb Krankenhäuser in Hamburg testet in einem bis 2005 laufenden Pilotprojekt namens "Panda" (Anm. d. Red.: Prozessorientierte Arbeitsorganisation/Neue Dienst- und Arbeitszeitmodelle) bereits in zwei OP-Bereichen und zwei Notaufnahmen einen Schichtdienst. Auch das zur Vivantes-Kette gehörende Berliner Klinikum im Friedrichshain startet demnächst ein Modellprojekt.
mm.de: Dann ist der Schichtdienst also hauptsächlich etwas für die großen Klinikketten?
Gröner: Für sie ist die Umstellung auf jeden Fall leichter als in kleinen Häusern, da sie auf einen viel größeren Mitarbeiterpool zurückgreifen können.
mm.de: Laut einer Studie von Mummert Consulting hatten 76 Prozent der deutschen Krankenhäuser eigentlich vor, Personal abzubauen. Wird diese Planung durch das EuGH-Urteil obsolet?
Gröner: Die bisherigen Planungen beruhten auf der erwarteten Verringerung der Verweildauer der Patienten im Krankenhaus durch die Einführung von Fallpauschalen. Nach dem EuGH-Urteil wird der Personalbedarf jetzt an anderer Stelle steigen.
mm.de: Krankenhäuser stellen mit einem Anteil von über 27 Prozent den größten Kostenblock im Gesundheitswesen (Gesamtausgaben 2001: 226 Milliarden Euro). Welchen Anteil haben bei den Kliniken die Personalkosten?
Gröner: Sie sind der gewaltigste Block und machen rund zwei Drittel der Gesamtkosten aus.
mm.de: Um diese zu senken, reduzieren die Krankenhäuser seit Jahren die Anzahl der Betten. Seit 1991 wurden über 100.000 der damals 665.000 Betten abgebaut. Wird sich diese Entwicklung durch das EuGH-Urteil beschleunigen?
Gröner: Das glaube ich nicht. Da die zusätzlichen Kosten nicht direkt von den Krankenhäusern übernommen werden können, sondern durch andere Finanzierungsmodelle - zum Beispiel im Rahmen der Gesundheitsreform - finanziert werden müssen, hat das Urteil in diesem Bereich keine Auswirkung.
Zwei Jahre warten auf eine Operation
mm.de: Sie haben selbst als Ärztin in Dänemark gearbeitet und kennen die langen Wartezeiten von bis zu zwei Jahren auf eine Operation. Die skandinavischen Länder haben das jetzige Urteil in ihrem Gesundheitssystem ja quasi vorweggenommen. Drohen uns jetzt ähnliche Verhältnisse?
Gröner: Skandinavische Verhältnisse sind durchaus möglich, da ein Schichtdienst eindeutig mehr Personal erfordert. Schon jetzt können nicht mehr alle offenen Stellen mit qualifiziertem Personal besetzt werden.
mm.de: Jedes Jahr kommen rund 60.000 ausländische Patienten zu uns, um die langen Wartezeiten in ihren Heimatländern zu umgehen, da dort ein noch gravierender Mangel an medizinischem Personal besteht. Wo sollen denn die in unseren Kliniken fehlenden Ärzte herkommen?
Gröner: Die Rekrutierung von Ärzten und technischem Personal außerhalb Deutschlands ist trotzdem ein Weg, Versorgungsengpässe in unseren Kliniken zu verhindern.
mm.de: Um ausgebildete Fachkräfte nach Deutschland zu locken, wäre die Aussicht auf ein attraktives Gehalt durchaus hilfreich. Durch den Wegfall der Bereitschaftsdienste werden aber doch viele Klinikärzte weniger verdienen, oder?
Gröner: Richtig, die Bereitschaftsdienste waren praktisch Überstunden, die neben dem Grundgehalt mit einem Zuschlag belohnt und insgesamt steuerfrei vergütet wurden.
mm.de: Dennoch feiern die Ärzteverbände das EuGH-Urteil als einen Erfolg?
Gröner: Wenn Sie die Ärzte im Krankenhaus fragen würden, wären die Aussagen sicherlich differenzierter. Zwar beklagen auch sie die von den Verbänden kritisierte enorme Arbeitsbelastung durch den Bereitschaftsdienst, wissen den finanziellen Vorteil des alten Systems aber durchaus zu schätzen.
mm.de: Wie lange wird die Umstellung auf ein reines Schichtdienstsystem dauern?
Gröner: Dafür müssen mindestens ein bis zwei Jahre veranschlagt werden.