Bereitschaftsdienst Arbeitszeiten in allen Branchen auf dem Prüfstand
Berlin - Das EuGH-Urteil zum Bereitschaftsdienst von Ärzten wird das Arbeitsleben voraussichtlich nicht nur in den Krankenhäusern verändern. Nach Ansicht von Wirtschaftsminister Clement (SPD) müssen jetzt wohl auch die Bereitschaftsdienste in anderen Branchen völlig neu geregelt werden.
"Das Urteil muss jetzt schnellstmöglich umgesetzt werden, damit die Akteure vor Ort so schnell wie möglich Rechtssicherheit erhalten", erklärte Clement am Dienstag. Deshalb werde er sich dafür einsetzen, dass die erforderlichen Änderungen des Arbeitszeitgesetzes in das parlamentarische Verfahren zu den Arbeitsmarktreformen eingebracht würden.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte zuvor entschieden, dass Bereitschaftsdienste von Ärzten künftig als Arbeitszeit bezahlt werden müssen. Derzeit müssen Ärzte in Deutschland häufig Nachtbereitschaften auf sich nehmen, die aber nicht komplett als Arbeitszeit gerechnet werden. Das höchste europäische Gericht gab damit der Klage eines Assistenzarztes aus Kiel statt. (AZ.: c-151/02).
Verdi sieht ebenfalls Regelbedarf in anderen Berufen
"Das Urteil berührt nicht nur Krankenhäuser, sondern auch andere Branchen, in denen es vergleichbare Arbeitszeitorganisationen gibt", hieß es in Clements Erklärung weiter. Nähere Angaben zu betroffenen Berufsgruppen und den zu erwartenden Kosten wurden nicht gemacht.
Schon jetzt seien öffentliche Arbeitgeber an den vom EuGH aufgestellten Grundsatz gebunden. Bei privaten Arbeitgebern sei dies nach einem Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom Februar nicht unmittelbar der Fall. Auch bei der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi hieß es, der Spruch des EuGH betreffe andere Berufsgruppen.
Bereits im Oktober 2000 hatte der Gerichtshof auf die Klage spanischer Ärzte entschieden, dass Bereitschaftsdienst Arbeitszeit ist. Die EU-Richter widersprachen damit einem Urteil des Bundesarbeitsgerichtes (BAG). Das deutsche Gericht hatte im Februar eine Klage von Medizinern zur Anerkennung ihrer Bereitschaftszeit als Arbeitszeit abgewiesen.
Zusatzkosten von mindestens einer Milliarde Euro
Nach früheren Schätzungen des Ärzteverbandes Marburger Bund müssten bei der Anerkennung als Arbeitszeit in den über 2000 Kliniken in Deutschland rund 15.000 zusätzliche Ärzte eingestellt werden; dafür müssten nach Angaben des Verbandes die Klinikbudgets um eine Milliarde Euro aufgestockt werden.
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) geht sogar davon aus, dass 27.000 weitere Ärzte benötigt werden. Frank Ulrich Montgomery, der Vorsitzende des Marburger Bundes, sagte, es sei. "blamabel, dass die Bundesregierung zu einer Gesetzesänderung erst juristisch gezwungen werden muss, obwohl es bereits vor drei Jahren ein ähnliches EuGH-Urteil gab".
Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) wies die Kritik Montgomerys umgehend zurück. Krankenhäusern stünden für Arbeitszeitmodelle in diesem und im nächsten Jahr zusätzlich bis zu 200 Millionen Euro zur Verfügung. Im Zuge der Gesundheitsreform sollten die Finanzmittel bis 2009 um jährlich weitere 100 Millionen aufgestockt werden, sagte Schmidt am Dienstag.